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Wie Konfitüre kochen ihr Leben veränderte

Julia Spahr |

 

Sie rettet mit ihren Konfitürekreationen nicht nur Früchte. Sie räumt auch Medaillen an internationalen Wettbewerben ab. Dabei fing Anne-Chantal Daum aus Chevroux VD aus Not mit dem Konfitürekochen an.

 

Sie steht in ihrem Verarbeitungsraum. Auf dem Herd kochen Birnen und etwas Ingwer ein. Es duftet süss und dampft. Kurz schaut sie aufs Handy. Ein Mail ist gekommen. «Congratulations», steht da. «Gratulation». Es kommt von der Jury des internationalen Marmeladewettbewerbs, für den sie einige Wochen zuvor einige Gläser ihrer Marmeladen eingeschickt hat. Sie kann nicht glauben, was sie da liest. Schnell stellt sie die Hitze der Herdplatte runter und eilt ins Büro. Sie muss das Mail auf dem grossen Computerbildschirm sehen.

 

Tatsächlich, sie hat gewonnen! Die Goldmedaille. Für ihre Kreation «Drunken Sailor», Eine Blutorangen-Marmelade mit schwarzem Rum. Aber nicht nur das. Daum räumte in der gleichen Kategorie, dem «Artisan Award», auch Silber und Bronze ab. Mit einer Pink-Grapefruit-Campari- und einer Limettenkonfitüre mit glasierten Früchten. Konfitüren aus Zitrusfrüchten nennt man übrigens offiziell Marmelade (siehe Kasten). In der Schweiz ist «Konfitüre» aber auch für diese Sorten geläufig. Also nennen wir fortan beide so.

 

Besondere Anerkennung

 

Mittlerweile sind die Gewinnerzertifikate bei Anne Chantal  eingetroffen. Die Sternkleber auf den Gläsern zeugen von der Auszeichnung. Sie sitzt in ihrem Garten vor dem Haus in Chevroux VD. Hier ist sie vor einiger Zeit aus Bern hergezogen und strahlt angesichts des Zertifikats.

 

Es ist für sie eine besondere Bestätigung. Sie verkauft ihre Konfitüren vor allem an Wochen-, Monats- oder Jahresmärkten. Dort bekommt sie ungefilterte Rückmeldungen ihrer Kundschaft. Und sie freut sich, wenn sich die skeptischen Blicke nach dem Probieren in anerkennende wandeln. «Ich sehe es, wenn das Glitzern in die Augen kommt und sie mich fast ungläubig anschauen, weil es viel besser schmeckt, als sie erwartet hätten», sagt Daum. Dass ihr nun aber auch eine Jury aus Expertinnen und geschulten Sensorikern eine so gute Bewertung gibt, sei eine zusätzliche Anerkennung, die ihr sehr viel bedeute.

 

Die Marmelade-Weltmeisterschaft

 

The World’s Original Marmalade Awards» wurden 2005 gegründet, um «einen der typischen britischen Bräuche − das Marmeladekochen – zu erhalten, zu vergrössern und bekannter zu machen», schreiben die Organisatoren der Awards. Mittlerweile sei der Wettbewerb ein international anerkannter und renommierter Anlass. Für die diesjährigen Awards wurden über 3000 Gläser eingereicht aus über 30 Länder, darunter Kanada, Südkorea, Botswana, Japan, Australien und die Philippinen. In der Jury sitzt unter anderem der Kochbuchautor Dan Lepard.
«Marmalade» bezeichnet auf Englisch einen Aufstrich aus Zitrusfrüchten. Konfitüre aus anderen Früchten heisst jam. Obwohl man in Deutschland für verschiedene Fruchtaufstriche umgangssprachlich das Wort Marmelade verwendet, darf auch sie laut EU-Verordnung nur aus Zitrusfrüchten bestehen. Was aus anderen Früchten hergestellt wird, heisst Konfitüre. In der Schweiz verwenden wir für allerlei Fruchtaufstriche üblicherweise das Wort Konfitüre, Gonfi oder Konfi. jul

 

In den Gesprächspausen verschwindet Daum immer wieder kurz im Haus und kommt mit immer neuen Gläsern mit farbigen Inhalten wieder raus. Vor ihr stehen mittlerweile nebst Käse und Brot etwa eine Orangen-Amaretto-Konfitüre auf dem Tisch.

 

Die Rote mit Erdbeeren und Zitronenpfeffer, dann gibt es Quitten-Kardamom, Aprikosen-Minze, Pflaumen mit Rotwein und Zimt. Sie schmecken zu Brot oder Käse, pur oder mit etwas Butter. Wer probiert, merkt, dass die Medaillen verdient sind. Natürlich. Wir kennen sie alle, die Konfitüren aus dem Laden oder die Selbstgemachten der Nachbarin. Aber das hier ist etwas anders. Jede einzelne von Daums Kreationen eröffnet einem eine neue aromatische Welt.

 

Die heute 46-Jährige hat das Lehrerseminar gemacht und in Bern Islam- und Medienwissenschaften sowie Vorderorientalische Philologie studiert. 

 

Die Geschmäcker der verschiedenen Zutaten harmonieren perfekt. Und selbst wenn die Aufschrift Karottenkonfitüre oder Tomaten-Vanille seltsam anmuten, schmeckt der Inhalt so gut, dass man auch davon ein Glas mitnehmen möchte.

