Peter Kistler ärgert sich darüber, dass er den Nüsslisalat entsorgen muss, weil dieser gleichzeitig billig importiert wird.
David Eppenberger
1’100 Kisten gefüllt mit Nüsslisalat in Topqualität stehen im Kühlraum bereit zum Ausliefern – eigentlich. Doch an diesem Tag Ende März wird kein Lastwagen auf den Gemüsebetrieb von Peter Kistler in Reichenburg im Kanton Schwyz zufahren, um die über eine Tonne schwere Ware abzuholen. Es gibt keinen Abnehmer. Deshalb landet der Salat noch am gleichen Tag direkt in der Mulde für die Biogasanlage.
System funktioniert nicht mehr
Natürlich schmerze ihn das, sagt der Gemüsegärtner. Auch der finanzielle Verlust ist beträchtlich. Doch am meisten ärgert ihn etwas anderes: «Obwohl genug Inlandware vorhanden wäre, importieren die Abnehmer in dieser Zeit tonnenweise Nüsslisalat.» Theoretisch sollte das eigentlich gar nicht möglich sein. Denn die Schweizer Gemüsebranche profitiert seit Jahren von einem Grenzschutz mit hohen Zöllen auf ausländische Gemüse. Diese verteuern Importe während der Anbauzeit so weit, dass sich diese gar nicht erst lohnen.
Doch das System funktioniert nicht mehr richtig, was sich beim Nüsslisalat besonders deutlich zeigt. Den Hauptgrund sieht die Gemüsebranche im Eurokurs, der im Vergleich zum Schweizer Franken in den letzten Jahren dramatisch an Wert verloren hat.
Branche trifft sich jede Woche
Das System funktioniert einfach erklärt so: Ist während der Anbausaison genug Schweizer Gemüse auf dem Markt, schützen Zölle diesen vor ausländischer Konkurrenz. Ausserhalb der inländischen Anbausaison ist der Import aber frei. Die Höhe des Zolls für die einzelnen Gemüse und in welchen Monaten dieser gilt, sind gesetzlich festgelegt.
Früher war der Nüssler (Feldsalat) noch ein Edelprodukt. Heute ist er Massenware.
zvg
Vertreter aus der Gemüseproduktion und dem Handel treffen sich wöchentlich und besprechen jeweils die aktuelle Erntesituation und den Bedarf. Fehlt es dann während der Saison an Schweizer Gemüse, stellt die Branche beim Bundesamt für Landwirtschaft einen Antrag auf die Freigabe von Kontingenten zu tiefen Zollansätzen, um die Inlandversorgung zu sichern.
Import trotz Strafzoll
Beim Nüsslisalat tritt dieser Fall insbesondere in den Wintermonaten eher selten ein. Trotzdem steigen die Importe seit ein paar Jahren kontinuierlich an. Im letzten Jahr kamen auf 3’500 Tonnen inländischen Nüsslisalat knapp über 700 Tonnen aus dem Ausland. Das ist doppelt so viel wie noch vor acht Jahren, als zudem noch 1’000 Tonnen mehr inländischer Nüsslisalat produziert wurde. Einen beträchtlichen Teil davon importierten der Handel und die Verarbeitungsfirmen trotz «Strafzoll».
Auch Gemüsegärtner Thomas Wyssa aus Galmiz musste in diesem Winter etwa 5 Tonnen Nüsslisalat entsorgen, weil der Handel mehr ausländische Ware importierte. Er hat nachgeforscht und herausgefunden, dass Handelsfirmen mit ausländischen Gemüsebetrieben Anbauverträge zu einem Preis von drei Euro pro Kilogramm abgeschlossen hätten.
Billig-Nüssler aus Frankreich
«Zusammen mit dem Strafzoll von sieben Franken kostet dieser dann weniger als zehn Franken pro Kilogramm im Einkauf», erklärt er. Er selbst brauche aber mindestens 12 Franken, um nur schon die Produktionskosten zu decken. Auf sandigen Böden in Frankreich erfolgen der Anbau industriell und die Ernte maschinell. Auf den komplexen Schweizer Böden ist dies kaum möglich, weshalb meistens flinke Hände nötig sind, um die Rosetten an der richtigen Stelle abzuschneiden. Das macht die Schweizer Produktion insgesamt teurer.
Mit dem Import trotz «Strafzoll» macht sich der Handel zwar keine Freunde in der Gemüsebranche, er ist aber legal. Und es gibt Gründe dafür: Wie die Gemüseproduktion spüren Handel und Verarbeitungsunternehmen von küchenfertigen Produkten den Preisdruck der Endabnehmer und suchen entsprechend nach Möglichkeiten, Kosten einzusparen. Der Schweizer Detailhandel liefert sich einen Preiskampf um Marktanteile.
