Lucia Netzer aus Savognin GR und ihr Team verarbeiten reine Schafwolle und hochwertige Stoffe zu Duvets, Kissen und Decken. Damit wird die Attraktivität der Schafwolle gesteigert und Arbeitsplätze in der Region geschaffen.
Während des Zweiten Weltkriegs war Schafwolle begehrt, die Schafhalter erhielten zum Teil hohe Preise für einwandfreie Schafwolle. Doch die Zeiten änderten sich, und die Wolle war nichts mehr wert. Schafe müssen ein- bis zweimal pro Jahr geschoren werden. Es entstehen Kosten, und es ist ein Zeitaufwand. Oft wurde die frisch geschorene Wolle verbrannt, damit möglichst wenig Entsorgungskosten anfielen.
Naturprodukt nutzen
Die Savogninerin Lucia Netzer-Peduzzi erinnerte sich daran, wie kostbar in ihrer Kindheit die Wolle war. Wie die Schafe von Hand geschoren, die Wolle sortiert, gewaschen, gekardet und dann zu Wolle versponnen wurde. Wolle wurde weiterverarbeitet: gestrickt, gehäkelt, gefilzt. Dass Wolle, eigentlich ein hochwertiges Naturprodukt, in unserer Zeit nicht mehr beachtet, sondern sogar entsorgt wurde, störte Lucia Netzer sehr. Mit dem Aufbau des Parc Ela wurden auch Varianten gesucht, wie in Mittelbünden vorhandene Rohstoffe nachhaltig verarbeitet werden könnten. Lucia Netzer-Peduzzi begann, Nägel mit Köpfen zu machen. Sie suchte nach Möglichkeiten, die Attraktivität der Schafwolle zu steigern und Arbeitsplätze in der Region zu generieren.
Heute werden die Schafe meist maschinell von einem Profi geschoren. Die Wolle wird eingesammelt, gewaschen und gekardet und als Vlies dem Kunden geliefert. Pro Schaf gibt es vielleicht zwei Kilogramm hochwertige Wolle, die hier im Atelier Pôss weiterverarbeitet wird. Der Rest der Wolle kann zum Beispiel für Isolationsmaterialien verwendet werden.
Ein eigenes Atelier
Die gelernte Damenschneiderin fertigte 2002 für das Theater «Federico» die Kostüme an. Dazu brauchte sie ein Nähatelier, das sie dann im Gebäude der Skischule Savognin fand. Nun konnte sie nebst Kleidernähen auch mit Schafwolle experimentieren. Als Erstes wurde eine Decke für einen Hund genäht. Damit war der Startschuss gefallen, und es folgten verschiedene Produkte, die immer wieder verbessert wurden. Lucia Netzer-Peduzzi und ihre Helferinnen, Marie-Luisa Dosch, Maria Ursula Steier und Annamarie Schaniel, verbesserten und verfeinerten die Produkte immer wieder. «Denn Schafwolle lebt», sagt Lucia Netzer-Peduzzi, «die Wolle wandert durch die Stoffe, nur mit speziellen Stoffen gelingt es, die Wolle im Duvet, im Kissen oder in der Decke zu behalten. Sie muss fixiert werden und trotzdem Platz haben, sie muss atmen und sich bewegen können.»
Hochwertiges Produkt
In einem fertigen Produkt steckt viel Handarbeit drin. Zudem ist äusserst exaktes Arbeiten wichtig. Wenn man bei einem grossen Duvet die Fixierungsstiche jeweils nur um ein paar Millimeter verschiebt, so gerät das ganze Duvet aus der Form. Und das kann und will sie sich nicht leisten. Für ein Spitzenprodukt werden die hohen Preise (Duvet ab 540, Kissen ab 160 Franken) gerne bezahlt. Weil so viel von Hand genäht wird, ist die Stückzahl pro Jahr begrenzt. 2012 stand das Atelier Pôss vor einer grossen Herausforderung, denn das Team erhielt einen Grossauftrag aus dem Engadin für ein Minergiehaus. Der Auftrag konnte termingerecht geliefert werden, freut sich Lucia Netzer-Peduzzi.
Savogniner Schafschur
Ihr ist es auch zu verdanken, dass in Savognin die Schafschur Anfang Oktober eingeführt wurde. An diesem Tag werden Schafe vor einem grossen Publikum geschoren, es gibt jede Menge Produkte rund ums Schaf zu kaufen, und es wird die Arbeit der Hütehunde mit einer kleinen Schafherde demonstriert. Hier sehen viele Menschen erstmals, wie Schafe geschoren werden, und die Besucherzahlen steigen jährlich – offensichtlich entspricht der Schafschur-Tag in Savognin einem Bedürfnis.
Mit einem einmaligen Beitrag für innovative Projekte vom Bundesamt für Landwirtschaft, mit eigenen Mitteln, viel Begeisterung und Eigenleistungen wurde das Atelier Pôss aufgebaut. Im Laufe der Jahre wurde viel ausprobiert und Know-how erarbeitet. Viel Wissen und exaktes Arbeiten haben zum Erfolg geführt. Im Jahr 2012 erhielt Lucia Netzer-Peduzzi zum ersten Mal für ihre Arbeit auch öffentliche Anerkennung. Sie erhielt 2012 den Preis für besondere Verdienste der Stiftung Bündner Kunsthandwerke zugesprochen.