Die Redaktion von «Schweizer Bauer» und «schweizerbauer.ch» wünscht Ihnen besinnliche Weihnachten. Die folgende Weihnachtsgeschichte soll zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken anregen.
"Das war mal wieder ein Tag", dachte sich Heinz, als er am 23. Dezember am Abend endlich mit dem Stall fertig war und sich auf den Weg ins Wirtshaus machte. Seine Frau Monika hätte zwar gewünscht, dass er mit ihr ans Adventsfenster bei seiner Schwägerin im Nachbardorf mitgegangen wäre. Aber er mochte seine Schwägerin und vor allem deren Mann nicht besonders. Denn er war Banker, verdiente extrem gut und wusste immer alles am Besten. "Wenn wir Banken nicht so viel Geld verdienen würden und so viele Steuern bezahlen würden, dann könnte der Staat euch Bauern nicht so viele Subventionen bezahlen." So redete Hansruedi - so hiess er - wenn er zu Besuch kam.
Diese und ähnliche Sprüche mochte Heinz nicht mehr hören. Auf Heinz Erwiderung, dass man Geld im Gegensatz zu Lebensmitteln nicht essen könne, pflegte Hansruedi zu erwidern: "Ja, aber man kann mit Geld überall auf der Welt viel billigere Lebensmittel kaufen, als hier in der Schweiz." Darauf wusste Heinz dann nichts mehr zu sagen. Und er mochte es auch nicht, wenn seine Monika davon erzählte, was Hansruedi wieder alles für die Familie gekauft habe, und wohin ihre Schwester wieder in die Ferien könne.
Also ging Heinz lieber für sich ins Wirtshaus. Als er das Auto parkierte, merkte er, dass es zu schneien begann. Er trat ein, grüsste und setzte sich an den Stammtisch. Keiner seiner Kollegen war da. Nur zwei, drei Auswärtige, die er nicht kannte, sassen im Restaurant. Ein junges Paar war am Essen, wobei letzteres vor lauter Süssholzraspeln wohl schon lange kalt war. Heinz musste auf den Stockzähnen grinsen. So verliebt waren Monika und er auch mal. "Sie ist wirklich eine tolle Frau. Schade, dass ich ihr finanziell nicht mehr bieten kann", dachte er sich.
Die Serviertochter kam an den Tisch und fragte: "Das gleiche wie immer?". Heinz schüttelte den Kopf. "Heute nehm ich einen Kaffee. Monika war schon sauer genug, dass ich nicht ans Adventsfenster bei meiner Schwägerin mitkam", meinte er. "Das ist doch die, welche mit einem Banker verheiratet ist", fragte die Serviertochter. "Ausgerechnet. Auch noch hier verfolgt mich der Typ", dachte Heinz. Die Serviertochter schien nicht zu merken, dass Heinz nicht sehr erfreut über das Gesprächsthema war. Sie fuhr unbeirrt fort: "Fährt er nicht seit Neuestem einen funkelnagelneuen, sündhaft teuren Jaguar?"
Heinz' Miene verfinsterte sich. Davon hatte er noch nichts gewusst. Hatte Monika ihm dies verschwiegen, um ihn nicht noch neidischer auf seinen reichen Verwandten zu machen? "Schon möglich", brummte er. "Er muss wirklich sehr, sehr viel verdienen", fuhr die Serviertochter fort. "Lass mich in Ruhe damit", schnauzte Heinz sie nun an. Sie erschrak, stammelte so was wie "Tschuldigung" und ging wortlos zum Buffet zurück.
Hatte ihn jemand berührt? Nein, es war sein Handy, das vibrierte. Er schaute drauf und las "Chäfer". Seine Monika wollte ihn erreichen. Er nahm ab und sagte: "Ja, was ist?" Monikas Stimme tönte aufgeregt. "Heinz, komm sofort zu meiner Schwester. Ihr Mann noch immer nicht zu Hause. Dabei wollte er rechtzeitig beim Adventsfenster sein."
