Haben Mühle auf Vordermann gebracht (v.l.): Erwin Bärtschi, Peter Zulliger, Samuel Bärtschi und René Greub. – Reto Blunier Der Agropreis feiert in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag. – Cartoon: Max Spring
Heute wird das meiste Getreide von Grossbetrieben verarbeitet. Mehrere Bauern und ein Mühlenbauer aus dem Oberaargau wollen das ändern. Mit ihrer Mühle bringen sie Wertschöpfung auf die Höfe zurück.
Das Dorf Madiswil markiert den Übergang vom Emmental zum Oberaargau. Dank seiner Nähe zu Langenthal ist die Ortschaft stetig gewachsen. Zu den markanten Gebäuden des Dorfs gehört das Getreidesilo am Bahnhof. Es steht stellvertretend als Zeuge für die Landwirtschaft, die in der Region eine bedeutende Stellung einnimmt. In der 3300 Einwohner zählenden Gemeinde gibt es 85 Landwirtschaftsbetriebe. Diese liefern ihre Produkte grösstenteils an Verarbeiter und Händler.
Pröbeln auf Betrieb
Das wollten mehrere Bauern aus Madiswil ändern. Ihre Vision: Landwirtinnen und Landwirte vermarkten ihr Brotgetreide selbst. Sie verarbeiten es zu unterschiedlichen Produkten und erzielen eine grössere Wertschöpfung. «Unser Motto lautet: Hier angebaut, hier verarbeitet und hier verkauft», fasst Peter Zulliger zusammen. Der Landwirt trug die Idee seit Jahren mit sich herum. «2008 wurden die Pflichtlager abgeschafft. Ich hegte den Gedanken, ein eigenes Lager anzulegen. Denn ich war überzeugt, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt zu wenig Lebensmitteln haben werden», führt der 52-Jährige aus.
2010 kaufte sich Zulliger eine Steinmühle. Er begann in der Folge, das eigene Mehl zu verkaufen. «Ich produzierte auch Teigwaren», fährt er fort. Er wollte das Sortiment weiterausbauen als Ergänzung zum Mehl. Dabei dachte er an Flocken. «Der Start war aber alles andere als einfach», blickt er mit einem Lächeln zurück. Er versuchte es mit einer Haushaltshandmühle. Doch das war mühsam, und die Mengen waren klein. «Zudem war ich mit der Qualität nicht zufrieden», erklärt Zulliger. Er pröbelte weiter, doch der Durchbruch sollte ihm noch nicht gelingen.

Beat Schmid
Volltreffer für Bauern
2016 gründeten mehrere Landwirte, Nichtlandwirte und ein Tierarzt die Regionalmarktplatz AG. Anschliessend kauften sie das stillgelegte Landi-Gebäude mitsamt dem Getreidesilo der landwirtschaftlichen Genossenschaft ab. Peter Zulliger ist Mitinitiant und Teilhaber der Aktiengesellschaft. «Vor sechs Jahren lag unser Fokus auf der Lagerung des Getreides, aber auch in der Aufbereitung von Saatgut. Wir wollten unsere Unabhängigkeit bewahren», führt Samuel Bärtschi, der auch Teilhaber der AG ist, aus. Die Idee, das eigene Getreide zu vermarkten, habe aber bereits damals bestanden, fährt der Meisterlandwirt und Eisenplastikkünstler fort.
«Wir gingen die Sache aber ein wenig blauäugig an», gibt René Greub zu. Der Kleintransportunternehmer ist ebenfalls Mitinhaber der Regionalmarktplatz AG. Das Projekt kam nicht ganz zum Fliegen, denn das Wissen zur Verarbeitung habe gefehlt, so Greub weiter. Dieses lieferte Erwin Bärtschi. Der heute 76-Jährige war 30 Jahre als selbstständiger Mühlenbauer tätig. Die Bauern gingen 2018 auf den Experten zu. Bärtschi, der kein Teilhaber der AG ist, sagte sofort zu. Für die Bauern ein Volltreffer.
Spezielle Flocken
Der Pensionär wollte sein Wissen und seine Erfahrung an die Bauern weitergeben. «Ihre Idee hat mich überzeugt. Dass sie eine bessere Wertschöpfung erzielen, ist ganz in meinem Sinn», macht Bärtschi deutlich. In den vergangenen Jahren hätten viele kleinere Betriebe aufgeben müssen. Doch genau solche Mühlen benötigen Bauern. Denn nur sie verarbeiten auch kleinere und Kleinstmengen. Bärtschi erkannte das Potenzial, das in der alten Landi Madiswil schlummerte. «Für mich war klar: Wir müssen besser sein als die anderen. Die Qualität ist entscheidend», sagt er.

