Das Projekt «Huhn und Ei» vom Radieslihof in Worb BE erhält den Award der Oekonomischen Gemeinnützigen Gesellschaft Bern (OGG). Wer dort ein Eierabo löst, erhält auch ein Suppenhuhn und ein Mastgüggeli.
Gut 30 Hühner leben seit März 2016 auf dem Radieslihof in Worb BE. Sie sind aus einer Kreuzung der Rassen «Schweizerhuhn» und «Rhode Islands» hervorgegangen. Legehybriden kamen für Marion Salzmann, Ursina Töndury und Mitinitiantinnen nicht infrage. Denn das genetische Material der Hybriden sei im Besitz einiger weniger Konzerne, nach dem Schlüpfen der Jungtiere würden die «unnützen Brüder» der Legehennen vergast, und auch die Legehennen würden nach nur rund 80 Wochen im Einsatz entsorgt.
Abo für «Huhn und Ei»
Die beiden Frauen wollen einen anderen Weg gehen, indem sie auch die «Brüder» der Legehennen und das Suppenhuhn vermarkten. Wer für 200 Fr./Jahr ein Abo löst, kriegt rund 170 Eier/Jahr und rund alle drei Jahre ein Suppenhuhn und ein Mastgüggeli (für dieses werden 25 Fr./kg in Rechnung gestellt). Diese «Brüder» der Legehennen werden aktuell noch auf dem Hof Looren von Kurt Brunner in Hinwil ZH gehalten, der sich seit Jahren für das Zweinutzungshuhn engagiert und von dem die Grundidee stammt. Später möchten Salzmann und Töndury diese auch auf den Radieslihof in Worb BE holen. Fürs Eierabo gibt es aber zwei Bedingungen.
Wer Produkte vom Radiesli-Hof beziehen will, muss sich im Minimum mit zwei Anteilscheinen à je 250 Fr. beteiligen. Und wer ein Eier-Abo hat, muss zwei Halbtage pro Jahr auf den Hof zur Mitarbeit kommen. Bereits sind nur noch einige wenige Eier-Abos zu haben. «Die Zahlungsbereitschaft ist hoch, wenn die Konsumenten richtig informiert sind und einen Bezug zu den Produkten aufbauen können», sagt Salzmann.
Mithilfe gehört dazu
Dass die Konsumenten bei der Produktion der Lebensmittel mitwirken, ist beim Radieslihof zentral. Er ist ein Kind der Bewegung zur Vertragslandwirtschaft. Seit mittlerweile fünf Jahren wird in Worb BE gemeinsam Gemüse angebaut. Über 200 Personen sind dem Verein beigetreten, über 100 Personen oder Familien haben ein Gemüse-Abo gelöst. Ein kleines Abo, das für 2 Personen reicht, kostet 1100 Fr./Jahr. Bezahlt wird im Voraus. Das Gemüse-Abo verdient seinen Namen «Dein Gemüse kennt dich», denn dafür müssen jährlich acht Halbtage Mitarbeit auf dem Hof geleistet werden. «Wir wollen die Städter aufs Gemüsefeld bringen», sagt Salzmann, welche die eigentliche Initiantin ist. Geliefert wird das Gemüse wöchentlich in verschiedene Depots in der Stadt und Agglomeration Bern.
Eigentümer Leibundgut
Ermöglicht hat diese Landwirtschaftsinitiative Ueli Leibundgut. Er hat zuerst 50 a für das Gemüsefeld zur Verfügung gestellt, seit Anfang Jahr hat er den 10-ha-Betrieb an eine GmbH verpachtet, die sich aus Landwirt Niculin Töndury, Gymnasiallehrerin Ursina Töndury, Naturpädagogin Marion Salzmann und Gemüsegärtnerin Anna-Katharina Zbären zusammensetzt. «Es hat sich so ergeben», sagt der 69-jährige Leibundgut zu dieser Hofnachfolge. Leibundgut und seine Frau Elisabeth wohnen weiterhin auf dem Hof, er hilft mit Rat und nach Lust und Laune auch mit Tat mit. Niculin Töndury ist ausgebildeter Biologe. Beim Zivildienst auf dem Hof der Familie Heinrich in Filisur GR hat er das Bauern für sich entdeckt, sodass er die Zweitausbildung zum Landwirt machte. Nun ist auf dem Radieslihof eine Mutterkuhherde im Aufbau, bereits sind 30 Hochstammbäume gepflanzt worden, und der Hof wird auf Knospe-Landbau umgestellt.
