Sie ist biegsam und stabil, porös und reissfest, die Wasserhaut Hydroskin für Gebäude. «Dieses neuartige Material kann den Kampf gegen die Folgen von Hitzewellen und Starkregen in Städten revolutionieren», meint dessen deutsche Erfinderin Christina Eisenbarth.
Freiluftversuch
Die Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart will die Fassaden von bestehenden und neuen Gebäuden nutzen, um an heissen Tagen zuvor gesammeltes Regenwasser zur Verdunstung und damit für die Kühlung einzusetzen. Hydroskin besteht aus mehreren Textillagen, die durch Fäden auf Abstand gehalten werden.
Das System wird nun im Freiluftversuch getestet: Derzeit steht ein Prototyp auf dem Campus der Universität Stuttgart. In einer Höhe von bis zu 36 Metern wird erprobt, ob die Fassade das hält, was die Wissenschaftler sich nach Hunderten von Laboruntersuchungen von ihr versprechen. Hydroskin soll sich wegen der grossen Fassadenflächen besonders für Hochhäuser eignen. «Überdies trifft der Regen mit zunehmender Höhe schräg auf die Fassade, sodass ab etwa 30 Metern Gebäudehöhe mehr Regen über die Fassade aufgenommen werden kann als von einer gleich grossen Dachfläche», erklärt die Erfinderin.
Hydroskin: Neue Gebäude-Technologie soll Stadtklima verbessern https://t.co/RfHb3RWcZbpic.twitter.com/zljVbfihXE
— CIOwirtschaft (@CIOwirtschaft) August 16, 2024
Und so funktioniert das Produkt im Detail: Das System ist aussen von einer wasserdurchlässigen Membran umgeben, die nach Auskunft der Universität fast alle Regentropfen eindringen lässt. Eine Folie an der Innenseite leitet das Wasser nach unten ab. Dann kann es entweder in einem Reservoir gespeichert oder direkt ins Gebäudeinnere geleitet werden, wo es etwa für die Waschmaschine, die Toilettenspülung und Pflanzenbewässerung verfügbar ist. Bei Hitze wird die Textilfassade mit Wasser befeuchtet und kühlt durch Verdunstung somit das Gebäude und den umgebenden Stadtraum.
Hitzeinseln machen den Bewohnern von Städten zu schaffen
Der natürliche Kreislauf von Niederschlägen und Verdunstung ist durch zunehmende Versiegelung gestört, wie Hydroskin-Erfinderin Eisenbarth erläutert. «Letztlich verwandeln wir selber unsere Städte in Hitzeinseln und Hochwasser-Wannen.» Dieser Entwicklung soll das Konzept der Schwammstadt Einhalt gebieten. Dabei geht es um die Fähigkeit einer Stadt, ein Zuviel an Wasser aufzusaugen, dieses Wasser wie einen Schwamm zu speichern und es dann durch Verdunstung oder Versickerung verzögert wieder abzugeben. Auf diesem Prinzip basiert auch Hydroskin.
Die Investitionen für Hydroskin sind nach Angaben von Eisenbarth überschaubar: Ein Quadratmeter werde die Bauunternehmer mehrere Hundert Euro kosten, schätzt sie.
Containerkühlung könnte Kitas helfen
Experten halten die Erfindung vor dem Hintergrund zunehmend unwägbarer Wetterphänomene für «hochinteressant». Hydroskin eigne sich auch für temporäres Bauen und zur Kühlung etwa von Container-Kitas.
Die Universität Stuttgart nennt einige Zahlen: Während gewöhnliche Gebäudeoberflächen unter der sengenden Sommersonne Temperaturen von über 90 Grad erreichen könnten, senke Hydroskin die Temperatur auf bis zu 17 Grad herunter. Die aufgenommene Wassermenge reduziert den Abfluss, der durch versiegelte Flächen direkt in die Kanalisation gelangt und bei ausgeschöpfter Aufnahmekapazität zu Überschwemmungen führt. 5,7 Quadratmeter Hydroskin kühlen laut Eisenbarth so stark wie eine Klimaanlage mit 2500 Watt.
Textil aus Plastik-Flaschen
Umweltfreundlich soll auch das Material werden, das derzeit aus wiederverwendbarem Polyester und künftig auch aus PET-Flaschen hergestellt wird. Zudem kann es bedruckt werden. «Der Architekt kann den Gebäuden ein neues individuelles Gewand verleihen», erzählt Eisenbarth. Bedenken wegen möglicher Probleme in der Statik der Gebäude sieht sie nicht – ein Quadratmeter Hydroskin wiege in trockenem Zustand nur 1,2 Kilogramm, im nassen maximal 4,7 Kilogramm.
Die Wissenschaftlerin hat Hydroskin im Rahmen ihrer Doktorarbeit entwickelt. Als Gründerin eines Start-Ups will sie die Technik rasch in die Baupraxis überführen. Einen Abnehmer hat sie schon: Ein Bauunternehmer will nach eigenen Angaben im Rahmen eines Projekts mit neuen Baustoffen für Nutzgebäude auch Hydroskin erproben.
Er testet noch mehr klimafreundliche Materialien: So untersucht er die Nutzung von Sturm- und Schädlingsholz für den Bau. Diese Alternative zum Ziegelstein bindet auch viel Kohlendioxid. Zudem prüft er Moospaneele, die im Innen- und Aussenbereich von Gebäuden der Wärmedämmung, Luftreinigung und Kühlung dienen sollen. Ferner stehen in seiner Firma Lehmputze auf dem Prüfstand, die besonders viel Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben. Andere Unternehmen setzen etwa auf Solarzellen an der Wand oder auf spezielle Keramikfassaden.