Samstag, 3. Juni 2023
08.12.2022 12:53
Raubtiere

Wolf: Parlament für Regulierungssaison 

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Von: blu

Wölfe sollen nicht nur geschossen werden dürfen, wenn sie Schäden angerichtet haben, sondern auch, um künftige Schäden zu verhüten. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat eine Art Regulierungssaison für Wölfe im Jagdgesetz aufgenommen. Berichte über Wolfsrisse und Begegnungen von Mensch und Wolf prägten die emotionale Debatte.

 Ausgearbeitet hatte die Vorschläge die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats (Urek-S). Der Ständerat hiess die Vorlage in der Herbstsession mit 31 zu 6 Stimmen bei 4 Enthaltungen gut. 

Nun hat auch der Nationalrat den Vorstoss gutgeheissen. Er beschloss am Donnerstag mit 106 zu 74 Stimmen und 12 Enthaltungen Änderungen im Jagdgesetz, mit denen der wachsende Wolfsbestand im Land kontrolliert werden soll. Die Nein-Stimmen kamen aus den Fraktionen von SP, Grünen und GLP. 

Auch Rudel regulieren

Die parlamentarische Initiative «Wachsende Wolfsbestände geraten ausser Kontrolle und gefährden ohne die Möglichkeit zur Regulierung die Landwirtschaft» strebt eine Änderung des Bundesgesetzes über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel an.

Analog der Zuständigkeitsordnung für das geschützte Steinwild soll präventiv die Regulierung von Wolfsbeständen durch die Wildhut ermöglicht werden. Als zusätzliche Massnahme zum zumutbaren Herdenschutz soll die Regulierung von Wolfsbeständen zulässig sein, wo aufgrund der hohen Wolfsdichte die Landwirtschaft gefährdet ist. In diesen Gebieten soll zudem die Entfernung von Wolfsrudeln, oder Teile davon, ermöglicht werden.  

Gemäss Antrag der Urek-S sollen Wölfe zwischen 1. September und 31. Dezember reguliert werden dürfen. Die geplanten Regulierungsmassnahmen sowie deren Zielsetzung (Stabilisierung oder Reduktion) sind von den Kantonen zu begründen. Ausserdem sollen Wölfe, die auffallen, weil sie Siedlungen und Menschen bedrohlich nahekommen oder den Herdenschutz umgehen, erlegt werden dürfen.

«Ohne Eingriffe bald 700 Wölfe»

Heute leben in der Schweiz mindestens 200 Wölfe und 20 Rudel. Die Folgen sind eine Zunahme Risse an Nutztieren und eine Reduktion des Schalenwildbestandes. In diesem Jahr wurden hunderte Schafe und Ziegen sowie Kühe, Kälber, Esel und Lama gerissen. In seinem Kanton habe sich ein Wolf sogar auf einen Spielplatz vorgewagt, auf dem sich glücklicherweise gerade kein Kind aufgehalten habe, berichtete Pierre-André Page (SVP/FR). «Es muss gehandelt werden.»

«Wenn wir nicht rasch handeln, wird der Bestand innert kürzester Zeit auf 500 bis 700 Tiere zunehmen. Diese Zahl wäre weit jenseits der Grenze der Akzeptanz der Wölfe in der Bevölkerung. Nicht nur, aber besonders in der besonders betroffenen Bergbevölkerung in den Kantonen des Alpenbogens. Der Wolf nähert sich aber auch mehr und mehr dem Mittelland an», sagte Nicolo Paganini (SG) im Namen der Mitte-Fraktion. 

Mit der Ausbreitung der Wolfspopulation gehe eine Zunahme der Konflikte zwischen den Grossraubtieren einerseits und den Menschen sowie den Nutztieren andererseits einher. «Es ist nicht gut, den Teufel an die Wand zu malen. Aber muss noch Schlimmeres passieren, bis wir den Jagdbehörden bessere Mittel zur Regulierung des Wolfs in die Hand geben?», fuhr er fort. Er bat seine Kolleginnen und Kollegen, auf das Geschäft einzutreten.

