Der Förderverein Sbrinz-Route organisiert jährlich eine spezielle Wanderwoche mit einem historischen Saumzug. Redaktorin Anja Tschannen war mit ihrem Freibergerpferd Teil des Saumzuges und berichtet in ihrem Blogtagebuch über die Erlebnisse auf der 150 Kilometer langen Sbrinz-Route von Stansstad NW bis nach Domodossola (I).
Endlich ist er da, der erste richtige Säumertag. Heute werden wir das erste Mal den ganzen Tag unterwegs sein. Ich schlage meine Augen auf. Voll motiviert. Unser Ziel von Engelberg über den Jochpass nach Engstlenalp. Die ganze Nacht hat es geregnet. Ich schlüpfe in meine Säumerkleider, ziehe die Regenjacke über.
Haydo, Tina, Vipee, Giorgio und die übrigen Saumtiere sind bereits bestens versorgt. Es ist nämlich die Aufgabe der Nachtwache früh am Morgen mit der Heufütterung zu beginnen, damit die Tiere mindestens während zwei Sunden so viel Heu fressen können, wie sie wollen.
Stollen für sicheren Halt
Der Fussballplatz sieht genau so aus, wie man sich einen Fussballplatz in Kombination mit Regen und Hufeisen eben vorstellt. Vor allem hinter den Pferden herrscht eine richtige Schlammschlacht. Immerhin hat es aufgehört zu regnen, der Himmel lichtet sich, und die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich zu uns durch.
Mit Hufkratzer und Hufnagel reinige ich die Stollenlöcher in Haydos Eisen und schlage die Stollen ein. Die Stollen sollen Haydo beim Erklimmen der engen, steinigen Wege mehr Halt geben. Gemeinsam satteln wir die Tiere und verstauen die Ladungen inklusive unseres Tagesgepäck auf ihren Rücken.
Mitten drin, statt nur dabei
Wir laufen los in gewohnter Reihenfolge – zwei Haflingerpferde, ein Esel, dann Haydo, Vipee und Andy, Giorgio mit Simone und Stephan, die übrigen Saumtiere und zum Schluss Tanya mit Tina – und sammeln uns vor der Unterkunft. Mit einem Juchzer geht es los. Der historische Saumzug setzt sich in Bewegung, gefolgt von den vierzig Wanderern. Was für ein schönes Bild und wir sind mitten drin.
Von der asphaltierten Strasse biegen wir ab und machen unsere ersten Schritte auf dem uralten Säumerpfad unserer Vorfahren. Endlich, darauf habe ich so lange gewartet. Ich bin Feuer und Flamme und schon nach kurzer Zeit bilden sich Schweissperlen auf meiner Stirn.
Haydo ist skeptisch
Eine kurze, steinige Etappe steht bevor. Der Weg ist aus riesigen, alten Pflastersteinen. Haydo muss sich konzentrieren, um nicht auszurutschen. Das erste Mal muss der ganze Saumzug einen Bachlauf durchqueren. Wir laufen und laufen, immer tiefer oder besser gesagt höher in die Bergwelt. Schwitzen zwar, aber ich finde das jetzt absolut machbar. Bis jetzt. Immer wieder gibt es kleine Wartepausen. Das Marschtempo ist genau gleich wie am Vortag. Also langsam bis gemütlich, zumindest wenn man ein Pferd als Saumtier hat.
In der Ferne sehen wir einen Gletscher. Der Himmel ist leicht bewölkt, perfekte Temperatur für eine Wanderung. Der letzte kleine Hügel vor dem Mittagshalt steht an. Haydo spitzt die Ohren. Er hat etwas sehr Suspektes erblickt. Zumindest muss es das aus der Sicht eins Pferds sein. Über seinem Kopf schweben die Sessel des Sesselliftes hinweg. Ich spüre seine Unsicherheit. Das hat er noch nie in seinem sechsjährigen Pferdeleben gesehen. Ich rede ihm gut zu. Misstrauisch, aber ruhig folgt er mir. Braves Pferd.
