Seit 100 Jahren gibt es Schweizer Zucker. Was einst den Reichen vorbehalten war, wird seit einem Jahrhundert im grossen Stil produziert. Die Zuckerfabriken in Aarberg BE und und Frauenfeld TG decken den Schweizer Bedarf heute praktisch vollständig ab.
Sie stellen pro Jahr rund 250’000 Tonnen Zucker her und generieren damit eine Wertschöpfung von 250 Millionen Franken. Der Zucker gelangt grösstenteils in die verarbeitende Lebensmittelindustrie. Bloss 15 Prozent werden im Detailhandel abgesetzt, wie die beiden Fabriken in einem Pressedossier festhalten.
Fest im Herbst
Das Jubiläum wird in diesem Herbst, während der Rübenernte, ausgiebig begangen. Die Zuckerfabrikanten berufen sich dabei auf den 16. November 1912, als die Aktiengesellschaft für die heutige Fabrik in Aarberg gegründet wurde. Frauenfeld folgte ein halbes Jahrhundert später. 1997 fusionierten die beiden Unternehmen.
Vom Zuckerrohr zur Rübe
«Weisses Gold» hiess der Zucker früher. Nur Reiche konnten sich den Süssstoff leisten, der aus dem im Süden beheimateten Zuckerrohr hergestellt wurde. Ein deutscher Chemiker entdeckte 1747 den Zucker in der hiesigen Runkelrübe. Aus ihr wurde die Zuckerrübe gezüchtet.
Damit war der Weg frei für den Siegeszug des Rübenzuckers durch Europa. Auch in der Schweiz wurden schon im 19. Jahrhundert erste Anläufe zur Zuckerproduktion unternommen. Versuche zum Beispiel in Basel, Nyon, Neuenburg, Genf-Carouge und Granges VS scheiterten, zumeist aus Mangel an einheimischen Zuckerrüben.
Bauern zeigten zu Beginn wenig Interesse
Denn wegen der tiefen Preise zeigten die Bauern zunächst wenig Interesse am Rübenanbau. Die Fabrikanten wiederum konnten nicht mehr bezahlen, weil die Zuckerpreise im Sinken begriffen waren.
Pioniere im Seeland liessen sich nicht entmutigen. Sie nahmen 1899 in Aarberg eine Fabrik in Betrieb, die zwar 1909 Konkurs ging und kurz darauf unter ungeklärten Umständen niederbrannte. Doch die Berner Kantonalbank, mittlerweile Besitzerin, entschied sich für den Wiederaufbau. Am 16. November 1912 wurde die AG mit einem Kapital von 850’000 Franken gegründet.
Die Weltkriege stellten die Fabrik vor grosse Herausforderungen. Doch der Staat erkannte auch die Bedeutung für die Selbstversorgung und griff ihr mit verschiedenen Massnahmen unter die Arme. Im Zweiten Weltkrieg ging sogar eine Flakbatterie auf dem Dach des Lagerhauses in Stellung, um allfällige Fliegerangriffe abzuwehren.
Vom Zuckerstock zum Würfelzucker
In den ersten Jahren wurden ausschliesslich sogenante Zuckerstöcke verkauft, die dann in den Haushalten lagerten. Bei Bedarf brach man mit einem spitzen Werkzeug einen Teil heraus. Erst ab 1925 produzierte Aarberg den praktischeren Kristallzucker und presste diesen ab 1927 auch in Würfel.
Die zweite Schweizer Zuckerfabrik wurde nach jahrzehntelangem politischem Hin und Her im Thurgau gebaut. Die Rübenverarbeitung in Frauenfeld lief am 9. Oktober 1963 an.
Neue Welt
Bis in die 1990er-Jahre hinein regelte der Bund den Anbau von Zuckerrüben, die Übernahmebedingungen, den Rübenpreis und den Zuckerverkauf. Die Bilateralen Verträge und die Reform der Agrarpolitik (AP 2011) schufen dann ganz andere Bedingungen.
Heute müssen die Fabriken den Zucker zu den gleichen Preisen wie in der EU verkaufen. Beiträge erhalten sie keine mehr. Der Bund stützt aber die inländische Zuckerproduktion durch Flächenbeiträge an die Rübenpflanzer.
Die Produktion vor Ort verfolgen kann die Bevölkerung am 27. und 28. Oktober - an zwei Tagen der offenen Tür in der Fabrik in Aarberg. Sie verarbeitet während der Erntezeit wie jene in Frauenfeld täglich rund 10’000 Tonnen Rüben.