Die Redaktion von «Schweizer Bauer» und «schweizerbauer.ch» wünscht Ihnen besinnliche Weihnachten. Die folgende Weihnachtsgeschichte soll zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken anregen.
Die Sonne wärmte den Rücken von Franz. Fast schien es ihm, es sei Frühling. Nur der frische Schnee am Berg gegenüber und die tiefstehende Sonne erinnerten ihn daran, dass es Dezember war. Weihnacht stand vor der Tür. Weihnacht, aber nicht weisse Weihnacht. «Holz gibt tatsächlich zwei Mal warm», dachte er sich. Holzspalten konnte sogar bei grosser Kälte Schweiss treiben. Aber bei diesen warmen Temperaturen erst recht. Zum Glück wurde der Holzberg immer kleiner. Und zum Glück musste Franz nicht melken gehen. Die Milchkühe hatte er vor einem Jahr verkauft.
Zwar war damals der Milchpreis wieder etwas besser. Aber sein Stall war alt, nicht mehr tierschutzkonform. Zudem hatte er ein gutes Angebot, für auswärts arbeiten zu gehen. Und deshalb entschied er sich schweren Herzens, seine geliebten Milchkühe zu verkaufen. «Wie recht ich doch mit meinem Entscheid hatte», dachte er sich. Denn seine Kollegen in der Gegend berichteten ihm, dass sie nach Neujahr nach allen Abzügen wohl nur noch gut 50 Rappen pro Kilo Milch ausbezahlt erhielten.
Nur noch Schafe und ein paar Hühner bevölkerten deshalb den Hof. Der Kuhstall hingegen stand nun leer. Nicht mehr lange jedoch. Franz und seine Frau Gaby wollten einen Partyraum einbauen. Denn ihr Hof lag landschaftlich schön. Die Aussicht auf die Berge beeindruckte immer wieder alle Besucher. Und Gaby hatte ein Flair zum Umgang mit den Gästen. Auch das über zweihundertjährige Wohnhaus war eine Augenweide. Dies vor allem im Sommer, wenn Gaby es mit Geranien schmückte. Doch auch in der Wintersonne machte es einen stattlichen Eindruck. Franz mochte das Haus. Er war hier aufgewachsen. Genau gleich, wie seine Kinder jetzt auch hier aufwuchsen. Ein kleines Paradies.
Doch das Paradies bereitete ihm auch Sorgen. Die Denkmalpflege hatte den Hof schon lange in ihrem Inventar registriert. Früher war Franz sogar ein wenig stolz, dass sein Haus den Status «schützenswert» hat. Bald einmal merkte er jedoch, dass dies nicht nur von Vorteil war. Denn sobald man etwas daran bauen wollte, meldeten sich die Experten und hatten Einwände. So auch beim Stallumbau.
Die kleinen, nicht mehr tierschutzkonformen Stallfenster brachten sehr wenig Licht hinein. Aber für die Bewirtung von Gästen am 1. August-Bruch oder an Hochzeiten sollte das Licht gemäss Meinung der Denkmalpflege reichen. Und das war nicht das einzige Problem. Um die Anforderungen bezüglich Lebensmittelsicherheit zu erfüllen, musste eine Küche mit grosszügigen Kühlaggregaten und sonstigen Apparaten eingebaut werden. Aber sie hatten das Geld eben noch immer nicht beisammen. Trotz wunderschönem Sonnenuntergang wurde Franz bei diesen Gedanken fast trübselig.
Das Holz war jetzt gespalten. «Aufschichten kann ich es dann auch noch in ein paar Tagen», dachte sich Franz. Er schlurfte zum Haus. Aber er ging nicht zur Haustüre, sondern zum Stall. Im ehemaligen Kuhstall hatte es noch wie in den guten, alten Zeiten ein Stallbänkli. Franz setzte sich dorthin. «Dort stand doch zuletzt die Flora», erinnerte er sich. Als Kalb wäre sie zwar fast gestorben. Sie hatte schlimmen Durchfall und er musste sie mühsam aufpäppeln. Dann aber hatte sie ein langes Leben, kalbte 14 Mal ab und erreichte eine Lebensleistung von über 100«000 kg Milch. Doch weil niemand so eine alte Kuh kaufen wollte, ging sie vor einem Jahr in die Metzg.
Auf einmal schien es ihm, dass der Stall gar nicht mehr leer sei. Die Kühe standen auf einmal wieder auf ihren Lägern. «Flora!» entfuhr es ihm, als seine Lieblingskuh wiederkäuend den Kopf zu ihm umdrehte. Flora schaute ihn mit ihren grossen Augen an. «Lieber Franz», sagte sie. Er zuckte zusammen. Flora konnte reden! «Tiere können doch nicht reden», antwortete er. «Lieber Franz. Heute ist Heilig Abend. Du weisst, wer an der Krippe in Betlehem dabei war?», erwiderte die Kuh. Franz schwieg. «Ochs und Esel», fuhr Flora nach einer Pause fort. «Immerhin lag das Jesus-Kind in einer Krippe. Also in dem, was euer Teller ist. Auch für uns Tiere ist die Heilige Nacht deshalb etwas spezielles», berichtete sie weiter.
Franz hatte seinen Schock etwas überwunden: «Liebe Flora, bitte verzeih mir, dass ich Dich schlachten liess. Aber ich wusste nicht, was ich mit Dir hätte machen sollen, als ich aufgehört habe zu melken.» Noch als er diese Worte aussprach, merkte er, wie absurd sie waren. Flora stand ja auf ihrem Läger, direkt vor ihm. Nun war er wieder sprachlos und senkte den Kopf.
Flora ergriff deshalb noch einmal das Wort: «Lieber Franz. Ich weiss, dass Du Dir viele Sorgen machst. Aber sei Dir bitte bewusst, dass Dich Sorgen nicht weiter bringen. Geld löst nicht alle Probleme. Schau doch: Du hast eine liebe, wunderbare Frau und drei zuckersüsse Kinder. Du hast Arbeit und einen schönen Hof. Was brauchst Du mehr, um glücklich zu sein?» Er hatte mit allem gerechnet. Aber nicht mit einer Kuh Flora, die nicht nur reden konnte, sondern ihm sogar Ratschläge gab.
Auf einmal rüttelte etwas an seinem Arm. «Flora?», rief Franz. «Nein, Gaby», tönte es zurück. «Du bist auf dem Stallbänkli eingeschlafen», fuhr sie fort. Er öffnete die Augen und schaute ins Gesicht seiner Frau. «Du bist wohl müde vom Holzspalten», meinte diese lächelnd, als er sie überrascht anblickte. Gaby hat zwar ein paar Fältchen, aber sie ist noch immer eine Klasse Frau, dachte er still bei sich. Da erst merkte Franz, dass der Stall wieder leer war. Keine Flora mehr. Er rieb sich die Augen, stand auf und ging mit ihr ins Haus. Die Kinder kamen ihm entgegen. «Papi, Papi, schau mal, wir haben die Krippe aufgestellt. Samt Engeln, Ochs und Esel», riefen sie ihm zu. Franz strahlte. Die gute, alte Flora hatte eben doch Recht gehabt. «Ich brauche wirklich nicht mehr, um glücklich zu sein», schmunzelte er.