Jetzt wird es ernst
Wir sind beim Restaurant angekommen. Binden die Tiere an und die Seitenlasten los. Haydos Sattel sitzt noch perfekt, ich löse den Sattelgurt um ein paar Löcher. Noch ein bisschen Heu zum Knabbern und auch wir können uns ans Essen machen. Nach der Mittagspause wird es ernst. Wir nehmen den letzten Aufstieg über den Säumerpfad zum Jochpass in Angriff. Was wir am Morgen gemacht haben, ist Peanuts dagegen. Jetzt wird es so richtig eng, steil und steinig, mit dem Abgrund auf der Seite. Ich laufe möglichst zügig an den heiklen Stellen – sprich da, wo es besonders schmal ist oder besonders steil hinuntergeht – vorbei.
Während dem Laufen selber, fällt mir gar nicht auf, wie steil und eng es teilweise ist. Erst wenn man sich umdreht, realisiert man, was man da gerade macht, und das Herz beginnt beim Anblick des bereits absolvierten Weges zu rasen. Deshalb Scheuklappen auf, Blick nach vorne und vorwärts. Ich bin schon nach kurzer Zeit nass geschwitzt. Haydo ebenfalls. Wir sind es beide nicht gewohnt, in solchem Gelände unterwegs zu sein. Ohne Pferd würde ich niemals einen so steilen Weg raufklettern, denke ich.
Zum ersten Mal über einen Pass
Nicht mehr weit und wir sind ganz oben. Der Nebel zieht auf und der Himmel verdichtet sich. Wir kommen gerade noch dazu die Tiere anzubinden, als ein Regenschauer vorbeizieht.
Die Säumer sitzen in der warmen Säumerstube auf der Passhöhe. Nach rund 15 Minuten an der Wärme zieht es Tanya und mich wieder nach draussen. Wir wollen uns noch ein wenig umsehen. Der Regen hat mittlerweile schon wieder aufgehört und der Nebel hat sich ein ganz wenigen Stellen gelichtet und lässt einen Blick frei auf die Täler und die Weite unter uns.
Wir befinden uns auf 2222 Meter über Meer. Dort unten irgendwo sind wir heute Morgen gestartet. Mein allererster Alpenpass, und das zu Fuss und mit meinem Haydo, ich bin stolz.
Abstieg zum Kraftort
Dann nehmen wir den Abstieg in Angriff. Eine leichte Brise bläst den Nebel Stück für Stück davon und die Sonne drängt hervor. Das Bild, dass sich uns nun bietet, ist einfach atemberaubend. Die Sonnenstrahlen lassen das regennasse Gras und die Felsen wie abertausende Kristalle funkeln und in tiefen, intensiven Farben aufleuchten. Unter uns liegt der blaue Engstlensee, an seinem Ende kann man bereits das Hotel Engstlenalp und somit unser Tagesziel erkennen.
Was für eine wunderschöne Natur. Ich sauge die Eindrücke tief in mir auf. Bewahre sie. Ich fühle mich unendlich dankbar und zufrieden. Die Engstlenalp mit ihrem See und dem Felsen gilt als Kraftort, erklärt uns Daniel. Ich glaube ihm sofort, wenn ich an das Gefühl während dem Abstieg mit Blick auf See und Alp zurückdenke. Mystisch. Dieser Ort hat in der Tat eine ganz besondere Anziehung.
Oh nein, Haydo hat einen Gurtendruck
Kurze Zeit später erreichen wir das Hotel. Zur Musik eines «Schwyzerörgeli» basten wir unsere Tiere ab, währenddem uns ein italienischer Journalist filmt. Schon die ersten Paparazzi. Beim Striegeln des Felles fällt es mir dann auf. Rund um die Gurtlage ist Haydo heiss und geschwollen. Er hat einen Gurtdruck. Die Stelle muss gekühlt werden. Auf einen solchen Fall habe ich mich vorbereitet und einen Gurt sowie dicke Schwämme eingepackt. Der letzte Schwamm saugt sich im eiskalten Bergwasser voll, ich fische ihn aus dem Eimer und zwänge ihn zwischen Haydos Fell und den Gurt.