Staatsversagen

Michael Graber (VS) von der SVP-Fraktion wies auf die starke Zunahme der Population hin. «Inzwischen zählt man über 210 Wölfe in mehr als zwanzig Rudeln. 2021 gab es rund 150 Wölfe. Das heisst, der Bestand hat in einem einzigen Jahr um über 30 Prozent zugenommen», so Graber. Die übermächtige Wolfspräsenz verursache gravierende Schäden und Konflikte mit Jägern, mit der Landwirtschaft, mit dem Tourismus und mit der Bevölkerung. 

Die Bäuerinnen und Bauern würden grosse Anstrengungen  betreiben, um ihre Tiere zu schützen. «Trotzdem kommt es auch auf geschützten Weiden immer wieder zu Rissen. Herdenschutzmassnahmen sind nur bedingt geeignet und bieten keine Gewähr für eine wirksame Wolfsabwehr. Als Folge davon geben viele Tierhalter auf. Unsere schönen Alpen verbuschen und verganden», warnt Graber.  Die massive Zunahme der Wolfspopulation sei nicht nur für die Landwirtschaft eine existenzielle Bedrohung, sondern auch für die Sicherheit der Bevölkerung. «»rhalten wir das Berggebiet als Lebens- und Wirtschaftsraum, stellen wir die Sicherheit der Bevölkerung sicher und stoppen wir die unkontrollierte Zunahme der Wolfsbestände», so der Walliser weiter. Und er setzte nach: «Der Wolf symbolisiert die ideologischen Beamten, die sich lieber um Tiere kümmern als um die Anliegen der betroffenen Menschen. Der Wolf steht in diesem Sinne für nichts anderes als für ein unverkennbares Staatsversagen», fuhr er fort.

Nicht ganze Rudel auslöschen

Das es Probleme mit dem Wolf gibt, anerkennt auch Bastien Girod (ZH) von den Grünen. «Der Wolf ist aber nicht nur Schädling, er ist auch Nützling. Er ist auch ein Waldschützer. Der Wolf hilft auch, das biologische Gleichgewicht in der Natur zu wahren. Er hilft, eine natürliche Regulierung bei Rehen und Hirschen hinzubekommen. Das ist wichtig», sagte er im Rat.

Nicht alle Rudel würden Probleme verursachen. Gemäss Girod sind es fünf. Konkret haben wir in der Schweiz zwanzig Rudel. «Das muss man berücksichtigen. Es ist einfach nicht richtig, dort reinzuschiessen», sagte der gebürtige Bieler. Das Beverin-Rudel übertreibe vollkommen. Dort brauche es Massnahmen. «Die Grünen sind nicht grundsätzlich gegen Massnahmen. Viele Rudel sind im Bereich dazwischen. Dort muss man nicht gerade das ganze Rudel auslöschen. Einzelne Abschüsse können helfen, um das Verhalten zu ändern», sagte Girod weiter. Er sprach sich für eine Lockerung aus, die nicht «übers Ziel hinausschiesse».

«Haben Sie mit einem Landwirt gesprochen?»

Girod wurden von seinen Ratskollegen in der Folge mit Fragen eingedeckt. Nationalrat Mike Egger (SVP/SG) fragte Girod, ob er schon einmal mit einem Landwirt gesprochen habe, der Risse verkraften musste? Und wenn ja, was sein Eindruck war. Ja, das habe er, sagte Girod. «Wenn sich ein Wolf tatsächlich die Gewohnheit aneignet, plötzlich Schafe zu essen, ist das ein Problem. Ab und zu muss man dann einen Wolf abschiessen, und dann lernen seine Kollegen auch, dass dieser Speisezettel nicht sinnvoll ist», sagte er zu Egger. Aber wenn er sich wieder auf die Rehe und die Hirsche fokussiere, sei das ist richtig und ein Abschuss unnötig. 

