Für die Wirtschaft ist die vom Bundesrat im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz geplante Aufhebung der Industriezölle ein Geschenk. Ob die Konsumenten auch profitieren, ist offen. Die Landwirtschaft befürchtet, bei künftigen Verhandlungen über Handelsabkommen auf der Verliererseite zu stehen.
Gegen eine halbe Milliarde Franken dürften dem Bund durch die geplante Aufhebung der Importzölle per 1. Januar 2022 auf der Einnahmeseite wegfallen. Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) sieht in der Massnahme aber im Gegensatz zum Bundesrat kein Mittel im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz.
Industrie erhöht Marge
Denn gemäss dem Bericht des Bundes sollen die Unternehmen mit 590 Millionen Franken profitieren, während sich der Gewinn für die Konsumentenschaft lediglich auf 350 Millionen Franken beläuft.
Die SKS erwartet deshalb auch keine wirklichen Preissenkungen. Vielmehr dürften die Unternehmungen ihre Margen um 240 Millionen Franken erhöhen, schreibt die Konsumentenorganisation in ihrer Stellungnahme zu der am Donnerstag zu Ende gehenden Vernehmlassung an den Bund. Im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz sieht die SKS in ihrer Fair-Preis-Initiative das effizienteste Mittel.
Schlechtere Verhandlungsposition
Nicht sonderlich erfreut über die Vorlage sind Landwirtschaftskreise. Für die Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor kommt die einseitige Streichung der Industriezölle einem «Eigengoal» gleich. Damit würden nämlich in diesem Bereich sämtliche Konzessionen bei künftigen Verhandlungen für ein Handelsabkommen abgeschafft.
Für den Schweizer Bauernverband (SBV) sind unilaterale Zollsenkungen im aktuellen handelspolitischen Umfeld strategisch falsch. Die Zölle könnten durchaus als interessantes Pfand bei weiteren Handelsverträgen eingebracht werden. Könne die Schweiz bei den Industriezöllen nichts mehr offerieren, so werde in den Verhandlungen der Druck auf den Grenzschutz der Landwirtschaft noch viel stärker.
Wirtschaft will noch mehr
Für den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse bringt die Zollaufhebung den Unternehmen wertvolle finanzielle und administrative Entlastungen, senkt die Konsumentenpreise und ist für die Volkswirtschaft insgesamt positiv. Wenn die Schweiz aber nicht weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren wolle, seien weitere Handelserleichterungen notwendig. Da die Importzölle kaum mehr Bedeutung in den Freihandelsabkommen der Schweiz hätten, seien keine wesentlichen Nachteile in Verhandlungen über neue Freihandelsabkommen zu erwarten.
Die Westschweizer Arbeitgeberorganisation Centre Patronal dagegen sieht das nicht so eindeutig: Es sei zu bedenken, dass sich die Schweiz durch die Abschaffung der Einfuhrzölle - wenn auch eines kleinen, aber reellen - Vorteils im Zusammenhang mit der Aushandlung von Freihandelsabkommen berauben würde, die noch grössere Vorteile bringen könnten.
Swiss Textiles erfreut
Früher als Schutz eingeführt, seien die Zölle zu einer unnötigen Belastung geworden, schreibt Swiss Textiles, der Dachverband der schweizerischen Textil- und Bekleidungsindustrie, die am stärksten vom Wegfall der Industriezölle profitieren dürfte. Die Textil- und Bekleidungsunternehmen seien im grenzüberschreitenden Handel mit schwierigen Rahmenbedingungen konfrontiert.
Für den Gastgewerbeverband GastroSuisse stärken tiefere Einkaufspreise für importierte Waren die Schweizer Wirtschaft und erhöhten zudem die Kaufkraft der Konsumenten. Damit die Preisreduktionen tatsächlich umfassend weitergegeben würden, seien aber zusätzliche Massnahmen notwendig. Der Verband verweist unter anderem auch auf die Fair-Preis-Initiative, die den Staat nichts koste, aber grosse Wirkung entfalte.
Weniger Einkaufstourismus erwartet
Auch die Kantone, die Stellung bezogen haben, äusserten sich mehrheitlich positiv zur Vorlage. In grenznahen Regionen dürfte sich der Einkaufstourismus weiter abschwächen, wovon der Detailhandel im Kanton profitieren könnte.
Der Kanton Zürich erwartet neben den Einsparungen aufgrund wegfallender Zölle auch administrative Entlastungen der Unternehmen. Von den tieferen Einstandspreisen könnten nicht nur die Unternehmen profitieren, sondern auch die Konsumentenschaft, soweit die Preissenkungen an sie weitergegeben würden.