Esther Siegenthaler, gebürtige Bauerntochter und ausgebildete Lehrerin aus Schangnau BE, lebt und arbeitet momentan als Praktikantin auf mehreren Milchviehfarmen in Neuseeland. In ihrem Blog berichtet sie regelmässig über das, was sie dort erlebt.
Momentan bin ich auf einer Dairy-Farm in Winton, das ist im Southland, dem Süden der Südinsel. Täglich werden rund 920 Kühe in zwei Melkständen (Karussell und Fischgerät) gemolken. Meine Hauptaufgabe ist es, die fünf Herden pünktlich auf die Yard (Warteraum vor dem Melkstand) zu treiben.
03.45 Uhr, der Wecker klingelt, erst das kalte Wasser im Gesicht weckt mich. 15 Minuten später sitze ich bereits mit Jacke und Mütze auf dem Quad. Mit sechs Grad ist es heute nicht all zu kalt. Es geht in Richtung Herringboneshed (Fischgerät-Melkstand), dort stelle ich das Licht an, kontrolliere alle Zäune und Gatter und fahre zu den Kühen in der Weide Nummer 28. Die meisten Kühe liegen noch, trotz der Stirnlampe ist es schwierig, alle zu finden. Damit sie nach dem Melken frisches Gras haben, räume ich den Zaun in der Mitte der Weide weg. Nach einigen Kurven auf der Weide und einem letzten Kontrollblick, ob ich wirklich alle zusammengetrieben habe, folge ich den Kühen. Beim Melkstand angekommen, hänge ich die Absperrdrähte um, so dass die Kühe nach dem Melken direkt ins frische Gras können. Die Zeit reicht noch aus, um 25 Minuten beim Melken zu helfen. Das heisst, Schürze und Plastikärmel anziehen und ab zu Christof, dem Farmer, in den Melkstand.
Gruppen dürfen nicht durchmischt werden
Kurz nach fünf Uhr steige ich wieder auf den Quad und fahre gut 900 Meter zum Karussell. Paula (Praktikantin aus Deutschland) hat die erste Gruppe selber geholt und ist am melken. Hier ist es komplizierter. Zuerst wird das Gatter geschlossen, so können die gemolkenen Kühe nicht mehr auf die Weide, denn sonst würde "Gegenverkehr" entstehen, dann die Absperrzäune umhängen und das grosse Gate (Gatter welches die Kühe automatisch zum Karussell treibt) schliessen. Dann fahre ich zur zweiten Gruppe und jage die Kühe in Richtung Stall. Es regnet nun leicht, den Regenhosen geht es in der Garage bestimmt gut...
Auf dem Rückweg muss ich noch den Zaun umhängen, sonst marschieren die Kühe auf die falsche Weide. Heute treffe ich den Zeitplan genau. Paula ist bei meiner Ankunft bereits die ersten Kühe der zweiten Gruppe am melken. So schliesse ich auf der Yard das grosse Gate und öffne das der ersten, so können diese nun zurück auf die Weide. Bis die letzten Kühe der ersten Gruppe das Karussell verlassen haben, gehe ich zu Paula. Genau in diesem Moment will eine Jersey-Kuh zu früh aufs Karussell und wird eingeklemmt. Auf der einen Seite kann sie nicht mehr weiter, mit dem Hinterteil drückt sie an die Sicherheitsstange, so kann das Karussell nicht mehr gestartet werden. Mit vereinten Kräften können wir die Kuh rauszerren. Noch etwas wackekig steht sie da, glücklicherweise ist alles ganz geblieben.
Nach diesem Zwischenfall muss ich wieder alle Absperrdrähte richten und die lahmen Kühe holen.
Yard mit Recycling-Wasser waschen
Dann ist es schon 6.10 Uhr, höchste Zeit um die zweite Gruppe in den Herringboneshed zu jagen. Absperrdrähte nicht vergessen, Achtung geben dass alle Küh mitkommen und wieder die Schürze anziehen um beim Melken weiter zu helfen. Schon bald können die Aggregate auf die Waschanlage aufgesteckt und gereinigt werden.
Das Karussell ist erst die zweite Saison in Betrieb. Die Yard wird dort mit dem Abwasser vom Melken automatisch gereinigt. Beim älteren Stall wird die Yard mit dem Schlauch gewaschen, das ist meine nächste Arbeit. Der Schlauch hat einen Durchmeser von vier Zentimeter und richtig viel Druck. Ich sehe diese Arbeit als tägliches Krafttraining, bei welchem ich Acht geben muss, dass ich die Spritzrichtung bestimme und nicht der Schlauch. ;)
In der Zwischenzeit hat Christof fast den ganzen Melkstand geputzt. So kann ich bereits bei allen fünf Herden die Eingänge schliessen gehen. Zum Schluss müssen noch die kleinen Kälber gefüttert werden. Nach der Arbeitsverteilung, ist es 8.10 Uhr, Zeit zum Frühstück.
