In der Nähe von Zürich produziert das Jungunternehmen Yasai Kräuter in einer Fabrikhalle. Coop nimmt Basilikum als erstes Produkt ins Sortiment auf. Die Fenaco unterstützt die Pilotanlage mit einer halben Million Franken. Sie sieht beim Vertical Farming auch Chancen für die Schweizer Bauern.
Vertical Farming wird in Hochhäuser und in Hallen angewandt. Gemüse, Salate und Kräuter wachsen übereinander gestapelt auf mehreren Regalen. Durch die Verlagerung der Produktion vom Boden in die Höhe und der damit verbundenen Nutzung von mehreren übereinander gelagerten Ebenen kann mehr angebaut werden, als auf der vergleichbaren Grundfläche auf dem Boden.
Zudem können Nutzpflanzen das ganze Jahr hindurch angebaut werden, da für sie optimale Bedingungen künstlich geschaffen werden können. «Mit weniger Ressourcen kann mehr produziert werden», schreibt die ETH Zürich in einem Blogbeitrag von vergangenem August. «Vertical Farming» bringe vor allem ökologische Vorteile.
Vorteile und Hindernisse der vertikalen Landwirtschaft
Auf der Website pflanzenfabrik.de werden die Vorteile und Probleme des Vertical Farming aufgelistet:
Ökonomische Vorteile
Das Ernteprodukt weist höchste Qualität auf, kann gut vermarktet und exportiert werden. Die Erträge sind aufgrund fehlender Umwelteinflüsse kalkulierbar. Der Bedarf an Pflanzenschutzmitteln ist geringer. Die lokale Produktion ermöglicht kurze Transportwege.
Ökologische Vorteile
Chemische Pflanzenschutzmittel werden vermindert eingesetzt. Der Einsatz fossiler Energieträger kann durch kurze Transportwege reduziert werden. Der Energiebedarf kann aus erneuerbarer Energie gedeckt werden. Wasser wird um ein Vielfaches eingespart.
Soziale und politische Vorteile
Neuer Arbeitsplätze in den Bereichen Ingenieurwesen, Biochemie, Biotechnologie, Bauwesen, Wartung, Forschungs- und Entwicklungsmöglichkeiten entstehen. Der Leerstand in Städten kann durch vertikale Farmen reduziert werden. Eine verbesserte Produktivität kann zukünftig zu niedrigeren Lebensmittelpreisen führen. Die Nahrungsmittelsicherheit kann gesteigert und Importe reduziert werden.
Probleme
«Die grösste Herausforderung vertikaler Farmen besteht in ihrer Rentabilität. Nur wenige vertikale Farmen sind aufgrund ihres hohen Energiebedarfes rentabel. Hohe Investitionskosten erschweren zudem den Markteintritt für Start-ups», heisst es auf der Website. Eine weitere Herausforderung bestehe darin, kohlenhydratreiche Pflanzen rentabel vertikal zu kultivieren.
Mit weniger mehr anbauen
Dieser Landwirtschaftsform wird reichlich Potenzial zugesprochen. Auch in der Schweiz wird Vertical Farming vorangetrieben. 2020 gründete Mark Zahran gemeinsam mit seinem Halbbruder Stefano Augstburger sowie dem Umweltingenieur Philipp Bosshard das Unternehmen Yasai.
Basierend auf einer Kreislaufwirtschaft will das Spin-Off der ETH Zürich schlüsselfertige Lösung anbieten. Das soll Produzenten helfen, Produkte zu kreieren, zu betreiben und zu vermarkten. «Yasai ermöglicht seinen Kunden, mehr mit weniger anzubauen. Yasai trägt somit zur Kreation eines zirkulären Lebensmittelproduktion-Systems in Städten und Regionen mit einem Mangel an landwirtschaftlichen Ressourcen wie Frischwasser oder fruchtbarem Land bei», heisst es auf der Website.
«Wir produzieren nachhaltiger»
Im Oktober 2020 ging das Unternehmen mit Fenaco eine Zusammenarbeit. Der Agrarkonzern stellte eine halbe Million Franken für eine Pilotanlage in Form eines Darlehens zur Verfügung. Diese wurde Niederhasli ZH errichtet. Das Besondere daran: Die Pflanzen gedeihen nicht in der Erde, sondern in nährstoffreichem Wasser. Das Klima des Raums – Licht, Temperatur, Bewässerung – wird automatisch reguliert. Künstliche Intelligenz hilft dabei, die idealen Bedingungen zu schaffen, heisst es im ETH-Blog weiter.