 

Daum hat offensichtlich einen Sinn für Früchte, Gewürze, Kräuter und ihr Zusammenspiel. Dabei hat sie beruflich eigentlich nichts mit Kulinarik zu tun. Den Weg zum Konfitürekochen trat sie eher aus Not an als aus freiem Willen an. Die heute 46-Jährige hat das Lehrerseminar gemacht und in Bern Islam- und Medienwissenschaften sowie Vorderorientalische Philologie studiert. Danach hat sie bei einer NGO gearbeitet und an der Uni ein Forschungsprojekt geleitet. Später ging sie zum Radio, damals noch DRS, wo sie im Online-News-Team arbeitete.

 

Anders als geplant

 

Dann wurde sie krank. Eine Ohrenentzündung und ein Virus zerstörten Zellen in ihrem Innenohr. Jene, die fürs Gleichgewicht verantwortlich sind. Jahrelang konnte Daum kaum mehr aufstehen. Ans Arbeiten am Computer war nicht mehr zu denken. In langsamen Schritten ging es ihr schliesslich besser. Sie reiste in die Camargue, wo sie in Küche und Garten eines Reiterhofs aushalf. Die Natur und die Weite taten ihr gut.

 

Zurück in der Schweiz versuchte sie, wieder eine Anstellung zu finden. Weil sie nicht 100 Prozent gesund war, haben Arbeitgeberinnen kritisch auf sie reagierten. «Da verstand ich, dass ich mich selbstständig machen musste», sagt sie. In der Camargue hatte sie Eliane kennengelernt. Die damals 70-Jährige kochte die herrlichste Birnenkonfi. Und Daum versuchte es ihr gleichzutun. Die Konfi schmeckte aber lange nicht so köstlich wie bei der alten Frau. Daum probierte immer weiter, mischte Ingwer bei und merkte, dass ihre «Memoires d’Eliane», «Erinnerungen an Eliane» richtig gut ankamen.

 

Nebst dem Kundenkontakt und dem Tüfteln mit Aromen gefällt ihr an ihrer Arbeit auch der Einsatz gegen Lebensmittelverschwendung.

 

Sie merkte, dass sie Freude hatte an dieser Arbeit, dass sie ihr guttat und sie sich so einteilen konnte, wie sie wollte. Also setzte sie ganz darauf. Unter dem Namen «Lulus Leckereien» (Lulu bedeutet Perle auf Arabisch) verarbeitet sie heute kiloweise Früchte und verkauft ihre Kreationen online, vor allem aber an Wochenmärkten in Bern und Umgebung und mittlerweile auch in der Romandie.

 

Nebst dem Kundenkontakt und dem Tüfteln mit Aromen gefällt ihr an ihrer Arbeit auch der Einsatz gegen Lebensmittelverschwendung. Ein Bekannter aus Bern stellt ein Apérogetränk aus Orangenschalen her. Das Fruchtfleisch kann er nicht brauchen. Also gibt er es Daum. Auch sonst komme es immer wieder vor, dass sich jemand bei ihr meldet, der reife Früchte hat, die es schnell zu verarbeiten gilt.

 

«Ich liebe es, Früchte zu retten», sagt sie. «Mir tut es im Herzen weh, wenn ich sehe, wie viel weggeworfen wird.» Mittlerweile arbeitet sie immer wieder mit dem von der OGG Bern (Herausgeberin dieser Zeitung) gegründeten Erntenetzwerk zusammen. Wenn Bäuerinnen und Bauern aus der Region etwas für sie haben, melden sie sich, und Daum zahlt ihnen einen fairen Preis für die Früchte. «Das ist mir wichtig, denn auch ich will für meine Arbeit ja gerecht entlohnt werden», sagt sie. Und sie ergänzt, dass diese Art der Fruchtabnahme manchmal herausfordernd sei.

 

Sie habe ihre fixen Sorten wie etwa die Birnen-Ingwer. Je nach Fruchtlieferung müsse sie aber improvisieren. So habe sie letztes Jahr 50 kg Äpfel der Sorte Spartan erhalten. Daraus konnte sie nicht ihren Klassiker Apfel mit Fleur de Sel machen, weil sie dafür Boskoop braucht. Also hat sie die süssen Äpfel mit einer Lebkuchengewürzmischung angereichert und eine wunderbare neue Sorte erhalten.

 

Arbeiten mit der Natur

 

«Jede Fruchtsorte hat ihre Besonderheiten und ich kann sie nicht nach Schema X verarbeiten.» Aber genau das finde sie spannend und dadurch unterschieden sich ihre Produkte von industriell gefertigten. Ausserdem arbeite sie mit dem, was sie bekomme.

 

«Dieses Jahr wird es wohl keine Aprikosenkonfitüre geben, weil kaum Schweizer Aprikosen erhältlich sind. Auch Erdbeerkonfi gibt es bei ihr auf dem Markt erst, wenn Schweizer Erdbeeren reif sind. «Das verstehen nicht alle Kundinnen und Kunden. Es gibt aber auch solche, die genau deswegen immer wieder zu mir kommen.»

 

Während sie spricht, leuchten ihre Augen, genauso, wie es wohl auch die der treuen Kundschaft beim Probieren ihrer Konfi machen. Mittlerweile gehe es ihr gesundheitlich so gut wie schon lange nicht mehr. Dafür sei sie dankbar und auch dafür, dass sie zum Konfitürekochen gefunden habe.

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