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«Investiert nicht nur in Stall, sondern auch in eure Vision»

Interview: har |

 

Ein Stallbauprojekt ist mit grossem Aufwand verbunden. Sich finanziellen Handlungsspielraum offen zu halten, ist wichtig fürs seelische Wohl. Eine Beraterin erzählt, welche Fragen man sich frühzeitig zur Hofstrategie stellen sollte.

 

«Schweizer Bauer»: Um seinen Betrieb zukunftsfähig zu halten, muss investiert werden. Am Beispiel vom Neubau eines Milchviehstalls können das heute leicht 20000 bis 30000 Franken pro Grossvieheinheit sein. Was ist Ihre Erfahrung mit Kunden, die eine solche Investition getätigt haben?
Barbara Eiselen: Nach einer solchen Investition und nach Beendigung der vielen Arbeit, oft mit einem bedeutenden Anteil an Eigenleistung, strahlt der Hof natürlich in neuem Glanz. Es macht Freude im Stall und mit den Gerätschaften zu arbeiten. Finanziell sind die Bauern oft ans Limit gegangen. Mit neuem Melkstand, Milchkühlanlage, Futterzuschieber, Greiferanlage, Güllegrube und und und, landet man schnell bei Investitionskosten über einer Million Franken. Den Kredit müssen die Bauern dann über die nächsten 20 Jahre abbezahlen, was ihren Handlungsspielraum einengt.

 

Inwiefern sind die Personen weniger flexibel?
Nach dem Erreichen dieses teuren Ziels kommt die Alltagsarbeit. Den Menschen wird mit der Zeit bewusst, dass sie nun 20 Jahre lang von äusseren Faktoren abhängig sind wie beispielsweise den Milchpreisen, den Futterkosten oder den Schweinefleischpreisen im Falle eines Schweinestallneubaus. Man sitzt dann auf dem Schuldenberg, steckt in den Alltagsroutinen fest und hat auf der Preis- und der Kostenseite kaum Handlungsspielräume, auch nicht für andere Projekte. Man milkt dann einfach Tag für Tag. Das kann mit der Zeit auslaugend wirken.

 

Was kann man dagegen tun?
Man sollte im Grunde immer dafür sorgen, dass Handlungsspielräume behalten werden können, und oft beginnt das im Kopf. Ich gebe gerne ein Beispiel eines Landwirts, der vor rund zehn Jahren eine grosse Investition getätigt hat und genau da feststeckte: in der Alltagsroutine, finanziell eng und ohne Ziele für seine Zukunft. Auch wenn seine Entscheidung damals richtig war, so hat er diesen Zustand nicht kommen gesehen. Die gute Nachricht ist, dass jeder Mensch die Fähigkeit besitzt, auch in solchen Situationen wieder Handlungsspielräume zu schaffen. Dazu braucht es neue Ziele, aber auch eine intensive Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation. So werden neue Kräfte in Bewegung gesetzt. Das Schlimmste ist eigentlich, keine Ziele mehr zu haben.

 

Was meinen Sie mit Handlungsspielräumen konkret?
Ein wichtiger Handlungsspielraum ist der finanzielle, einer, der Investitionen zulässt. Dafür ist der Cashflow eine wichtige Kenngrösse. Handlungsspielräume sollten aber auch auf der Arbeitskräfte-Seite behalten werden. Man darf nicht auf den alternden Vater setzen, ohne Alternativen zu studieren. Auch im Vermarktungsbereich ist es sinnvoll, sich nach lukrativeren Vermarktungs-Alternativen umzusehen. Es geht also darum, trotz brandneuem Stall immer andere Möglichkeiten im Auge zu behalten. Das ist wichtig.

 

Was können Landwirte tun, um Handlungsspielräume und strategisches Denken zu behalten, trotz grosser Investition?
Dazu habe ich zwei Antworten. Die Besserwisser-Antwort lautet, dass man sich die wichtigen Fragen doch vor der grossen Investition hätte stellen sollen. Denn oft kommen die Menschen erst zu mir, wenn sie eben im Alter von 40 oder 50 feststecken. Wenn man jung ist, denkt man oft noch, dass alles möglich ist und man alles selber schafft. Man ist voller Tatendrang, ein kompetenter Landwirt und ist körperlich fit. Man hat es im Griff. Und das ist auch gut so.

