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Ein Land auf der Suche nach einer Zukunft

Unsere langjährige freie Mitarbeiterin Susanne Sigrist macht eine Auszeit in Sri Lanka. Sie wird in unregelmässigen Abständen über landwirtschaftliche Themen aus dem Land berichten. Im zweiten Teil berichtet sie darüber, wie es den Bauernfamilien geht.

Susanne Sigrist |

Die korrekte Vorgehensweise für eine ausländische Journalistin wäre vermutlich, das Ministry of Agriculture in Colombo zur aktuellen Situation zu interviewen. Doch Mails laufen ins Leere, im Internet aufgeschaltete Kontakte sind veraltet und die Zentrale leitet einem in telefonische Sackgassen weiter.

Klar, ich könnte nach Colombo fahren und im Ministerium anklopfen, aber ob ich so zum Ziel kommen würde? Ich beschliesse, Informationen aus der Homepage www.agrimin.gov.lk zu verwenden und mit Erfahrungen zu ergänzen, die ich seit meiner Ankunft Anfang Mai gemacht habe.

Landjähriger Bürgerkrieg

Zuerst einige Zahlen: Sri Lanka ist mit seinen 65'610 Quadratkilometern flächenmässig rund ein Drittel grösser als die Schweiz (41'285 km2). 22 Millionen Menschen leben auf dieser Insel im Indischen Ozean. Die Demokratische Sozialistische Republik Sri Lanka, wie sich das ehemals als Ceylon bekannte heute Land nennt, hat einen Bürgerkrieg hinter sich (1983 bis 2009), wurde von einem Tsunami getroffen (2004) und ist noch immer daran, die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu verdauen, welche  unzählige Familien in die Armut trieben.

Das Land ist offiziell zweisprachig (Singhalesisch ist mit 75% die Mehrheit) sowie Tamil. Vier Religionsgemeinschaften leben hier: Buddhisten (69%), Hindus (15%), Moslems (9%) und Christen (7%). Weil alle religiösen Feste anerkannt sind, kommt es zu sehr vielen Feiertagen und offizielle Stellen wie Verwaltungen oder auch Schulen haben oft geschlossen.

Viertgrösster Teeproduzent

Engländer, Holländer und Portugiesen haben das Land kolonialisiert, bevor es 1948 seine Unabhängigkeit erlangte. Die ausländischen Eroberer haben im ganzen Land und namentlich auch im Agrarsektor deutliche Spuren hinterlassen wie zum Beispiel Plantagen von Kautschuk oder Teefelder in höheren Lagen, die ursprünglich von den europäischen Machthabern für Kaffeeanbau genutzt wurden. Sri Lanka ist aktuell der viertgrösste Produzent von Tee weltweit.

Vor rund drei Jahren – im April 2021 – geriet der Agrarsektor ins internationale Scheinwerferlicht: Der damalige Präsident Gotabaya Rajapaksa verkündete von einem Tag auf den anderen eine «biologische Landwirtschaft». Synthetische Düngemittel und Pestizide waren für die Bauern plötzlich verboten. Der Grund dafür war keine ideologische Kehrtwende, sondern eine ökonomische Notlage: Dem hoch verschuldeten Land fehlten schlichtweg die Mittel für Importe.

Idee von Bioland rasch begraben

Die Folgen des «ban of chemicals» waren wenig überraschend: massiv sinkende landwirtschaftliche Erträge und astronomisch steigende Lebensmittelpreise. Das eh schon bescheidene Leben der unteren Einkommensschichten wurde zu einer Frage des Überlebens. Im November 2021 liess die Regierung die Idee einer biologischen Landwirtschaft fallen. Das war in der Zeit, als die Corona-Pandemie den Alltag erschwerte und das Geschäft mit den Touristen versiegte. Die Einnahmen fielen ins Bodenlose. 2022 wurde der Notstand ausgerufen, ein Staatsbankrott drohte.

