Als die Schweizerische Volkspartei (SVP) und der Schweizer Bauernverband (SBV) kurz nach der russischen Invasion in die Ukraine einen Plan Wahlen 2.0 forderten und einen Ausbau der Lebensmittelproduktion, gab es Aufregung und auch sofort Widerstand. Geschehen tut jetzt das Gegenteil: Die Produktion tierischer, aber insbesondere pflanzlicher Kalorien wird mit verschiedenen politischen Massnahmen in den nächsten Jahren gesenkt.
Der Bundesrat setzt die Parlamentarische Initiative 19.475, die unter dem politischen Druck der Trinkwasser- und der Pestizidverbotsinitiative entstanden ist und welche im Parlament nur von der SVP abgelehnt worden war, zum grossen Teil so um, wie er sie in die Vernehmlassung gegeben hatte. Auf dieser Grundlagen hatten Modellierungen der Agroscope-Fachleute ergeben, dass bis 2026, also innert vier Jahre, sich die Produktionsmengen deutlich verringern werden: minus 17% bei den Ölsaaaten, minus 11% beim Brotgetreide, minus 10% beim Zucker, minus 5% bei den Kartoffeln, minus 17% beim Futtergetreide. Der Netto-Selbstversorgungsgrad sollte demnach von von 52 % im Jahr 2019 auf 46,8 % im Jahr 2026 fallen.
Auch bei der tierischen Produktion wurde ein Rückgang erwartet, allerdings ein geringerer, da die meisten Massnahmen beim Pflanzenschutzmitteleinsatz ansetzen. Das einzelbetriebliche Einkommen sollte steigen, weil angenommen wurde, dass man die herbizid- oder ganz pflanzenschutzmittelfrei hergestellten Ackerfrüchte am Markt mit ansprechenden Prämien verkaufen kann, aber auch, weil die Betriebe flächenmässig grösser werden.
Forderung nach Ausbau des Ackerbaus
Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, der wegen des eingeschränkten oder ganz wegfallenden Exports von Ackerfrüchten aus den zwei Ländern eine globale Nahrungsmittelknappheit und stark steigende Preise zur Folge hat und der in der EU zur Folge hatte, dass Ökoflächen in die Produktion genommen werden sollen (über Ausmass und Umsetzung wird aber nach wie vor gestritten), erhob die SVP die Forderung, dass heuer noch, aber auch in den nächsten Jahren der Ausbau des Ackerbaus in der Schweiz an die Hand genommen werden soll. Die Umsetzung der Pa. Iv. 19.475 sollte gestoppt werden, forderte die SVP.
Der Schweizer Bauernverband trat, auch im Geist des politischem Realismus, etwas zurückhaltender auf. Er forderte, dass bei der Pa. Iv. die drei Massnahmen entfernt werden sollen, welche die landwirtschaftliche Produktion nach seiner Einschätzung stark unter Druck bringen würden. Erstens sollte die Toleranzgrenze von 10% bei der Erfüllung der Suisse-Bilanz beibehalten werden. Zweitens sollte die neue Anforderung von mindestens 3,5% Biodiversitätsförderflächen auf der offenen Ackerfläche (zusätzlich zu den heutigen 7% pro Betrieb) aus der Vorlage gestrichen werden. Drittens sollte im Absenkpfad zu den Nährstoffverlusten das Ziel von minus 10% statt minus 20% bis ins Jahr 2030 ausgerufen werden.
SVP und SBV haben hochkant verloren
Nun hat der Bundesrat am Mittwoch entschieden: Die Pa. Iv. 19.475 wird umgesetzt, und alle genannten Massnahmen kommen, wenn auch teilweise um ein Jahr verzögert. Damit kann festgestellt werden, dass sowohl die SVP mit ihren zwei Bundesräten, worunter Agrarminister Guy Parmelin ist, und ihren Bauernpolitikern, die sich in den letzten Tagen alle stark für das genannte politische Vorhaben engagiert haben (auch mehrfach direkt im Büro von Parmelin), als auch der SBV mit seinem politisch breit abgestützten bürgerlichen Vorstand, mit Mitte-Nationalrat Markus Ritter als Präsident, mit FDP-Glauser im Vizepräsidium und FDP-Rufer als Direktor, politisch bös auf die Nase gefallen sind. Offensichtlich ist ihr Einfluss insbesondere auf Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) und Bundesrätin Viola Amherd (Mitte) nicht so gross, wie sie es gerne hätten. Sonst hätte es z. B. für das Absenkziel um 20% keine Mehrheit gegeben.
Nun wird nicht etwa intensiviert, sondern es wird extensiviert. Auch wenn am Schluss diese Agroscope-Modelle die Innovationskraft der Schweizer Bauernfamilien und die Zucht- und Anbaufortschritte in der Regel etwas unterschätzen, so ist doch das Minus so deutlich, dass jedenfalls niemand bestritten wird, dass inskünftig in der Schweiz weniger ackerbauliche Kalorien produziert werden als bisher. Der Rückgang des Food Waste müsste gewaltig sein, um das auffangen zu können. Viel wahrscheinlicher sind zusätzliche Importe, zumal die Bevölkerung wohl wegen der Zuwanderung weiter steigen wird. Und mit diesen Importen lässt sich im Handel gutes Geld verdienen, oft besseres Geld als mit Schweizer Qualitätsware, das ist nicht nur im Wein so.