Nachdem er gezahlt hatte, stand er auf, murmelte "schönen Abend noch", und trat aus der Türe. Auch wenn er vielleicht nur etwa eine halbe Stunde drin gessessen hatte, war der Parkplatz auf einmal tief verschneit. "Ganz schön glatt", dachte er sich, als er beinahe ausgerutscht war. Seinem Subaru war das allerdings egal. Er wischte den gröbsten Schnee runter, stieg ein und fuhr los in Richtung seiner Schwägerin. Es war kaum ein Auto unterwegs. Diejenigen, welche keinen Allrad hatten, hatten die Schneeketten aufgezogen.
Als er langsam in den Wald in Richtung des Nachbardorfes fuhr, wo seine Schwägerin wohnte, sah er auf einmal ein Auto, das von der Strasse abgekommen war und ein Stückweit die Böschung hinunter gerutscht war. Dort war das - offensichtlich nicht ganz billige - Auto von einem Baum aufgehalten worden. Heinz hielt an und stieg aus. Er öffnete die Fahrertüre - und wer sass dort? Der vor Kälte bibbernde Banker Hansruedi in Schale und Kravatte. Dieser hatte gerade sein Smartphone auf den Beifahrersitz geknallt. "Mist. Immer ist der Akku leer, wenn man das Ding mal braucht", fauchte er.
Heinz konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. "Ist Dein neuer Jaguar nicht so wintertauglich, Hansruedi?", fragte er. Hansruedi schaute ihn überrascht an. Jetzt hatte Heinz aber Mitleid mit ihm. Denn die Verzweiflung war ihm ins Gesicht geschrieben. Doch dann hellte sich die Miene auf. "Heinz, Du bist es", sagte er freudig. "Gottlob bist Du gekommen. Denn der TCS ist komplett überlastet und kann erst in mehreren Stunden kommen. Und nach Hause konnte ich auch noch nicht anrufen, weil mein Smartphone gerade den Geist aufgegeben hat."
Heinz überlegte. Sein Subaru war zwar ein wintertaugliches Fahrzeug. Aber bei diesen Strassenverhältnissen musste ein gröberes Geschütz daher. "Mein Auto schafft das nicht. Ich muss den Traktor holen. Dort habe ich fürs Holzen Ketten aufgezogen", erklärte er ihm. Hansruedi schien ganz erleichtert zu sein. Auf einmal war er nicht mehr der reiche, erfolgreiche Banker, sondern eine verzweifelte Seele in Not, der Heinz als Engel anschaute. "Komm, nimm meinen Faserpelz", sagte Heinz zu ihm. Er habe ja im Auto und auf dem Traktor eine Heizung. Dankbar zog Hansruedi die Bauernjacke über seine teure Kluft.
Hansruedi wartete im Jaguar, während Heinz mit dem Subaru nach Hause fuhr und seinen Traktor holte. Als er zurück kam, fror Hansruedi noch mehr. Langsam zog er nun das vornehme Auto aus dem Schnee. "Jetzt schlepp ich Dich nach Hause ab. Aber wir können nur ganz langsam fahren", erklärte Heinz. Zum Glück war es nicht mehr sehr weit, auch wenn es Hansruedi wie eine Weltreise vorkam. Denn auch wenn sein Jaguar jetzt von Heinz Traktor geschleppt wurde, hatte er im tiefen Schnee praktisch keine Seitenführung.
Als sie beim Haus von Hansruedi - man könnte schon fast von einer Villa sprechen - angekommen waren, standen Hansruedis Frau, ihre Kinder sowie seine Monika in dicken Winterjacken verpackt vor der Haustüre. Er hatte Monika vom Traktor aus angerufen und ihr gesagt, dass er Hansruedi abschleppe. Als er nun den Motor abstellte und ausstieg, klatschten ihm alle zu. "Bravo", riefen seine Schwägerin und seine Frau. "Du bist mein Held", sagte Monika und fiel ihm in die Arme.
Mit blauen Lippen und trotz Heinz Faserpelz frierend stieg auch Hansruedi aus seinem Jaguar. "Danke", stammelte er.


