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Warum Bauern das Vertrauen in die Regierung verloren

aiz |

 

In den Niederlanden kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Protesten der Landwirte. Sie sind über die Stickstoff-Pläne der Regierung erbost. Denn tausenden Bauern droht das Aus. Es werden technische Innovationen statt Tierbestandsreduktionen gefordert. Wissenschaft und Unternehmen wollen helfen. 

 

Grünlandflächen soweit das Auge reicht. Sie dominieren das Landschaftsbild von Friesland, einer Provinz im Norden der Niederlande, wo Herman Miedema 175 Milchkühe auf seinem Betrieb mit 100 ha, von denen 82 ha Grünland- und 18 ha Maisflächen sind, hält.

 

«Lizenz zum Produzieren»

 

«Wir haben die Dinge kommen gesehen», sagt er hinsichtlich des seit Jahren schwelenden Konflikts um deutlich zu hohe Stickstoffemissionen in dem dicht besiedelten Land. Auch wenn der Stickstoffeintrag seit 1990 halbiert wurde, ist dieser nirgendwo so hoch wie in den Niederlanden. Ein Urteil des obersten Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 2019, die Grenzwerte der EU-Naturschutzrichtlinien einzuhalten, bringt die niederländische Regierung und somit auch die Landwirtschaft deutlich unter Druck. Insbesondere der Milchsektor mit intensiver Tierhaltung steht vor der Herausforderung, die Emissionen von Stickstoff, Ammoniak und Treibhausgasen zu reduzieren.

 

In der niederländischen Milchviehhaltung dreht sich alles um die «Lizenz zum Produzieren», die mit «Emissionsrechten» hinterlegt ist. Herman hat bereits 2009 einen emissionsmindernden Boden aus Kunststoff nach einem in Dublin entwickelten Prototyp in Teilen seines Stalles einbauen lassen. Der Boden ist weicher als ein Spaltenboden aus Beton, aber auch deutlich rutschiger. Zudem ist dieser vermutlich kürzer einsatzfähig und in der Praxis hinsichtlich der Emissionsreduktion doch weniger wirksam als in den Tests errechnet.

 

Betrieben droht Enteignung

 

Der Landwirt versucht nun, auch mit dem Besprühen des Stallbodens mit Wasser sowie mit einer regelmässigen Weidehaltung seine Lizenz aus dem Jahr 2008 zu halten. «Es gibt viele innovative und technische Möglichkeiten, um die Emissionen von Stickstoffoxiden und Ammoniak zu senken. Entscheidet sich die Regierung für eine Reduktion der Tierbestände, dann brauchen wir bessere Kühe. Wir wollen Geld verdienen, wir wollen investieren», stellt Herman klar.

 

Der 58-jährige Landwirt ist in der glücklichen Lage, dass sein Betrieb, den er gemeinsam mit seinem Sohn bewirtschaftet, nicht nahe eines Natura-2000-Gebietes liegt. Denn für die rund 3’000 Tierhaltungsbetriebe in der Nähe dieser Naturschutzgebiete sieht die niederländische Regierung mitunter radikale Eingriffe vor. Entweder sie reduzieren den Viehbestand, investieren in kostenaufwendige Technik zur Emissionsminderung oder sie geben ihren Hof auf.

 

Heftige Demonstrationen

 

Letztere sollen mit einer Entschädigungszahlung von rund 120% des Betriebswertes abgelöst werden und sich dazu verpflichten, keine Tierhaltung in der EU mehr zu betreiben. Melden sich zu wenige für eine freiwillige Betriebsaufgabe, so könnten diese von der Regierung dazu gezwungen werden, was einer Enteignung gleichkommt. Für das «national buyout scheme» ist ein Budget von 13,8 Mrd. Euro (13,4 Mrd. Fr) aus dem 25 Mrd. Euro (24,3 Mrd. Fr.) umfassenden Topf zur Lösung der Stickstoff-Krise vorgesehen. Aber auch kapitalintensive Unternehmen sind am Kauf von tierhaltenden Betrieben interessiert, denn sie könnten so Stickstoffrechte erwerben.