 

Über diese Artikel-Serie

 

Anfang Mai dieses Jahres hat schweizerbauer.ch eine Online-Umfrage zum Thema Beratung aufgeschaltet und die Leser gefragt «Welche Themen beschäftigen Sie zurzeit und wo möchten Sie gerne Antwort erhalten?»

 

So haben die 186 Teilnehmenden geantwortet.

 

Barbara Eiselen geht monatlich auf eines der meistgenannten Themen ein.  Letzten Monat ging es in ihrem Artikel um das Schaffen von mehr Freizeit. Im nächsten Artikel, Anfang August, geht es um die Rollenverteilung Mann/Frau.

 

Was empfehlen Sie den jungen Bauern also?
Investiert in die Architektur – nicht nur eures Stalles – sondern auch eurer Vision. Stellt euch diese wichtigen Fragen frühzeitig: Wofür brenne ich eigentlich? Wo liegt meine Leidenschaft wirklich? Und wo handle ich insgeheim doch aus einem Verpflichtungsgefühl? Was ausser der reinen Produktion interessiert mich sehr: Technik, Menschen, Vermarktung, spezialisierte Produktion, Kunst…? Wie kann ich das sinnvoll einbinden? Wie kann ich jetzt schon Möglichkeiten für einen höheren Produktpreis und weniger Arbeitsstunden sehen? Wie unterstützt mich meine Ehefrau, meine Familie in diesem Vorhaben? Was ist ihre Funktion in der Strategie? Ich erinnere mich gut an einen Bauern, der eine sehr grosse Investition in einen sehr teuren Stall getätigt hatte. Fünf Jahre später war seine Frau ausgezogen, und erst da realisierte er, dass sie dieses Vorhaben eigentlich nie guthiess. Man geht in unserer Gesellschaft leider oft über solche schon fast intimen, aber wichtigen Fragen hinweg – weil man davon ausgeht, dass es dann schon laufen wird.

 

Und als zweite Antwort?
Die zweite Variante ist, dass die Landwirte etwa im Alter von etwa 40 bis 55 Jahren zu mir kommen, weil sie dann wirklich feststecken, depressive Verstimmungen haben oder sich die Konflikte häufen. Nicht selten steckt auch eine Ehekrise dahinter. Auch wenn bereits grosse Investitionen getätigt worden sind, die nun abbezahlt werden müssen, so ist es nie zu spät, sich die wichtigen Fragen, die ich oben erwähnt habe, zu stellen und jetzt neue Ziele zu definieren (Eiselen betont die Worte «nie» und «jetzt»). Damit wird auch die Routinearbeit wesentlich erträglicher, man kommt in eine neue Zuversicht und es werden neue Umsetzungskräfte frei.

 

Was könnte die neue Strategie sein?
In diesem Alter haben die Menschen oft den Vorteil, dass sie schon einiges über sich wissen, viel Erfahrung gesammelt haben und viel genauer definieren können, wohin die Strategie ab jetzt gehen soll. Damit wird auch klar, welche Tätigkeiten sich schon fast von alleine erübrigen, wo mehr Freiraum geschaffen werden und wo das Neue entstehen kann. Das Neue kann alles Mögliche sein und ist sehr individuell, weil die persönlichen Fähigkeiten, Neigungen und Erfahrungen sehr unterschiedlich sind. Daher würde ich am liebsten auf Beispiele verzichten, die niemals für jeden passen. Aber ich gebe trotzdem ein paar. Es können zum Beispiel sein: Kurse auf dem Hof für Holzschnitzereien, Entwicklung einer ganz neuen Marke für Produkte mit speziellen Qualitätsmerkmalen, Aufbau eines modernen Marketingsystems, Yoga-Retreats auf dem Hof oder eben der Neubau eines Stalles. Wenn man das tut, was man gerne tut und ein Ziel vor Augen hat, dann erwirtschaftet man da auch viel leichter Umsatz.