Tanya hat sich mittlerweile den Eimer mit dem Restwasser geschnappt und wäscht darin Tinas Hufschuhe, damit sie für morgen einsatzbereit sind. Unterdessen ist die Sonne völlig verschwunden. Ein kalter Wind zieht auf, der Himmel ist grau und schwer.
Wir haben Nachtwache
Tanya und ich wenden uns an die erfahrenen Säumer, die noch rum stehen. Wir haben heute Nachtwache und wollen uns vergewissern, was wir denn eigentlich genau tun müssen. Bis um etwa 22 Uhr schauen, dass die Tiere Heu haben – aber nicht zu viel auf einmal, sonst verschwenden sie es nur und veranstalten ein Chaos, heisst lieber weniger, dafür regelmässiger Heu zufüttern-, in der Nacht kontrollieren ob alles gut ist, bei Problemen also wenn zum Beispiel ein Tier losgebunden ist reagieren, zwei Stunden vor dem Basten mit Heufüttern beginnen, und misten, damit der Anbindeplatz am Morgen sauber ist und die Crew im Hintergrund nur noch das Stroh wegräumen muss.
Um die Mitsäumer nicht beim Schlafen zu stören und weil wir uns sicherer fühlen, wenn wir ganz in der Nähe sind – schliesslich haben wir die Verantwortung für 18 Tiere und wollen unseren Job gut machen, um im Falle eines Falles schnell reagieren zu können –, entscheiden wir uns dafür, unser Nachtlager im Pferdeanhänger, in dem das Material der Tiere von Tagesziel zu Tagesziel transportiert wird, aufzuschlagen. Der befindet sich nämlich drei Meter hinter den Saumtieren.
Nachtlager im Pferdeanhänger
Wir tischen die Stroh- und Heureserven so um, dass wir eine kleine Liegefläche hinbekommen. Ich bin gerade dabei die Schwämme von Haydo auszutauschen, da klimpern die ersten Hagelkörner auf das Dach des Unterstandes. Die Temperaturen stürzen. Mich fröstelt und ich versuche mich möglichst nahe an die Wand des Unterstandes zu quetschen. Nach dem Hagel regnet es in Strömen. Wir springen zur Säumerunterkunft.
Stimmengewirr und der Duft von leckerem Essen schlagen mir wenig später aus der warmen Gaststube entgegen. Nach einem stärkenden Abendessen ziehen wir uns in den Pferdeanhänger zurück. Im Dämmerlicht richten wir unser Nachlager fertig ein.
Erster richtiger Säumertag geschafft
Morgen werde ich bestimmt mega auf dem Hund sein. Vor allem weiss ich ja noch nicht, wie mein Körper auf diesen ersten richtigen Säumertag reagieren wird. Muskelkater, absolute Müdigkeit? Keine Ahnung, habe das schliesslich noch nie gemacht. Wir unterhalten uns noch ein Weilchen leise, lassen den Tag Revue passieren, Lachen über komische Situationen und Erlebnisse. Draussen ist es still, nur ab und zu schnaubt eines der Saunmtiere. Ansonsten scheinen sie zu dösen oder zu schlafen.
Ich richte meinen Wecker, einmal auf 2 Uhr und dann für die morgendliche Fütterung und das Misten auf 5 Uhr. Mittlerweile ist es 23 Uhr. Das Natel ist mit der Powerbank verbunden, damit ich morgen wieder genügend Akku für Fotos habe. Ich drehe mich um. Mit angezogenen Beinen versuche ich eine bequeme Position einzunehmen. Schliesse meine Augen und falle in einen unruhigen Halbschlaf.
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