Konsumentinnen und Konsumenten wollen vermehrt wissen, woher Produkte kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden», sagt Bernhard Neuenschwander, der die 161-jährige G. Neuenschwander Söhne AG (GNS) in Oberdiessbach leitet.
Hier kann die GNS punkten: Bei Lohnaufträgen verarbeitet die Gerberei ausschliesslich Rohware aus der Schweiz in der Schweiz mit ihrem guten gesetzlichen Schutz für Arbeitsbedingungen, Tier und Umwelt.
Vielseitig und nachhaltig
Lohnaufträge von Landwirten aus der ganzen Schweiz sind ein wichtiger Teil des Geschäfts. «Das fördern wir auch», sagt Bernhard Neuenschwander, «denn gerade Hofläden können ihrer Kundschaft gut erklären, was Nachhaltigkeit bedeutet. Beim Kochen ist die Verwertung des ganzen Tieres – ‹Nose to Tail› – ein Trend.»
Aber jedes Tier habe auch ein Fell, das allzu oft mit anderen Schlachtnebenprodukten in Sammelstellen lande und billig nach Südeuropa exportiert werde. «Doch sind Fell und Leder wertvolle Rohstoffe.» Von Kleidung und Möbeln bis zu Accessoires lassen sich daraus unzählige schöne Dinge machen, die praktisch ein Leben lang halten.
GNS gerbt alles, vom Kaninchen- bis zum Rinderfell. Jede Fellsorte eignet sich für bestimmte Verwendungszwecke und erfordert ganz bestimmte Gerbmethoden. «Weitaus am häufigsten verarbeiten wir Schaffelle», erläutert Bernhard Neuenschwander. Daraus entstehen oft dekorative Einrichtungen, Sitzbezüge, Haus- oder Handschuhe.
Da Schaf- und Lammfelle Temperatur und Feuchtigkeit regulieren, eignen sie sich besonders als Betteinlagen für Kleinkinder oder für bettlägerige Menschen. Solche Felle erhalten eine spezielle «Medizinalgerbung» mit Glutaraldehyd, damit sie problemlos gewaschen werden können.
Da Schaf- und Lammfelle Temperatur und Feuchtigkeit regulieren, eignen sie sich besonders als Betteinlagen für Kleinkinder oder für bettlägerige Menschen.
In allen anderen Fällen verwendet die Gerberei Neuenschwander Aluminiumsalze, welche die Naturfarben der Felle erhalten oder die Mimosagerbung mit pflanzlichen Gerbstoffen. Zunächst werden aber die gesalzen oder getrocknet angelieferten Felle im Haspeltrog eingeweicht.
Dann gehts in die Entfleischungsmaschine, bevor die Häute durch Pickeln, Fetten und Dünnschneiden so vorbereitet werden, dass sie die Gerbstoffe gut aufnehmen. Das Gerben verbindet die Hautfasern der Lederschicht zu einem dehnbaren, atmungsaktiven und haltbaren Leder, das nicht mehr faulen kann.
Keine grossen Veränderungen
Nach dem Gerben werden die Felle geschleudert, in Form gezogen, getrocknet, gespannt und gereinigt. Auf der Lederseite gilt es, die letzten Geweberesten abzuschleifen. Die Fellseite erhält durch wiederholtes Kämmen, je nach Verwendung auch durch Scheren und Bügeln, die gewünschte Form.
«Seit der Industrialisierung der Gerbereien im 19. und im frühen 20. Jahrhundert hat sich nichts mehr grundlegend verändert», erklärt Neuenschwander. Natürlich tüftle man ständig an Optimierungen und an Rezepten für die Gerbstoffe. Und Prozessflüssigkeiten wie die Gerbflotten würden bis zu 15 Mal verwendet. Zur ARA darf nur gereinigtes Wasser fliessen – das müssen die Gerberei und das kantonale Gewässerschutzlabor regelmässig überprüfen.
Gewerbe mit Zukunft
Weil jedes Fell einzigartig ist, bedingt seine Bearbeitung viel Handarbeit und Fingerspitzengefühl. Dieser grosse Anteil an Handarbeit führt dazu, dass Schweizer Produkte preislich nicht mit Importware konkurrieren können.
Trotzdem sieht Bernhard Neuenschwander angesichts des wachsenden Interesses für Nachhaltigkeit Entwicklungspotenzial. Und so bildet er in seinem Betrieb mit 20 Mitarbeitenden auch wieder einen Lehrling aus – in der Schweizer Gerberei ein so seltenes Ereignis, dass der Lehrling die Berufsschule in Deutschland besuchen muss.