Die Geschichte um den Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler mutet märchenhaft an. Die Kolonialwaren-Firma, an welcher der junge Unternehmer beteiligt war, ging pleite, er verlor sein Vermögen. Mit seiner Frau Adele wanderte er in der Folge nach Brasilien aus, um auf einer Kaffeeplantage sein Glück zu suchen.
Auch das scheiterte. Zurück in der Schweiz gründete er die Migros, legte den Grundstein für den grössten Detailhändler des Landes und schrieb so Wirtschaftsgeschichte.
Start mit sechs Produkten
«Duttis» Idee: keine Zwischenhändler, eine Brücke vom Produzenten zum Konsumenten, günstige Preise. Am 15. August 1925 – seinem 37. Geburtstag – trug er die Migros ins Handelsregister ein. Am 25. August startete er mit fünf Ford-T-Lastwagen, umgebaut zu rollenden Läden, bestückt mit Kaffee, Reis, Zucker, Teigwaren, Kokosfett und Seife. Er verkaufte die Waren bis zu 40 Prozent günstiger als die Konkurrenz.
Das Geschäft war sofort erfolgreich. Trotz Widerstand von Ladenbesitzern, Verbänden und Parteien wuchs die Migros. Wegen Lieferboykotten baute Duttweiler eine eigene Industrie auf. 1940 wandelte er den Betrieb in eine Genossenschaft um, die Migros wurde Volksvermögen. Auch nach seinem Tod wuchs sie weiter und breitete sich in Bank-, Reise-, Möbel-, Elektronik-, Bau-, Velo- und Gesundheitsbranchen aus.
Ende 2024 lag der Umsatz bei 32,5 Milliarden Franken. Die Gruppe beschäftigte knapp 98'800 Personen und zählte 2,3 Millionen Genossenschafterinnen und Genossenschafter.
Knall im letzten Jahr
Im letzten Jahr kam es zum Knall: Unter dem neuen Chef Mario Irminger richtete sich die Migros neu aus und fokussiert auf den Detailhandel, Finanzdienstleistungen und die Gesundheit. Nicht mehr passende Bereiche wurden verkauft oder geschlossen – darunter Bike World, Do it + Garden, Melectronics, Micasa, OBI, SportX, Hotelplan, Mibelle, Misenso und Bestsmile.
Die Ankündigung schlug im Detailhandel ein. Kritiker und Nostalgiker sahen die Migros-DNA beschädigt.
Irminger verteidigte den Schritt: «Bei den Fachmärkten hatten wir dreistellige Millionenverluste», sagte er jüngst in einem Interview. «Ökonomisch ist es eine Feinkorrektur, ein minimalinvasiver Eingriff.» Für 2025 erwartet die Migros-Führung einen Umsatz, der wegen der Veräusserungen um rund 3 Milliarden Franken tiefer ausfallen wird. Dies sind nicht einmal 10 Prozent des Gesamtumsatzes.
«Was würde Duttweiler sagen?»
Ziel ist es laut Irminger, wieder der beliebteste Supermarkt der Schweiz zu werden. Experten halten die Strategie für sinnvoll, aber anspruchsvoll. Die Konzentration aufs Kerngeschäft, Investitionen von 2 Milliarden Franken in Filialen bis 2030 und Preisoffensiven gelten als richtige Antwort auf die Konkurrenz von Aldi, Lidl und anderen Discountern. Kritisch sehen Beobachter die Gefahr einer Kannibalisierung mit dem eigenen Discounter Denner.
Zum ursprünglichen Geist «Duttis», günstiger zu sein als alle anderen, wird es kaum reichen. Der Wettbewerb ist hart, die Margen sind tief. Die Migros will vor allem mithalten und hat die 1000 gängigsten Produkte auf Discounterpreise gesetzt.
«Was würde Gottlieb Duttweiler sagen?' Diese Frage wird dem jetzigen Migros-Chef oft gestellt. Irminger meint, Duttweiler sei ein erfolgreicher Visionär mit grossem Herz für die Bevölkerung gewesen. «Wir können aber erst spenden, wenn wir verdienen. Wir müssen profitabel sein, um als Genossenschaft zukunftsfähig zu bleiben.»