Bauerntochter Sophie Bührer aus Bibern SH dachte nie daran, den elterlichen Betrieb weiterzuführen – bis der Vater einen Witz machte. Vor sechs Monaten hat die 23-Jährige übernommen. Und findet sich langsam in ihre neue Rolle.
Sophie Bührer hat mit 23 den Betrieb ihrer Eltern übernommen. Der Hofladen war ihre Idee.
Während den Festtagen präsentieren wir euch in regelmässiger Folge Artikel, die 2023 auf reges Interesse gestossen sind. Dieser Artikel wurde am 17. Juni 2023 erstmals publiziert.
Das hätte man in diesem Dorf nicht erwartet. Wo man jede Biene einzeln summen hört, wo höchstens einmal in der Stunde ein Postauto hält und wo die einzige Attraktion ein kleines Schreibmaschinenmuseum ist, würde man kaum einen solchen Hofladen erwarten.
Öffnen sich die automatischen Türen, ist es, als beträte man einen Supermarkt. Der Laden ist überdurchschnittlich gross, die Wände sind gesäumt von ansehnlich arrangierter Regalen voller Urdinkelmehl, Eier, Senf, Kürbiskernöl, Meringues und Güetzi.
Im zweiten Raum stehen Gemüsekisten, Milchprodukte, Glacen, Würste und Plätzli, etwa aus dem Fleisch ausgedienter Legehennen, und noch viel mehr.
Vor dem Laden sitzt Sophie Bührer. An diesem sonnigen Tag hat sie weniger Arbeit. «Heute ist es ruhig», sagt sie und blickt vom Laptop auf. Gelassen grüsst sie Besucherinnen und Besucher, die in unregelmässigen, aber nicht allzu grossen Abständen den Laden betreten. Es ist ein Selbstbedienungsladen, er ist rund um die Uhr geöffnet. Und es gibt ihn nur dank Bührer, der 23-jährigen Betriebsleiterin der «Wagi’s Farm» in Bibern SH.
Hatte andere Pläne
Aber der Reihe nach. Sophie Bührer ist auf dem Hof aufgewachsen. Immer hat sie mitgeholfen und kennt die Arbeitsabläufe. In der Schule lief es weniger gut. Ihre Noten waren schlecht. Auf die Bewerbungen um Lehrstellen als Tierpflegerin oder Tierarztpraxisassistentin bekam sie nur Absagen.
Als sich das letzte Schuljahr dem Ende zuneigte, wurde sie nervös. Was solle sie ohne Lehrstelle nach den Sommerferien tun, fragte sie eines Abends am Familientisch. «Mach doch eine Lehre bei mir. Zur Landwirtin», sagte der Vater und lachte über seinen Witz. Sophie blickte auf. Sie lachte nicht. «Es machte klick», wie sie heute sagt. «Das ist genau, was ich will. Mit Tieren arbeiten, Maschinen bedienen, draussen sein», dachte sie.
Und aus dem Witz wurde ernst. Sie machte das erste Lehrjahr bei ihren Eltern auf dem Hof und die zwei weiteren auf anderen Betrieben im Kanton Schaffhausen. Zur Schule ging sie an den Strickhof in Lindau ZH. Nach der Lehre stellte ihr Vater sie auf dem Hof an. Sie arbeitete Seite an Seite mit ihm und ihrer Mutter.
Die beiden sind noch jung und gesund. Heute 55 und 49. Sie hätten gut noch Jahre weiterbauern können. Sophie Bührer merkte aber, dass die Eltern zunehmend unter der administrativen Belastung litten. Ihre Schwester hatte sich bereits als Kosmetikerin selbstständig gemacht und war einverstanden, dass Sophie Bührer den Betrieb übernehmen sollte. Also begannen sie, alles aufzugleisen. «Natürlich bin ich jung, aber so können meine Eltern mich noch möglichst lang unterstützen und mir diesen grossen Schritt erleichtern», sagt Bührer.
Seit einem halben Jahr ist sie offiziell die Betriebsleiterin, und ihre Eltern sind bei ihr angestellt. Die neue Rollenverteilung sei noch nicht immer einfach. In den ersten Wochen nach der Übernahme merkte sie einzig an den Sprüchen ihrer Eltern, die sie schon am 1. Januar 2023 mit «Guten Morgen, Chefin» begrüssten, dass sich etwas verändert hatte. Heute sei sie es, die gewisse Entscheidungen treffe und sich immer wieder mit dem Vater auseinandersetze, wenn er anderer Meinung sei. «Wir können gut miteinander sprechen und Konflikte lösen», sagt sie. Zudem sei sie oft dankbar, wenn der Vater mitrede, so könne sie lernen, und der Druck laste doch nicht ganz auf ihr allein.