 

Die Folge waren heftige Demonstrationen der Bauern, als Zeichen der Ablehnung kopfüber gehisste Nationalflaggen und schliesslich ein Erdrutschsieg der jungen Protestpartei «Bauern-Bürger-Bewegung» in den Provinzwahlen am 15. März 2023. Für den amtierenden liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte wird die Umsetzung neuer Umweltauflagen dadurch deutlich schwieriger, da Emissionsreduktionen in die Zuständigkeit der Provinzräte fallen.

 

Die Bauern legten aus Protest den Verkehrt lahm.
Twitter

 

«Vertrauen in Regierung gering»

 

In der Zwischenzeit genehmigte die EU-Kommission zwei nationale Beihilferegelungen in den Niederlanden mit einer Summe von rund 1,47 Mrd. Euro (1,43 Mrd. Fr.) zur Verringerung der Stickstoffeinträge in Natura-2000-Gebieten. Betroffene Betriebe sollen dadurch motiviert werden, ihre Tierhaltung dauerhaft zu beenden und somit die Umweltbelastung in den ausgewiesenen Gebieten zu verringern.

 

«Das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung ist sehr gering. Die Landwirte fühlen sich unverstanden und nicht gehört», erklärt sich Femke Wiersma als Vertreterin der «Bauern-Bürger-Bewegung» in Friesland den Wahlerfolg ihrer Partei. Sie sieht nicht ein, warum in den Niederlanden alles auf «Stickstoffrechten» basiere, wo doch technische Entwicklungen zur Lösung beitragen könnten. «Das milliardenschwere Paket sollte dazu verwendet werden, die betroffenen Landwirte in der Umsetzung umwelt- und klimaschonender Massnahmen zu unterstützen anstatt für den Aufkauf ihrer Betriebe», sieht Wiersma Bewegung in die politische Diskussion kommen, an der in erster Linie Landwirtschaftsminister Piet Adema und die bezeichnenderweise einzige Ministerin für Stickstoffpolitik, Christianne van der Wal-Zeggelink, beteiligt sind.

 

Regierung soll Pläne anpassen

 

Für Trienke Elshof vom niederländischen Bauernverband LTO ist der Wahlerfolg der «Bauern-Bürger-Bewegung» ein klarer Auftrag an die Regierung, ihre Pläne, die eine Halbierung des Stickstoffeintrages bis 2030 vorsehen, anzupassen. LTO fordert die Abschaffung dieser «drastischen» Frist, eine Anhebung des «kritischen Depositionswerts», der als Mass für den Nährstoffeintrag gilt, sowie eine Garantie, dass es keine Zwangsaufkäufe von landwirtschaftlichen Betrieben geben wird.

 

Denn die Massnahmen in dem von der Regierung vorgelegten Paket würde das Aus für etwa 30% der Tierhaltungsbetriebe zur Folge haben. Das geht aus Zahlen der Regierung hervor. Die LTO drängt die Regierung auch, zum Zieldatum 2035 für die Stickstoffreduzierung - wie im geltenden Recht festgelegt - zurückzukehren und alle finanziellen Unterstützungsströme für die betroffenen Landwirtinnen und Landwirte zur Verfügung zu stellen.

 

Zahlen

 

In den Niederlanden wurden 2022 insgesamt 1,57 Mio. Milchkühe auf 14’700 landwirtschaftlichen Betrieben gehalten und 13,8 Mio. kg Milch erzeugt. Im Durchschnitt stehen 107 Kühe in einem niederländischen Stall. Der durchschnittliche Viehbesatz beträgt in den Niederlanden 2,1 Grossvieheinheiten (GVE) pro ha. Noch ist die Tierhaltung nicht an die Fläche gebunden. Der Anteil von Biomilch liegt in den Niederlanden bei nur 4%.