Über 200 Brunnen auf der Farm
Von acht bis zehn Uhr haben wir Pause. Ich schreibe da meist Tagebuch und benutze rege mein Natel, denn in der Schweiz ist Abend. Zudem reicht heute die Zeit aus, um das Arbeiterhaus zu saugen. Wir wohnen nämlich in einem eigenen Haus, wo wir auch selber kochen und waschen.
Pünktlich um zehn Uhr brechen Paula und ich auf, um Brunnen raus zu putzen. Wie viele es auf der 436 Hektar-Farm genau sind, weiss wohl niemand. Bestimmt über 200 Stück. Mit einem kleinen Auto fahren wir raus, hinten auf der Ladefläche haben wir Schläuche, Eimer, eine Schaufel und Bürsten raufgepackt. Mit den Schläuchen können wir "ansaugen" und so das Wasser zügig ablaufen lassen. Ein Brunnen fast 500-1500 Liter und ist mit einem Schwimmer ausgetattet.
Um 12.30 Uhr brechen wir auf, wir haben acht Brunnen in drei Weiden geputzt. Paula geht Zäune bauen, ich mähe den Rasen fertig. Bei drei Häusern muss dies gemacht werden. Die Sonne scheint nun und es ist warm, schon fast heiss, kurze Hosen anzuziehen war die richtige Wahl.
Klauenpflege
Eigentlich sollte ich den Rasen am Vortag schneiden. Da aber die Kälber beim Zügeln nicht wollten, wie wir es vorgesehen hatten und einer lahmenden Kuh einen Holzklotz aufgeleimt werden musste, reichte die Zeit nicht mehr aus. Hinkenden Kühen wird im Klauenstand alles abgeschnitten, was endzündet oder lose ist. Meist treten sie einen kleinen Stein ein. Auf die gesunde Klaue wird ein zirka zwei Zentimeter dicker Holzklotz aufgeleimt. So müssen die Kühe die verletzte Klaue nicht belasten. Der Holzklotz wird durch das viele Laufen abgewetzt. Verband gibt es keinen.
Mittagessen um 14.30 Uhr
Um 14.30 Uhr bin ich fertig mit dem Rasen. Heute hat sogar der Benzin ausgereicht, nicht so wie gestern. Es ist Zeit, um einen Lunch zu essen. Am Mittag wird in Neuseeland kalt gegessen, ein Sandwich oder ähnliches. Dann müssen bereits die Kühe wieder rein getrieben werden. Das läuft ähnlich wie am Morgen, mit dem Unterschied, dass ich die erste Gruppe beim Karussell hole und nicht der Melker.
Zwischendurch habe ich noch kurz Zeit, Tobias (Angestellter aus St. Niklausen, OW) die Siloballen aufzuschneiden. Wegen der Grasknappheit wird Silo zugefüttert. Er hat seit Tagesbeginn Gülle ausgebracht. Nach dem Melken, Putzen und Kälber Füttern ist es bereits 18.40 Uhr. Wir besprechen den morgigen Tag. Zudem beschliesst Christof, die stark hinkende Kuh nur noch am Abend zu melken. So kann sie auf der Weide bleiben und muss weniger gehen. Zu Hause in der Garage stelle ich fest, dass wir heute mit dem Quad "nur" 28,6 Kilometer gefahren sind. Meist sind es über 30 Kilometer.
Abwechslungsreich und spannend
Zum Abendessen kochen wir Risotto und Salat, dann ist Feierabend, Zeit um den Blog zu schreiben und um 21.30 Uhr schlafen zu gehen. Für mich geht ein weiterer eindrücklicher Tag zu Ende. Wenn das Wetter mitspielt, wird vor meiner Abreise noch ein Fahrsilo befüllt, zudem steht der Pregnancy-Test (Trächtigkeitstest) an. Die Tage auf dieser Farm können lang sein, doch auch sehr abwechslungsreich. In der letzten Woche habe ich sehr viel gelernt hier.
Betriebsspiegel
Betriebsleiter: Christof Kenel, Winton
Arbeitskräfte: Nebst Christof sind zwei weitere Arbeiter tätig. Ideal wären total 5 Arbeitskräfte, Unterstüzung ist willkommen ;)
Nutzfläche: 436 Hektar
Tierbestand: Momentan 920 Kühe + Jungvieh und 40 Zuchtstiere
Rund 100 Kühe sind Kiwi-Cross (Neuseeländer-Genetik, Jersey x Holstein), 400 Holstein (eingesetzte Stiere: Bogart, Goldwyn, Panama und Manifold) und 400 der Rasse Brown Swiss (eingesetzte Stiere: Prossly, Alibaba, Glenn, Dally und Polykarp, Brown Swiss ist in Neuseeland sehr selten. Christof gebraucht keine Neuseeländer-Genetik mehr, sein Zuchtziel sind grössere Kühe mit starken Euteranlagen. Auch die Langlebigkeit steht im Zentrum (älteste Kühe haben Jahrgang 1999).