Markus Ritter (Mitte/SG) fragte Girod, ob er sich vorstellen könne, was es bedeute, wenn auf den Alpen Nacht um Nacht die Wölfe um die Herden herumstreifen, die Hunde bellten. Und man nicht wisse, wann ein Angriff erfolge. Das sei beängstigend, sagte Girod. «Ein solches Verhalten darf nicht passieren, da sind wir uns einig. Ein solches Verhalten der Wölfe ist nicht richtig, ist nicht natürlich. Ich glaube, da sind wir uns einig. Mein Punkt war einfach, dass die Vorlage – da bin ich der festen Überzeugung – über das Ziel hinausschiesst, da man dann eben auch Wölfe jagen könnte, die sich nicht so verhalten», fuhr Bastien Girod fort.

Gefährdung von Menschen verhindern

Anschliessend ging Susanne Vincenz-Stauffacher (SG) für die FDP-Fraktion zum Rednerpult. Das Nebeneinander zwischen Wölfen, Nutztieren und Menschen sei eine Herausforderung. In den vergangenen drei Jahren haben aber der Bestand der Raubtiere massiv zugenommen. «Vor diesem Hintergrund ist die parlamentarische Initiative zu sehen. Sie hat die proaktive und präventive Regulierung von Wolfsbeständen zum Ziel», sagte sie.

Nebst Schäden solle neu auch die Gefährdung von Menschen präventiv verhindert werden. «Die FDP-Liberale Fraktion unterstützt das Ziel der proaktiven Bestandesregulierung», hielt sie fest. Diese soll nicht mehr erst aufgrund von Schäden oder erfolgten Gefährdungen stattfinden. Sondern es solle möglich werden, Wölfe, die ihre natürliche Scheu verlieren und sich in Wohngebiete begeben, präventiv zu erlegen. «Es ist uns wichtig, diese Gesetzesvorlage nun rasch ins Ziel zu bringen, um den Betroffenen in den entsprechenden Gebieten Sicherheit zu geben, ohne dabei den angemessenen Artenschutz zu unterlaufen», hielt Susanne Vincenz-Stauffacher fest. 

GLP will Wolfsbestand stärken

Gegen die Vorlage sprachen sich die Grünliberalen aus. «Wir haben heute etwas über 200 Wölfe in 23 Rudeln, vor allen Dingen in den Berggebieten. Das ist eine schöne Entwicklung. Ich finde, es ist wirklich traurig, wenn man einfach davon ausgeht, dass Wölfe irgendwie Schädlinge, übel für das Land, für die Welt, für die Menschen und für die Tiere seien und ausgerottet oder zurückgedrängt werden sollten», sagte Beat Flach (AG) im Namen der GLP-Fraktion.

Die GLP wollen deshalb den Wolfsbestand weiter stärken. Der Abschuss soll weiterhin in der Hoheit des Bundes und nicht in jener der Kantone liegen. «Wölfe halten sich nicht an Kantonsgrenzen. Sie kennen diese auch nicht», sagte Flach. «Drittens ist für uns Grünliberale auch wichtig, dass Problemwölfe geschossen werden können, wenn sie jegliche Scheu vor den Menschen verlieren. Und dass man auch entsprechend regulieren kann, wenn sie zu viele grosse Schäden verursachen oder grosse Schäden verursacht werden könnten», so Flach. Der Wolf gehöre nicht einfach zu den jagdbaren Tieren wie der Steinbock, stellte er klar.

«Wolf ist nicht einfach bösartig»

Die GLP fordert Anpassungen. «Wir wollen, dass diese Population insgesamt wächst. Aber natürlich an den Orten, wo es eben auch Sinn macht, wo die Wölfe entsprechend viel Wild zur Verfügung haben, wo sie dafür sorgen können, dass die Wildpopulation sich in Grenzen hält», so Flach.

«Der Wolf ist nicht einfach ein bösartiges Tier, sondern er hat eine wichtige ökologische Funktion für die Verjüngung des Waldes», sagte Ursula Schneider Schüttel (SP/FR) an. Eine Gruppe von Stakeholdern habe einen Vorschlag gemacht, der besser sei als die Vorlage des Ständerats, bedauerte sie.