 

Wissenschaft sucht nach Lösungen

 

Dennoch werden die Landwirte in den Niederlanden auf die neuen Herausforderungen reagieren müssen. Ein eigener Forschungscampus der Universität Wageningen mit sechs Ställen, 550 Kühen und 350 ha unterstreicht die Bedeutung der Milchproduktion in den Niederlanden, die nach den USA der zweitgrösste Agrarexporteur der Welt sind. Die Wissenschafter in Wageningen aber auch Wirtschaftsbetriebe arbeiten mit Hochdruck an neuen, innovativen Lösungen.

 

So werden etwa verbesserte Messmethoden für Emissionen in den Ställen entwickelt. In einer anderen Abteilung wird anhand unterschiedlicher Futterrationen ermittelt, wie weit der durchschnittliche Rohproteingehalt von aktuell 162 g/kg Trockenmasse abgesenkt werden kann, ohne dass dabei das Leistungsvermögen der Kühe und die Futtereffizienz darunter leiden. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass 1 g weniger Rohprotein in der Ration einer Reduktion der Stickstoffemissionen um etwa 1% gleichkommt. Auch der Einfluss einer verstärkten Weidehaltung ist ein wesentlicher Teil der Analysen.

 

Stickstoff

 

Im Jahr 2023 darf ein niederländischer Milchviehhalter insgesamt 345 kg Stickstoff pro ha Grünland ausbringen, wenn es sich um einen Lehmboden handelt und dieser beweidet wird. Für Milchbauern mit Grünlandflächen auf Sand- oder Torfböden liegen die Mengen darunter. Das Maximum variiert dann von 265 kg bis 320 kg N total pro ha und Jahr. Wenn am Feld kein Ackerfutter angebaut wird, sondern beispielsweise Silomais für die Tierfütterung, dann sind die erlaubten Düngergaben nur 140 kg reiner Stickstoff/ha. 2017 trat in der niederländischen Milchviehhaltung ein Phosphatreduktionsplan in Kraft. Bereits damals mussten Betriebe Tiere reduzieren, um das Herdenwachstum zu stoppen. 

 

Züchtung von robusteren Tieren

 

Dazu gibt es ein Mistverarbeitungssystem von Lely, das Festmist und Urin trennt. Ammoniak aus dem Urin, der sich normalerweise nach ein paar Stunden verflüchtigt, kann so in einem Filtersystem mit Schwefelsäure versetzt als Ammoniumsulfat gebunden und später als Flüssigdünger ausgebracht werden. Der von dem niederländischen Unternehmen DSM über zehn Jahre entwickelte und mittlerweile EU-weit zugelassene Futtermittelzusatzstoff mit dem Namen Bovear kann nach eigenen Angaben Methanemissionen um rund 30% reduzieren. Zudem sind Biogasanlagen sowie Anreizsysteme von Molkereien zusätzliche Strategien in der Emissionsreduktion.

 

Es werden robustere Tiere gezüchtet.
Susanne Meier

 

Auch Züchtungsversuche zwischen der in den Niederlanden dominanten und auf Milchproduktion gezüchteten Holstein-Friesian-Rasse und Fleckvieh wurden gestartet. «Das ist ein vielversprechender Ansatz», berichtet Herman von ersten Versuchen auf seinem Betrieb. Das Ziel dieser Züchtung sind robustere Tiere, die sich laut dem Landwirt in einem deutlichen Heterosiseffekt in den Nachkommen mit 99% des Produktionslevels der Holstein-Friesian sowie einer geringeren Zellzahl und verbesserter Fruchtbarkeit vorerst bestätigte.

 

Herman Miedema ist Bauer aus Leidenschaft und bereit, etwas zu verändern, wie er in einem Gedicht festhält: «Während Pendler frühmorgens an meinem Hof vorbeiziehen und vor ihren Computern schmachten, starte ich meinen Tag inmitten meines Viehs. Ich beobachte die Morgendämmerung, die alles um mich in ein warmes Licht hüllt und betrachte die Natur jeden Tag», heisst es etwa darin. «Und das möchte ich auch in Zukunft tun», so Herman.

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