Bio Suisse und IP-Suisse und Umweltverbände haben gewonnen
Das Bundesamt für Landwirtschaft, das die Pa. Iv. in vielen tausend Sitzungsstunden entwickelt hat und diese auch offensiv verteidigt hat, ist eine der Parteien, die sich haben durchsetzen können. Aber auch die Agrarallianz, in der sich neben Label-Organisationen auch Tierschutz, Konsumentenschutz und Umweltverbände zusammengeschlossen haben, hat den Bundesrat öffentlich und hinter den Kulissen ermahnt, auf dem eingeschlagenen Pfad zu bleiben.
Sie hat betont, dass ein Ausbau der ackerbaulichen Produktion mit einer Zunahme der Saatgut (Zuckerrübensaatgut etwa stammt zu 100% aus dem Ausland, ja, es kann aktuell hierzulande gar nicht hergestellt werden), der Düngerimporte (bislang kam viel Stickstoffdünger aus Russland, die eigene «Agroline»-Produktion in der Lonza in Visp wurde vor einigen Jahren ja aufgegeben) einhergehen würde.
Agrarallianz: Ackerfrüchte essen, nicht verfüttern
Stattdessen empfahl die Agrarallianz, dass weniger Futtermittel angebaut würden, die erst auf dem Umweg der tierischen Verwertung für die menschliche Ernährung fruchtbar gemacht werden könnten, und dass sich halt das Konsummuster ändern müsse (u.a. «klimaschonend» – gemeint ist sicher auch weniger Fleisch).
Bio Suisse und IP-Suisse betonten extra noch in einer eigenen Stellungnahme, man müsse langfristig denken, Produktion und Natur seien untrennbar. Auch sie wehrten sich gegen einen Ausbau der Lebensmittelproduktion. Allerdings ist jetzt auch die langfristig angelegte Massnahme «Humusaufbau mittels Humusbilanzrechner» aus der Vorlage gefallen, vermutlich, weil sie als zu kompliziert und zu wenig wirkungsvoll erachtet wurde.
Entschlossene Vorgehensweise
Mit diesen Entscheiden wird die Pflanzenschutzmittelproblematik, die auch viele bäuerliche Kreise anerkennen, ziemlich rigoros angegangen. Das Ziel von minus 20% bei den Nährstoffverlusten wird auch Druck auf die Tierbestände geben und da schon absehbar ist, dass es 2030 verfehlt werden wird, auch in Zukunft viel Anlass zu Kritik an der Schweizer Landwirtschaft geben – und könnte Anlass sein zu noch weitergehenderen Massnahmen, die letztlich auf ein Bioland Schweiz hinauslaufen, wie es ja Bio Suisse auch anstrebt.
Absenkpfad heisst Schraubstock
Die zwei Absenkpfade zu «Pestizidrisiken» und zu den Nährstoffverlusten werden für die Landwirtschaft in den nächsten Jahren zu Schraubstöcken, die von den Behörden und einigen radikalen Umweltverbänden, die von der Stimmungsmache gegen die Landwirtschaft finanziell geradezu leben, nach Belieben angezogen werden möchten, Widerstand dürfte nicht einfach sein. Die Ziele dürften für die Landwirtschaft nur schwer erreichbar sein, und sie dürften immer höher gesteckt werden. Ein Ende ist nicht absehbar. Die Labelorganisationen und Branchenverbände wie derjenige zur Milch schaukeln sich ja auch schon mit fast jährlich steigenden Anforderungen hoch.
Es ist sehr zu hoffen, dass all die Anstrengungen und die Leistungen, welche die landwirtschaftlichen Betriebe in den kommenden Jahren auf der Basis dieser parlamentarischen Initiative 19.475 erbringen werden, in der Gesellschaft positiv gewürdigt werden und am Markt auch in Mehrerlöse, die über ein paar Rappen herausgehen, umgemünzt werden können. Kommunikationshilfen werden die absehbar hohen Beteiligungen an den Massnahmen (die Beitragsansätze sind verbreitet attraktiv) in jedem Fall sein. Und doch bleibt die Binsenwahrheit: Weniger Produktion hierzulande heisst bei gleichbleibendem Konsummuster (wie stabil diese sind, zeigte sich 2021 beim Fleischkonsum pro Kopf, der trotz Veganer-Hype und all der Tierrechtlerinnen-Flyer gestiegen ist) mehr Import.
Gleichzeitig werden wirtschafts- und friedenswidrige und unnütze, aber für uns schädliche Sanktionen gegen Russland erhoben, statt die Neutralität hochzuhalten!
Dummheit und Arroganz pur!