«Neue Wege gegangen»
Die OGG will mit ihrem Award nicht nur die Haltung der Zweinutzungshühner auszeichnen, sondern auch die «feine Gemeinschaft», die hinter der Landwirtschaftsinitiative Radieslihof steht, wie OGG-Geschäftsführer Franz Hofer betont. Hinter dem Projekt, das neue Wege gehe, stecke sehr viel Eigenleistung. Es sei bemerkenswert, dass die Gruppe einen Landeigentümer für ihr Projekt habe gewinnen können und dass dieser den Mut zu dieser Nachfolgelösung gehabt habe.
www.radiesli.org; www.huhnmitbruder.ch
Publikumspreis: Säfte statt Biogas
Das Start-up-Unternehmen «Muda Rejuice» gewann den Publikumspreis, der mit 2000 Franken dotiert ist. Lanciert haben es Yves Lagrebi, Fabrizio Banz, Elena Ali und Joëlle Estermann, die an der Hafl in Zollikofen BE Lebensmittelwissenschaften studieren. Die Frucht- und Gemüsesäfte mit dem Namen «Muda rejuice» werden aus Frucht- und Gemüseteilen hergestellt, die ansonsten in der Biogasanlage landen würden. Die Frucht- und Gemüseteile seien aber absolut einwandfrei und geniessbar, betonen die Gründer. Die Früchte werden von Muda Rejuice direkt aus der Industrie gesammelt, gekühlt transportiert und in der Mosterei von Theo Wanner, Etzelkofen BE, verarbeitet. Wichtig ist auch, dass den Säften weder Zucker noch Verdickungsmittel noch andere Zusatzstoffe beigefügt werden – es sind reine gepresste Früchte, die «gerettet» wurden (pro Flasche sind es mindestens 500g). Innerhalb von vier Monaten konnten zwei Tonnen Frucht- und Gemüseteile verarbeitet werden. Erhältlich sind sie im Detailhandel und in der Gastronomie in der Region Bern-Solothurn. Die Muda-Initianten sind auf der Suche nach weiteren Rohstoff-Lieferanten.
www.mudasaft.ch
Preisverleihung im alpinen Museum
Der OGG Award 2016 wurde im Alpinen Museum in Bern vergeben. In der Begrüssung betonte OGG-Geschäftsführer Franz Hofer, der OGG sei es in ihrer 257-jährigen Geschichte immer wieder gelungen, jung und frisch zu bleiben. Preisausschreiben hätten in der OGG eine lange Tradition, heute heisse das einfach «OGG Award». Mit diesem Award wolle die OGG Jungunternehmer fördern, die sich für ein nachhaltiges Ernährungssystem einsetzten. Total 18 Projekte wurden an der Preisverleihung präsentiert. Die Spannweite reichte von der Nutzung von Drohnenlarven- und puppen als Nahrungsmittel («Beezeria»), Plattformen für Essen bei Privatpersonen (margr.it/ Eatsmart), dem Projekt «Ygmachts & So» vom Biohof Heimenhaus in Kirchlindach BE, dem Vertragslandwirtschaftsprojekt «Nuglar Gärten», dem Projekt «Stadtmilch» in Zürich bis hin zur Vermarktungsplattform Flaora. Der Jury-Award in der Höhe von 10000 Franken ging an das Projekt «Huhn und Ei» vom Radieslihof in Worb BE. sa
Jury-Mitglieder: Urs Nufer, OGG-Vizepräsident, Franz Hofer, OGG-Geschäftsführer, Raoul Stöckle, Mitgründer der Äss-Bar, Stefan Bürki, Studiengangleiter an der Hafl, und Susanne Frutig, Geschäftsführerin der «Stiftung Innovation».