«Auf der gleichen Fläche produzieren wir 15-mal mehr und brauchen 95 Prozent weniger Wasser», erklärte Zahran. Pestizide würden nicht benötigt. Ein weiterer Vorteil: Der Anbau erfolgt im Siedlungsgebiet, Transportkosten fallen entsprechend klein aus. «Unsere Produkte sind sogar besser als Bio. Denn wir produzieren nachhaltiger. Aus weniger Ressourcen machen wir mehr. Garantiert ohne Pestizide», sagte der Jungunternehmer. Die gestapelte Bauweise verspricht gegenüber der herkömmlichen Produktion eine markante Steigerung der Produktivität.
Yasai
Fenaco will nicht selbst produzieren
Gut ein Jahr später ist es nun soweit: Die Vertical-Farm-Pilot ist in Betrieb, in Kürze kommen die ersten Produkte in den Handel. Die Fenaco äussert sich optimistisch zum Start. Die Indoor-Produktion ermögliche einen Anbau während 24 Stunden und 365 Tagen im Jahr. So könne den Anteil von Schweizer Gemüse und Kräutern gesteigert werden.
Das Engagement versteht die Fenaco nicht als Konkurrenz für die Landwirte. «Wir betrachten unsere Investition als Vorleistung und Entscheidungsgrundlage für unsere Mitglieder, die Schweizer Bäuerinnen und Bauern. Selbst wollen wir auch in Zukunft nicht landwirtschaftlich produzieren», lässt sich Daniel Schwab, Category Manager Gemüse bei Fenaco, in einer Mitteilung zitieren.
Chance für Schweizer Bauern
Das Vertical Farming bietet aus der Sicht des Agrarkonzerns für Bauern neue Chancen. Denn in den kommenden Jahren soll die Technologie auf landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt werden. Einsatzmöglichkeiten seien Gegenden mit wenig Trinkwasser oder landwirtschaftlichen Flächen, aber auch leerstehende Industriehallen in der Schweiz. «Der Schlüssel zu einem rentablen Betrieb liegt bei der Skalierung und Automatisierung der Prozesse», so Daniel Schwab.
Zudem nehme die Nachfrage nach Lebensmitteln, die nachhaltig produziert wurden – mit geringem Wasserverbrauch und ohne chemisch-synthetische Wirkstoffe – stetig zu. «Es braucht aber noch eine abschliessende Validierung der Pilotfarm und des Marktpotenzials», dämpft Schwab aber allzu übersteigerte Hoffnungen ab.
Fenaco
20 Tonnen Kräuter pro Jahr
Die Produktion in der Pilotanlage wird nun schrittweise hochgefahren. Basilikum wird als erstes Erzeugnis auf den Markt gebracht. «Ab März fügen wir unserem Sortiment Minze und Koriander hinzu. Blattgemüse und Beeren sind in Planung», erklärt Yasai-Chef Mark Zahran. Die Anlage bietet aktuell auf 600 Quadratmetern Platz für rund 50’000 Pflanzen und ist weiter ausbaufähig. Für die Markteinführung gedeihen tausende Basilikumpflänzchen.
Das grösste Problem beim Vertical Farming ist gemäss dem ETH-Beitrag die Energie, die notwendig ist, um die Hallen auf 25 Grad zu heizen und das Sonnenlicht mittels Lampen zu imitieren. «Darum nutzen wir Abwärme zum Heizen und energiesparende LED-Lampen für die Beleuchtung», so Zahran. Der Strom für die Anlage wird komplett aus erneuerbaren Energien gespeist.
Das Ziel von Yasai ist es, rund 20 Tonnen Kräuter pro Jahr in den Handel zu bringen. Weshalb konzentriert sich das Unternehmen auf Küchenkräuter? «Das sind die Produkte, die meistens eingeflogen werden und zudem profitabel sind» so Zahran. Ziel sei es, Vertical Farming bei jeglichen Gemüse- oder Früchtearten anzuwenden. «Mit billigen Peperoni aus Spanien können wir aber noch nicht konkurrieren», stellte Zahran im ETH-Blog klar.
In 80 Coop-Läden
Zu kaufen gibt es das Kraut seit dieser Woche bei Coop, dies in rund 80 ausgewählten Supermärkte im Raum Zürich, Basel und Luzern. Eine Packung des Vertical-Farming-Basilikums kostet 2,95 Franken. Wie Coop gegenüber 20 Minuten sagt, kann das Produkt von Yasai mit der Konkurrenz preislich mithalten.
Coop lobt das neue System. «Durch die gestapelten Anbauflächen in Innenräumen wird die Fläche optimal genutzt, so wird wertvolles Landwirtschaftsland geschont. Das Ganze bei 95 % weniger Frischwasser-Verbrauch und ohne Einsatz von Pestiziden.»
Alle verwendeten Substrate seien zu 100 % biologisch abbaubar. Und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz würden die Lebensbedingungen der Pflanzen laufend optimiert. Ob sich das Produkt schlussendlich am Markt durchsetzen wird, entscheiden die Konsumentinnen und Konsumenten.
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