Cedric Huguenin
Zusammen mit Peter Zulliger entwickelte der Mühlenexperte in der Folge einen Prototyp für die Flockenproduktion. Da die Nachfrage stetig stieg, suchte Landwirt Zulliger nach einer grösseren Maschine. Eine solche fand er 2020 in einer stillgelegten Mühle. Er baute diese auf seinem Hof wieder auf. Zusammen mit Erwin Bärtschi wurde das 120-jährige Gerät revidiert. Im Gegensatz zu den im Handel erhältlichen Flocken werden jene vom Zulligerhof dextriniert. Das Getreidekorn wird zwischen zwei heissen Walzen schonend zu Flocken gepresst. Dieser Vorgang dauert nicht einmal eine Sekunde. Bei der Dextrinierung oder Stärkeverzuckerung zerbrechen grosse Stärkemoleküle in kleinere, leichter verdauliche Teile. «So gehen nur wenig Nährstoffe verloren. Und wir heben uns von den anderen ab», erklärt Bärtschi.
Alte Maschinen revidiert
Zusammen mit dem Mühlenbauer brachten die Bauern auch die Getreideannahme in der alten Landi auf Vordermann. Eine Maschine zum Steineauslesen kauften sie als Occasionsmaschine. Zum Inventar gehören auch ein Fliehkraftschäler und eine Ceres-Anlage. Letztere bauten sie aus einer Mühle in der Region aus. In den beiden Maschinen wird das Korn vom Spelzen getrennt. Sie können auch für Hirse, Buchweizen und Sonnenblumen eingesetzt werden. Mit einer Schlagmühle werden auch Haferkörner gemahlen. Die Instandstellung aller Maschinen dauerte mehrere Monate. Anschliessend wurde am Verarbeitungsprozess gepröbelt.
Das Sortiment umfasst derzeit Flocken und Mehl. – Reto Blunier Brigitte Greub verkauft in ihrem Laden Backwaren aus Mehl von der Mühle. – Reto Blunier
Die Bauern investierten mehrere Zehntausend Franken. Das Geld stammt von den Einnahmen aus der Tankstelle, den vermieteten Räumlichkeiten sowie über Privatdarlehen. Das Risiko habe sich ausbezahlt, erklären sie. Der Mühlentag im vergangenen Mai habe das Geschäft so richtig zum Laufen gebracht. «Die Nachfrage nach unseren Produkten ist sprunghaft gestiegen», freut sich Landwirt Samuel Bärtschi. Regionale Produkte direkt vom Bauern seien gefragt. Ein Kilo Dinkelmehl kostet 3.40 Fr., Weizen- und Roggenmehl werden für 2.90 Fr angeboten. Und ein Kilo Flocken schlägt mit 7 Fr. zu Buche.
Kleine Chargen
Gekauft werden die Produkte derzeit hauptsächlich von Privaten, unter anderem auch im Laden «Greubs Schatztruhe». Inhaberin Brigitte Greub ist ebenfalls Teilhaberin der AG. Künftig wollen sie das Mehl und die Flocken auch über eine eigene Website verkaufen. Beliefern möchten sich auch regionale Bäckereien oder Volg-Filialen. «Die Arbeit geht uns nicht aus», sagt Samuel Bärtschi lächelnd. Geplant sind auch Backkurse. Viele wüssten ja nicht mehr, wie man ein Brot herstelle.
Die Bauern können wie hier beim Einkorn dank der eigenen Verarbeitung eine höhere Wertschöpfung erzielen. – zvg Die Bauern haben zusammen mit dem Mühleexperten untere anderem eine Ceres-Maschine revidiert. – Reto Blunier
Die umtriebigen Landwirte bieten ihre Dienstleistung auch anderen Bauern an. «Wir verarbeiten auch kleinere Chargen von einigen Hundert Kilo Getreide», sagt René Greub, der in der Mühle die Produktion verantwortet. Bereits würden Bauern aus der weiteren Region und gar aus der Ostschweiz Getreide nach Madiswil bringen. In diesem Jahr werden ungefähr 5Tonnen Getreide verarbeitet. 2023 soll die Menge auf 10 bis 15Tonnen ansteigen. Ist noch mehr geplant? «Die Lagerkapazität des Silos beträgt mehrere 100Tonnen. Qualität steht ganz klar vor der Quantität», sagt Peter Zulliger. Wichtig sei eine höhere Wertschöpfung für die Produzierenden. Und sie ermuntern andere Landwirtinnen und Landwirte, ähnliche Projekte zu starten. «Das Potenzial ist vorhanden», sind sie sich sicher.
Sollten sie den Agropreis gewinnen, würden sie das Geld in den Betrieb investieren und einen Teil der Darlehen zurückzahlen.
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One Response
Super Projkt!!