Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU sollen bis Ende abgeschlossen. Für Christian Häberli, Forscher am World Trade Institut in Bern und Freihandelsexperte, bietet ein mögliches Andocken der Schweiz an TTIP auch Chancen für die Bauern.
Vom TTIP, der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, erhoffen sich die Wirtschaft und die Regierungen der USA und der EU-Staaten einen grossen Schub. Die EU und die USA verhandeln seit Sommer 2013 über das Freihandelsabkommen.
Abbau von Handelshemmnissen und Zöllen
Der Abbau von Handelshemmnissen und Zöllen sowie um die Vereinbarung gemeinsamer Standards wie beispielsweise bei der Kennzeichnung von Importfleisch soll den Handel erleichtern und erweitern. Nach dem Abschluss der Verhandlungen müssten die Parlamente die Verträge aber noch ratifizieren. Und hier dürfte es noch zu einigen Debatten kommen.
«Ich halte dieses Abkommen für absolut richtig und wichtig und im absoluten europäischen Interesse», sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel kürzlich. Kritiker befürchten, dass Standards im Konsumenten- und Umweltschutz gesenkt werden. Wegen der Folgen für die Landwirtschaft ist TTIP ebenfalls umstritten. Bauern in den USA dürfen gewisse Pflanzenschutzmittel oder Hormone einsetzen, die in der EU verboten sind. Mit dem Freihandelsabkommen könnten solche Produkte möglicherweise auch in Europa verkauft werden.
Wirtschaftliche Bedeutung
Durch die grosse wirtschaftliche Bedeutung der Europäischen Union und der USA (50 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts) würde TTIP potenziell die weltgrösste Freihandelszone bilden. Der Handel der Europäischen Union und der USA umfasst rund ein Drittel des weltweiten Handelsvolumens. Rund 800 Millionen Menschen wären betroffen.
CH: Bauern dürfen nicht im Weg stehen
Die Übernahme der TTIP-Regeln könnten bei einem Abschluss der EU und der USA auch in der Schweiz zu einem Thema werden. Bereits Anfang Jahr erklärte Martin Naville, Geschäftsführer der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer: «Wenn es eine transatlantische Handelszone gibt, müssen wir dazugehören. Unsere Schweizer Firmen brauchen gleich lange Spiesse.» Er fordert ein Andocken der Schweiz, sollte das Abkommen Tatsache werden.
Die hiesigen Bauern stünden für lediglich 0,7 Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung, so Naville. «Es kann nicht sein, dass eine so kleine Gruppe dem Rest der Wirtschaft im Weg steht», sagte er damals. Naville forderte eine langfristig ausgerichtete Strukturreform der Schweizerischen Landwirtschaft. «Auch für die Bauern sind Spezialisierung, Effizienzsteigerung und hochwertige Produkte der richtige Weg.» Dass sich die Landwirtschaft in ihrer heutigen Struktur erhalten könne, sei illusorisch, sagte er weiter.
Direktzahlungen weiterhin möglich
In der Dienstagsausgabe des „Tages-Anzeiger“ nun äussert sich auch Christian Häberli zum TTIP und einem möglichen Andocken der Schweiz an dieses Abkommen. Der 64-Jährige war beim Bund während über 20 Jahre als Unterhändler für Wirtschaftsfragen tätig. Nun ist er hauptberuflich Forscher am World Trade Institut der Universität Bern.
Er warnt davor, eine Übernahme der TTIP-Regeln zu blockieren, sollten sich die USA und TTIP auf ein Abkommen einigen. „Die Schweizer Exportfirmen, auch im Agrarsektor, wären stark benachteiligt, und die Produktionsschwäche der Schweizer Landwirtschaft wäre auf Jahre hinaus zementiert“, mahnt Häberli im Interview mit dem „Tages-Anzeiger“.
Er kenne Bauern, die mehr Wettbewerb begrüssen würden. Die Landwirtschaft könnte indirekt von einem Freihandelsabkommen à la TTIP profitieren. Auch bezüglich Direktzahlungen sieht der Jurist keine Probleme. „Alle unsere Inlandzahlungen wären unter TTIP möglich – sogar Einkommensgarantien“, fährt Häberli fort. „Auch die USA und die EU-Staaten werden nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommen ihre Bauern subventionieren“, macht der im Tessin wohnhafte Häberli deutlich.
Handel Schweiz sieht Chancen für die Bauern
Als positiv erachtet auch Handel Schweiz ein mögliches Andocken an TTIP. Gemäss der Organisation erhebt die USA auf Milchprodukte einen Importzoll von durchschnittlich 22 Prozent. Entsprechend teuer werde Schweizer Käse in den USA gehandelt, erklärte Kaspar Engeli, Direktor von Handel Schweiz, Anfang März.
Käse aus der Schweiz werde vornehmlich im Premium-Segment verkauft. Würden mit einem Freihandelsabkommen die Zölle wegfallen, wären Schweizer Landwirtschaftsprodukte für ein viel grösseres Publikum erschwinglich, ist er sich sicher.
Ein Drittel der Betriebe gefährdet
Für die Schweizer Bauern könnte ein Andocken gravierende Folgen haben. Vor allem dann, wenn der Agrarbereich vollständig geöffnet werden sollte. Sei dies der Fall, könnte die Zahl der hiesigen Bauernbetriebe um rund ein Drittel sinken, schätzte Francis Egger vom Schweizer Bauernverband (SBV) Anfang Mai.
Die Schweiz sei ein Importeur von Nahrungsmitteln, so Egger. Der SBV ist nicht grundsätzlich gegen Freihandelsabkommen. Gegenüber der Nachrichtenagentur SDA nannte Egger das Abkommen mit China als Beispiel. Sollten beispielsweise Fleischimporte aus Irland durch US-Artikel ersetzt werden, sei dies für die Schweizer Bauern kein Problem.
Als grosse Gefahr sieht er jedoch den Wegfall sämtlicher Einfuhrkontingente und –zölle. Die hiesigen Bauern könnten dann preismässig nicht mehr mithalten. Ein Drittel der Betriebe könnten durch den Wegfall der Zölle und Kontingente verschwinden, warnt Egger. Die Zahl der Betriebe dürfte von 54'000 auf 40'000 sinken. Auch macht sich Egger Sorgen um die Herkunftsbezeichnungen AOP (Appellation d'Origine Protégée) oder IGP (Indication Géographique Protégée). Die USA würden diese (noch) nicht anerkennen, so Egger.