 

Inwiefern unterscheiden sich die jüngeren von den älteren Landwirten?
Im Grunde nicht. Alle haben ihre Herausforderungen. Aber die Lebenskraft und der, ich würde mal sagen, Hochmut, nehmen mit dem Alter ab. Man kommt mehr zur Raison. Und trotzdem lohnt es sich schon im jungen Alter, wie schon erwähnt, die wichtigen Fragen zu stellen. Es kommen viele gut ausgebildete junge Landwirte auf mich zu, die eine etwas revolutionäre Vision für ihren elterlichen Hof haben, die aber keine Ahnung haben, wie sie diese der älteren Generation gegenüber vertreten sollen. Oft geht es da um ganz individuelle Neigungen, die auf dem Wert des elterlichen Hofes aufbauen. Beispiele sind: Integration von Menschen auf dem Hof (Solidarlandwirtschaft oder Betreutes Wohnen), das Testen neuer Produktionssysteme, Hoftötungen,  usw. Die Vielfalt ist gross.

 

Ist unternehmerisches Denken und eine Investition in einen modernen Milchviehstall dann falsch?
Nein, überhaupt nicht. Wenn es deiner Leidenschaft entspricht, du Handlungsspielräume behältst, du interessante Vermarktungskanäle siehst, du eine Strategie für die Arbeitsbewältigung hast, du deine Strategie immer weiterentwickelst und immer Ziele vor Augen hast, dann ist das total richtig. Und so kannst du das Geld aus der Investition viel einfacher zurückerwirtschaften.

 

Was ist gutes unternehmerisches Denken in der Schweizer Landwirtschaft?
Die Schweizer Landwirtschaft ist in den dicht besiedelten Gebieten oft sehr nahe an der Bevölkerung. Nicht so wie beispielsweise in Frankreich oder in grossen Teilen Deutschlands. Im Vergleich ist die Schweizer Landwirtschaft sehr klein strukturiert. Und das sollte als Chance und nicht als Last betrachtet werden. Beispielsweise kann eine professionell aufgezogene Produktion mit einer guten Vermarktung dahinter sehr interessant sein. Meine Eltern sind 1990 nach Frankreich ausgesiedelt, um mehr Flächen zu bewirtschaften und sich mehr auf die Produktion zu konzentrieren. Das ist auch ein möglicher Weg, der aber auch seine Tücken hat.

 

Was raten Sie Personen, die gerade vor der Hofübernahme stehen?
Eine Hofübernahme ist ja bereits eine Investition. Und dazu ist eine Vision und die Beantwortung der oben gestellten Fragen wichtig. Sehr wichtig ist aber auch die Beziehung zu den Eltern. Nicht selten entstehen nämlich grosse fast unerträgliche Generationenkonflikte, die man frühzeitig angehen sollte, indem sich beide Generationen vor der Hofübergabe die richtigen Fragen stellen.

 

Was möchten Sie den Bauern als Letztes mit auf den Weg geben?
Nehmt euch die Zeit fürs unternehmerische Denken. Holt euch eine oder mehrere kompetente Personen an die Seite, welche die richtigen Fragen stellen und die euch helfen, eure Vision zu entwickeln, auch fürs Pensionsalter im Übrigen. Es lohnt sich auf alle Fälle: «Es ist es allemal der Wert» wie mir ein Kunde kürzlich sagte. Es schafft die Grundlage für ein langfristig zufriedenes Leben, ohne ständige Reibereien. Dieser Wert an sich ist schon fast unbezahlbar, oder nicht?

 

Über die Person

 

Barbara Eiselen ist Agronomin und war viele Jahre in der landwirtschaftlichen Lehre und Forschung in den Bereichen Betriebswirtschaft, Agrarpolitik und -märkte tätig. In ihrer beruflichen Laufbahn erkannte sie, dass es sich bei Hofstrategien und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen meistens um tieferliegende Themen handelt. Barbara Eiselen bildete sich fort in den Bereichen Coaching, Psychologie und Familiensysteme und ist heute selbstständige Beraterin. Sie hat die Vision, die Hemmschwelle für Tabu-Themen in der Landwirtschaft zu brechen, so dass man sich frühzeitig Hilfe für die wahren Probleme holen darf. Sie nennt es «den Service für die Seele, die Psyche und die Ehe, genauso wie der Traktor auch seinen jährlichen Service bekommt». Eiselen ist Bauerntochter und Schwiegertochter einer Bauernfamilie. 

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