Zwei Jahre später äussert sich die Weltbank in ihrer Einschätzung zur makroökonomischen Lage vorsichtig optimistisch. Der jetzige Präsident Ranil Wickremesinghe hat für diesen Herbst Wahlen angekündigt. Fragt man die Leute nach ihrer Einschätzung der Lage, zucken sie mit den Schultern: Politiker gelten als korrupt und unmoralisch. Was im Falle von Sri Lanka erschwerend hinzukommt, ist seine grosse Auslandverschuldung: Das Land importiert Güter für 18 Milliarden Dollar (16,2 Mrd. Fr.), exportiert aber nur für 10 Milliarden (9 Mrd. Fr.). Gäbe es nicht Angehörige im Ausland, welche mit jährlich rund 5 Milliarden Dollar (4,5 Mrd. Fr.) ihre Familien unterstützen würden, wäre die Bilanz noch verheerender.

Familien im Ausland helfen finanziell

Im katholisch geprägten Fischerdorf Thalahena, wo ich wohne, arbeiten viele Leute sechs, manche auch sieben Tage pro Woche. Nur am Sonntag gehen sie zur Kirche und gönnen sich einen freien Nachmittag. Vor allem im privaten Sektor, zu dem auch die Landwirtschaft gehört, sind die Löhne erbärmlich. Nach Zahlen gefragt, meinte eine Frau, wenn sie als Familie mit zwei Kindern pro Monat 400 Dollar (360 Fr.) hätten, kämen sie gut über die Runden.

Sie hat Glück: Ihr Mann arbeitet als Fahrer in Kuwait und schickt jeden Monat Geld nach Hause. Viele hier im Dorf haben Angehörige oder Verwandte im Ausland, die ihnen finanziell unter die Arme greifen. Die restlichen sind deutlich ärmer, haben viel kleinere Häuser, zum Teil ohne Badezimmer und waschen ihre Kleider am Brunnen. Dank des immer warmen Wetters können sie sich wenigstens die Schuhe sparen - mit Flipflops kommt man gut durch den Tag. Nur die Schulkinder brauchen eine weisse Uniform und feste Schuhe.

Vielseitige Landwirtschaft

Der Agrarsektor in Sri Lanka umfasst Felder (Trocken- und Wasserkulturen), Wald, Gewässer und das Meer beziehungsweise die Fischerei. Die Situationen in den unterschiedlichen Regionen lassen sich nicht vergleichen, ähnlich wie in der Schweiz, wo die Landwirtschaft in den Berggebieten andere Herausforderungen hat als diese im Flachland. Bei mir an der Westküste, wo ich seit einigen Wochen wohne, dominiert zum Beispiel der Monsun den Alltag: Es regnet und stürmt, das Meer ist gefährlich und die Boote bleiben mehrere Wochen oder Monate im Hafen.

Die Rechnung für die Fischer ist einfach: Kein Fang – kein Lohn. Und wenn das Wetter es wieder erlaubt, werden die Erträge bescheidener sein als letztes Jahr, ein Trend, der schon länger anhält. Auch die Garnelenfänge in der Lagune sinken: Mehr Touristen, mehr Fabriken, mehr Abwasser – ergo weniger Lebewesen, die gefangen werden können.

Bleibt die Frage, ob die Idee des «ban of chemicals» im Alltag der Bauern und Gärtner hängen geblieben ist. Schwierig zu sagen… In den landwirtschaftlichen Läden stehen sowohl biologische Dünger als auch chemische. Auch Herbizide wie Glyphosat sind zu haben. Die Bauern sind pragmatisch, müssen pragmatisch sein. Oft kaufen sie das billigere Mittel, nicht das umweltschonendere, denn wer kein Geld hat, ist sich nicht gewöhnt, zu wählen. Wer hat die Kraft, an die Zukunft zu denken, wenn schon ein einzelner Tag eine Herausforderung ist?

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