In beiden Filmen sterben die Mütter. Ein Jäger erschiesst die Mutter von «Bambi», in den Schlachthof kommt jene von «Schweinchen Babe2. Doch in ihrem Leben vor dem Tod gab es einen grossen Unterschied: Die Hirschkuh konnte im Wald frei herumlaufen, die Zuchtsau war in der Massentierhaltung nur zum Abferkeln da, berichtet die «Welt am Sonntag».
Aus diesem Unterschied können Nicht-Vegetarier mit tierethischem Sensorium ein Argument für den Verzehr von Wildfleisch ableiten. «Man kann das Fleisch mit gutem Gewissen essen, weil die Tiere in den heimischen Wäldern ein artgerechtes Leben hatten», sagt Michael Reiss, Inhaber der Wildfleischmetzgerei «Wildererhütte» in Sachsen-Anhalt (D), gegenüber der «Welt am Sonntag».
Er nennt noch zwei weitere Argumente: Zum einen sei es notwendig, die Wildbestände zu reduzieren, um den Wald auf natürliche Weise erneuern zu können. «Nur wenn wir die Wildbestände reduzieren, kann sich der Wald auf natürliche Weise erneuern und werden die frischen Triebe nicht von den oft viel zu vielen Tieren weggefressen.» Zum anderen helfe das Jagen der Wildschweine der Landwirtschaft: «Das Jagen nutzt der Landwirtschaft und der Ernährung der Menschen, weil Jäger dafür sorgen, dass die Felder der Bauern nicht leer gefressen werden.»
Waschbär-Bratwürste sind besonders beliebt
Ein drittes Argument ist die Bekämpfung invasiver Arten, die sich ohne natürliche Feinde stark vermehren. Ein Beispiel sind Waschbären, die sich in Deutschland rasant ausbreiten. «Ich erlege jährlich rund 100 Waschbären», sagt Reiss, der das Fleisch dieser Tiere verkauft.
«Weil ihr Fleisch sehr gut schmeckt, wäre es ein Jammer, wenn man es wegwerfen würde.» Die Nachfrage nach Waschbärfleisch ist so hoch, dass Reiss inzwischen sieben Produkte mit diesem Fleisch im Angebot hat. «An unserem Imbiss-Wagen sind die Waschbär-Bratwürste besonders beliebt.»
Fischstäbchen aus invasiven Arten
Jedoch stösst die Jagd auf Waschbären auf Widerstand. Die Tierschutzorganisation Peta fordert, «die grausame Jagd auf Waschbären zu stoppen», und der Naturschutzbund Deutschland sieht die Bejagung als wenig effektiv. Bei anderen invasiven Arten wie Krabben oder Krebsen ist der Widerstand geringer.
Das Ehepaar Lukas und Jule Bosch aus Berlin vermarktet unter dem Namen Holycrab! Produkte aus invasiven Arten, wie den amerikanischen Flusskrebsen und Wollhandkrabben, die in Deutschland gefangen wurden. «Wenn die Zahl dieser Tiere dann reduziert werden muss, sollten wir die aber auch essen, und zwar möglichst ganz», erklärt Lukas Bosch. Das Ehepaar möchte durch besondere Fischstäbchen aus heimischem Fang die Erhaltung der Artenvielfalt mit einer nachhaltigen Lebensmittelverwertung verbinden.
Hürden bei Vermarktung
Das Vermarktungsproblem bleibt jedoch bestehen. Zwar werden jährlich 25’000 Tonnen Wildfleisch verkauft, doch es könnte mehr sein. Viele städtische Konsumenten finden es schwierig, Wildfleisch zu kaufen, da es in Grossstädten kaum Wildfleischhändler gibt. Zudem sind die grossen Mengenschwankungen von Wildfleisch für Discounter problematisch.
Auch bürokratische Hürden erschweren die Vermarktung von Wildfleisch. Benny Gränitz, ein Fleischer aus Chemnitz, hatte Probleme mit der Vermarktung von Nutria-Fleisch. Obwohl das Fangen und Tötung der Tiere nötig und erlaubt sei, wurden ihm wegen lebensmittelrechtlicher Vorschriften die Verarbeitungsrechte entzogen. Seitdem verkauft er nur noch Wildfleisch aus heimischer Jagd.
Trotz dieser Hürden gibt es auch Erfolge. Doch die Vermarktung von heimischem Wildfleisch bleibt eine Herausforderung, die mit vielen bürokratischen und kulturellen Barrieren verbunden ist.