«Ich habe das Kuhgen»
Dass der Druck gross sein kann, wird deutlich, wenn man erfährt, wie gross Bührers Betrieb ist. Sie hat 50 Milchkühe, 18 000 Legehennen in einer Betriebszweiggmeinschaft, sie baut auf 50 bis 60 Hektaren (davon sind 18 ihre eigenen und der Rest ist gepachtet) Ackerkulturen wie Urdinkel an. Und dann ist da eben der Hofladen mit der dazugehörigen Verarbeitungsküche und der Käserei.
Kühe und Hühner habe bereits der Vater gehalten, erzählt Bührer, während sie unterwegs ist zum Laufstall der Tiere. Holstein- und Red-Holstein-Kühe kommen neugierig an den Zaun. «Hallo Olive; ja, komm nur, Olma», ruft Bührer ihren Tieren zu. Der Stall ist vollautomatisiert mit Melkroboter, Entmistungsroboter und augomatischem Stroheinstreuer und Fressen ab Fahrsilo. Diese Investitionen habe ihr Vater fortlaufend getätigt.
Auch der Hofladen entstand noch zu seiner Zeit. «Aber es war meine Idee», sagt sie. Sie habe in der Ausbildung ein Modul zur Direktvermarktung gemacht und wollte das unbedingt auf ihrem Hof umsetzen. «Mein Vater war skeptisch, weil sich der Erfolg nicht voraussehen lässt.» Sie konnte ihn aber überzeugen, und er wollte in ihre Zukunft investieren. Und siehe da. «Der Hof läuft sehr, sehr gut», sagt sie heute. Und der Vater sei mittlerweile der beste Kunde. «Meine Eltern gehen nicht mehr ins Migros, wir haben hier alle Grundnahrungsmittel.» Das sehen auch andere Leute so. Obwohl der Hof eher abgelegen ist, kommen die Leute rund um die Uhr einkaufen.
«Muss mich behaupten»
Bührer wirkt zufrieden. Mit Stolz blickt sie auf die schönen Kühe. «Ich habe das Kuhgen von meiner Mutter geerbt», erzählt sie. Diese habe mit der eigenen Nachzucht begonnen, und sie selbst sei mittlerweile eine engagierte Züchterin. «Als Frau und Betriebsleiterin habe ich es manchmal nicht ganz einfach mit meinen Berufskollegen», erzählt sie. Momentan ist sie tatsächlich in der Unterzahl. Gerade neun Prozent der Betriebe werden in der Schweiz von Frauen geführt. Sie merke zwar eine Veränderung und kenne immer mehr Frauen, die einen Hof leiteten. «Trotzdem muss ich mich immer besonders beweisen und zeigen, dass ich wirklich etwas kann.»
Ebenfalls blöde Sprüche müsse sie sich immer wieder anhören. «Das bin ich schon von der Lehre zur Landwirtin gewohnt», sagt sie und lächelt zurückhaltend. Als Züchterin sei es aber besonders schwer. Da könne man in dieser sehr männlich geprägten Domäne als Frau kaum Fuss fassen. Deshalb sei sie froh, habe sie zweimal an der Olma teilnehmen dürfen und dieses Jahr an der Tier & Technik mit ihrer Kuh Mirabelle. «Jetzt habe ich einen Fuss in der Tür und werde mich nicht vertreiben lassen», sagt sie.
Auch sonst konnte sie ihren Betrieb weiterentwickeln. Sie hat mittlerweile acht Angestellte, um die Buchhaltung und die Löhne kümmert sich ihre Mutter. Trotzdem sei die Arbeitsbelastung hoch, sagt sie. «Manchmal denke ich daran, wie es wäre, wenn ich eine Lehrstelle zur Tierpflegerin bekommen hätte. Dann wären meine Arbeitszeiten nun geregelt, und ich hätte bezahlte Ferien.» Trotzdem sei sie sehr dankbar, dass alles so gekommen ist, wie es ist. «Ich mache das hier mit Leidenschaft und Freude,» sagt sie. Und bis jetzt habe sie nie bereut, dass aus dem Witz ihres Vaters Ernst wurde.
Gottes Segen dazu und viel Kraft und Ausdauer!!