Auf Schonzeit verzichten

Die Minderheit um Matthias Samuel Jauslin (FDP/AG) hätte auf die Schonzeit für die Wölfe verzichten und Regulierungsabschüsse das ganze Jahr zulassen wollen, ohne Schonzeit. So könnten Wölfe «zur richtigen Zeit am richtigen Ort» erlegt werden, wenn dies nötig sei, sagte Jauslin. «Wenn Sie aus diesem Rudel das falsche Tier herausschiessen – zum Beispiel das Muttertier oder auch das Vatertier -, dann ist eben die Gefahr nicht gebannt, sondern sie wird erhöht, nämlich indem diese Rudel aufgesprengt werden und allenfalls wilde Einzelwölfe daraus entstehen, die dann eben Probleme machen», fuhr er fort.

Wenn aber während der Schonzeit ein grosser Schaden durch Risse auftauche, dann sei die Bewilligung für einen Abschuss anders zu erhalten – es ist eben dann Schonzeit. «Wenn wir gar keine Schonzeit haben, braucht es diese Unterscheidung nicht», fuhr er fort.

Der Nationalrat entschied sich mit 103 zu 91 Stimmen gegen eine Regulierung von Wölfen ohne Schonzeit. Die Regulierungssaison solle verhindern, dass Muttertiere von noch abhängigen Jungtieren geschossen würden, sagte Stefan Müller-Altermatt (Mitte/SO) namens der Mehrheit.

Eingriffe in Wolfsrudel sind gemäss dem Entscheid beider Räte allerdings auch in den Sommermonaten möglich. Voraussetzung ist, dass ein Rudel für aussergewöhnliche Risse verantwortlich ist, etwa besonders von Rindern oder auch Pferden.

«Herdenschutz alleine reicht nicht»

Der Bundesrat sprach sich für die Vorlage aus dem Ständerat aus. «Für das Zusammenleben von Berglandwirtschaft und Wolf ist und bleibt der Herdenschutz eine zentrale Komponente. Der Herdenschutz verhindert die meisten Risse von Schafen und Ziegen», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Doch dieser alleine reiche nicht aus. «Es braucht deshalb auch Eingriffe in den Wolfsbestand. Heute braucht es für den Einzelabschuss den Nachweis eines erheblichen Schadens, für die Regulierung eines Rudels den Nachweis eines grossen Schadens. Das macht die Dokumentation aufwendig und die Prozesse langsam», führte die Bundesrätin.

Deshalb unterstützt der Bundesrat die Lösung über eine sogenannte proaktive Bestandesregulierung. Das heisst, das Wolfsabschüsse zur präventiven Verhütung von Wildschaden und zur Erhaltung der natürlichen Scheu der Wölfe möglich werden sollen. «Dabei gilt erstens, dass der Wolfsbestand nicht gefährdet werden darf. Zweitens soll die Zustimmung des Bundes bei der Regulierung von Wolfsrudeln weiterhin notwendig sein. Damit geht die jetzige Vorlage auf einen der Hauptkritikpunkte an der Gesetzesvorlage ein, die in der Volksabstimmung keine Mehrheit gefunden hat. Drittens gilt weiterhin die Pflicht zum Herdenschutz, bevor Wolfsabschüsse infrage kommen», sagte Sommaruga.

Busse bei nicht fachgerechtet Nachsuche

Weil der Nationalrat die Vorlage in mehreren Punkten ergänzt hat, geht sie zurück an den Ständerat. Die grosse Kammer will eine bessere Aufklärung über die Grossraubtiere, und ebenso will sie die Bezeichnung überregionaler Wildtierkorridore im Gesetz verankern.

Weiter will der Nationalrat Jäger und Jägerinnen mit bis zu 20’000 Franken büssen, wenn sie die Nachsuche nach waidwunden Tieren nicht fachgerecht ausüben. Der Bundesrat erklärte sich mit der Vorlage einverstanden.

Nicht einverstanden war Umweltministerin Simonetta Sommaruga jedoch mit den von den Räten beschlossenen Finanzhilfen an die Kantone für Massnahmen gegen den Wolf. Der finanzpolitische Spielraum sei beschränkt, mahnte sie.

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