Der Selbstversorgungsgrad soll nicht unter 60% fallen, der EU-Agrarfreihandel verunmöglicht und bäuerliche Betriebe erhalten bleiben. Mit einer Volksinitiative will eine Kerngruppe in der Agrarpolitik gegensteuern.
«Wollen wir in der Schweiz eine produzierende Landwirtschaft für die Herstellung gesunder, qualitativ guter einheimischer Nahrungsmittel – oder soll die Landwirtschaft definitiv abgeschafft werden?» Darum gehe es bei der Landwirtschaftsinitiative, sagt Nationalrat Rudolf Joder (SVP, BE).
In den letzten zehn Jahren seien wiederum 15'000 Betriebe mit Tausenden von Arbeitsplätzen verschwunden, und die landwirtschaftliche Nutzfläche nehme weiter ab. Für ihn ist deshalb klar: «Die offizielle Agrarpolitik ist gescheitert.» Sie sei auch geprägt durch Kurzsichtigkeit und Unaufrichtigkeit – «man sagt Strukturwandel und meint Dezimieren», kritisiert er.
Initiativtext steht
Gemeinsam mit Walter Willener, Präsident der Sals, und Samuel Graber, Präsident des Schweizer Kälbermäster-Verbandes, bildet Joder eine dreiköpfige Kerngruppe. Willener und Graber sind vorerst als Privatpersonen dabei. Die drei haben in den letzten Monaten den Text einer Volksinitiative erarbeitet.
Unterstützt wurden sie dabei von Professor Paul Richli, Rektor der Universität Luzern und Spezialist für Agrarrecht. Bei der Bundeskanzlei zur Vorprüfung eingereicht werde der Text für die Verfassungsänderung erst, «wenn wir sicher sind, dass die Landwirtschaftsinitiative zum Erfolg führt», sagt Joder.
60% Selbstversorgung - Marktöffnungen stoppen
Der vorliegende Initiativtext ergänzt den bestehenden Artikel 104 der Bundesverfassung. Die Landwirtschaft soll, so steht dort heute bereits, einen Beitrag zur sicheren Versorgung der Bevölkerung leisten. Die Initianten wollen dies um den Zusatz präzisieren: «Dabei soll ein Selbstversorgungsgrad von mindestens 60 Prozent des Gesamtbedarfs erreicht werden.» Im Jahr 2010 lag der Brutto-Selbstversorgungsgrad laut dem Bund bei 60,4%.
In Absatz 2 will die Kerngruppe, dass der Bund die bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betriebe und – neu – die Biodiversität fördere. Und dann folgt ein bedeutsamer Zusatz: «Insbesondere sorgt er dafür, dass die Einfuhr ausländischer landwirtschaftlicher Erzeugnisse nicht weiter liberalisiert wird.» Mit dieser Passage wollen die Initianten ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU oder sektorielle Marktöffnungen verunmöglichen. In den Übergangsbestimmungen steht, dass dieser Absatz «ohne Ausführungsbestimmung unmittelbar mit der Annahme» der Volksinititative gilt.
Das sagt der Bauernverband
Der Schweizerische Bauernverband richtet aus, er kenne die Details des obigen Initiativprojekts nicht und könne deshalb keine Wertung abgeben. Seit mehreren Monaten beschäftige er sich mit der Frage einer Volksinitiative, welche auf die Sicherung des Kulturlands abziele und die Selbstversorgung mit inländischen Landwirtschaftsprodukten stärke. Mit einem Verfassungsrechtler besprochene Texte lägen vor. sal
Kulturland sichern
Auch dem rapiden Kulturlandverlust in der Schweiz will die Landwirtschaftsinitiative entgegentreten. «Der Bund sichert die landwirtschaftliche Anbau- und Fruchtfolgefläche», soll neu in der Verfassung stehen. Das Wort «sichern» kommt noch in einem anderen Zusammenhang vor: Der Bund soll die bäuerlichen Einkommen durch Direktzahlungen nicht nur zur Erzielung eines angemessenen Entgelts für die erbrachten Leistungen, sondern auch «zur Sicherung der bäuerlichen Betriebe» ergänzen.
Er habe immer gesagt, das Referendum gegen die Agrarpolitik 2014–2017 (AP 2017) bringe nichts – «aber diese Landwirtschaftsinitiative brauchen wir», ist Willener überzeugt. Die Landwirtschaft müsse in die Offensive gehen, aktiv werden, bevor die Diskussion um die Agrarpolitik 2018—2021 beginne. Graber geht es insbesondere um die tierische Produktion, die mit der AP 2017 massiv geschwächt werde. «Hier müssen wir bald aufzeigen, dass es wieder mehr in Richtung Produktion gehen muss», sagt Graber.
Das Ziel der 60%-Selbstversorgung soll den Betrieben eine Perspektive geben. Es gelte nun, die Konsumenten mit ins Boot zu holen. «Möglichst viele Konsumenten als Verbündete zu gewinnen, ist zentral.»
«Bevor es zu spät ist»
Permanent würden gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft erschwert, die Agrarbürokratie massiv ausgebaut und und die Importe liberalisiert, stellt Joder fest. «Der Druck auf die Einzelbetriebe steigt massiv an, und immer mehr müssen kapitulieren.» Über die Zukunft der Landwirtschaft müsse deshalb entschieden werden, solange es eine solche noch gebe, betont Joder.
Das sagt die Lobag
Der Berner Bauernverband Lobag teilt mit: «Die Lobag hat im Frühling den SBV wie auch Sals aufgefordert, die Möglichkeiten einer nationalen Initiative zu einer angemessenen Versorgungssicherheit zu prüfen. An der Sitzung des SBV-Vorstandes von kommender Woche ist dieser Punkt traktandiert. Der Lobag ist bekannt und sie begrüsst, dass sich auch weitere Kreise dieses Anliegens annehmen. Wichtig wird sein, die gemeinsamen Bemühungen zielgerichtet zu koordinieren und die Kräfte zu bündeln.» sal