Preiskampf im Detailhandel
Das Schweizer Gemüse kommt zurzeit deshalb gerade ziemlich unter die Räder. Dabei ist der Nüsslisalat vom einstigen Edelprodukt im Weihnachtssalat in den letzten Jahren zu anonymer Massenware im Plastikbeutel verkommen. Die Herkunft und die Produktionsweise spielen dabei kaum mehr eine Rolle. Dafür umso mehr der Preis.
Die Kundschaft ist in den letzten Jahren preissensibler geworden. Das zeigen die zunehmenden Verkäufe in den Billiglinien bei Coop und Migros, sowie die steigenden Marktanteile der Discounter Aldi und Lidl. Die Gemüsegärtnerinnen und -gärtner spüren das täglich: Verhandlungen mit den Abnehmern werden zeitintensiver und mühsamer.
Nüsslisalat wird immer häufiger küchenfertig verpackt, wobei die Herkunft weniger wichtig ist als der Preis. Wie hier beim Detailhändler Coop.
David Eppenberger
Ruinöser Wettbewerb
Einst liess sich mit Nüsslisalat gutes Geld verdienen, mit Abnahmepreisen von bis zu 30 Franken pro Kilogramm. Thomas Wyssa muss heute froh sein, wenn er 14 Franken erhält. Über die Runden kommt er mit diesem Preis, weil er – wie die ganze Gemüsebranche – in den letzten Jahren seine Kosten reduzieren konnte. So herrscht auch innerhalb der Schweiz ein teilweise ruinöser Wettbewerb unter den Gemüsebaubetrieben um die Gunst des Detailhandels, welcher der wichtigste Absatzkanal für Schweizer Gemüse ist.
Bei vielen Produkten funktioniert der Grenzschutz mit den Zöllen zwar immer noch recht gut. Doch nachdem vereinzelt auch andere Gemüse wie beispielsweise im letzten Jahr Tomaten trotz Strafzoll eingeführt wurden, will die Gemüsebranche nun Gegensteuer geben.
Zölle sollen an Teuerung angepasst werden
An der Delegiertenversammlung des Verbandes Schweizer Gemüseproduzenten Ende April stellte die Sektion Gemüseproduzentenvereinigung des Kantons Zürich einen entsprechenden Antrag, den die Versammlung einstimmig annahm. Dieser beauftragt den Leitenden Ausschuss als Führungsorgan des Verbandes Schweizer Gemüseproduzenten mit den zuständigen Behörden Verhandlungen aufzunehmen, um den im Fachjargon «AKZA-Code 1» genannten Strafzoll an die Teuerung anzupassen und zu Indexieren.
Seit der Einführung wurden die Zollbeträge nie angepasst. Ziel sei eine Erhöhung um 58 Prozent möglichst über alle Gemüse, erklärte der Präsident der Gemüseproduzentenvereinigung des Kantons Zürich Fritz Meier an der Versammlung. Denn um so viel habe der Euro in den letzten 24 Jahren an Wert eingebüsst. Der billige Nüsslisalat aus Frankreich würde dann inklusive «Strafzoll» etwa 14 Franken kosten, und Thomas Wyssa damit wieder etwas wettbewerbsfähiger.
Grenzschutz als Lebensversicherung
Wirtschaftsliberale Kreise kritisieren das System mit Zöllen in der Landwirtschaft, weil es die inländische Produktion für die Konsumentinnen und Konsumenten verteuere. Für die Gemüsebranche ist der Grenzschutz während der Anbausaison aber die Lebensversicherung schlechthin. Dank dem Schutz vor ausländischer Ware können die Gemüsebaubetriebe im hohem Kostenumfeld in der Schweiz bestehen.
Der Schutzmechanismus ist auf politischer Ebene unumstritten und erhielt durch eine Ausweitung der geschützten Bewirtschaftungsphasen bei mehreren Gemüsen im letzten Jahr gar zusätzlichen parlamentarischen Support.
Direkte Subventionen wie Direktzahlungen spielen auf den personal- und kapitalintensiven Gemüsebaubetrieben hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Der Grenzschutz aber eben schon. Economiesuisse schätzt die durchschnittlich erhobenen Zölle beim Gemüse auf 16,4 %. Diese liegen deutlich tiefer als bei anderen Agrarprodukten wie Milchprodukten mit 187,5 % oder tierischen Produkten mit 96,7 %. Die Gemüseproduktion gilt innerhalb der Schweizer Landwirtschaft als besonders unternehmerisch und marktorientiert.
Aber ich repräsentiere auch nicht den durchschnittlichen nachhaltig handelnden Schweizer Konsumenten.
Unglaublich! Es gibt so viele Menschen und Tiere die Hungern müssen und hier werden wertvolle Lebensmittel Tonnenweise entsorgt aus verschiedenen Gründen. Wegen Preisuneinigkeiten Lebensmittel in die Biogasanlage, zum Verrücktwerden. Das soll keine Kritik an diesen Landwirt sein, sondern einfach zum Bewusstwerden, was da alles so richtig schief läuft.
Wie lange soll das noch so weitergehen?