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Dorf sagt ganz klar: Kuhglocken bei Tag und Nacht

Die Stimmberechtigten der Gemeinde Aarwangen haben ein «Reglement zur Pflege des Glockengeläuts» angenommen. Die Klage von Einwohnern, die sich am nächtlichem Glockengeläut störten, war der Anlass. Fortan soll eine Mediationsstelle bei solchen Lärmbeschwerden vermitteln. Die Lärmklage gegen Bauer Gerber bleibt aber bestehen. 

pd/ome/blu |

Gegen Bauer Ernst Gerber aus Aarwangen BE wurde im November 2022 eine Beschwerde wegen Nachtruhestörung eingereicht. Grund dafür war das nächtliche Geläut der Glocken seiner Kühe. Zwei neu zugezogene Paare, die ihre Wohnung direkt neben der Wiese hatte, störten sich, über das Geläut und verlangten, dass die Kühe in der Nacht zwischen 22 bis 7 Uhr keine Glocken tragen dürfen. Die Gemeinde nördlich von Langenthal zählt rund 5'000 Einwohner und ist längst von einem Bauerndorf zu einer Agglomerationsgemeinde geworden.

An der Gemeindeversammlung, die das neue «Glocken-Reglement» gutgeheissen hat, waren 72 Stimmbeteiligte anwesend, was einem Wähleranteil von 2,2% entspricht. 69 Personen haben sich für das Reglement ausgesprochen, eine Person hat dagegen gestimmt und zwei Personen haben sich der Stimme enthalten. 

«Unglaubliche Solidarität»

Auf die Lärm-Beschwerde der Anwohner hin formierte sich ein Initiativkomitee. Bei Initiant Andreas Baumann, Arzt aus Aarwangen, löste die Beschwerde Befremden aus. Er wolle das nicht hinnehmen, sagte er zur «Berner Zeitung». Der betroffene Landwirt habe Kompromissbereitschaft gezeigt. Er sei bereit gewesen, nur noch sechs von zwölf Kühen Glocken beim Weidegang umzuhängen. Innert weniger Wochen hat rund ein Drittel der Aarwanger Bevölkerung die  «Glockeninitiative»  unterschrieben.

«Es  ist eine unglaubliche Solidarität», zeigte sich Landwirt Ernst Gerber bei der Übergabe der Unterschriften beeindruckt. «So viele Menschen, das ist enorm. Sie alle zeigen offen, was ein grosser Teil der Bevölkerung im Stillen denkt», führte er aus.  Vor der eigentlichen Übergabe hatten sich die Sympathisanten beim Hof von Ernst Gerber versammelt und sind mit Glockengeläut vom Mumenthal zum Gemeindehaus durchs Dorf gezogen

Gemeindepräsident Niklaus Lundsgaard-Hansen liess damals verlauten: «Ich bin sehr sicher, dass diese Initiative angenommen wird,» liess er durchblicken, bedacht, keine Stellung zu nehmen. «Ich hoffe aber, dass dies nicht zu einer Spaltung in Aarwangen führt.» Für den Präsidenten des Initiativkomitees, Andreas Baumann, ging es bei der Beschwerde nicht gegen die Glocken des traditionsbewussten Landwirtes. «Es geht darum, dass sich eine Bürgerinitiative aus Aarwangen dafür einsetzt, darüber zu sprechen, wie wir unsere Tradition bewahren wollen», führte der Bauernsohn aus.

Reglement angenommen

Im Dezember 2023 wurde an der Gemeindeversammlung die Ausarbeitung eines Reglements über das Glockengeläut angenommen. Es wurde bei nur vier Gegenstimmen angenommen. Baumann präsentierte eine Lösung. Für den Streit um Kuhglocken soll ein Reglement erarbeitet werden, das den traditionellen Glockenklang als Kulturgut definiert. Das Tragen von Glocken soll am Tag und in der Nacht möglich sein. Baumann verwies dabei auch auf einen Entscheid aus Frankreich. Paris hat entschieden, dass Zugezogene nicht mehr gegen Geräusche und Gerüche aus der Landwirtschaft klagen könnten.

Bekenntnis zu historischer Tradition

Dieses Reglement wurde am Montag, 17. Juni, an einer weiteren Versammlung, mit nur einer Gegenstimme, angenommen.  Der erste Artikel des Reglements, das per 1. August 2024 in Kraft treten wird, lautet wie folgt: «Die Gemeinde Aarwangen bekennt sich zu seiner historischen Tradition als ländliches Dorf mit Glockengeläut am Tag und in der Nacht. Am Glockengeläut besteht mit Blick auf das Brauchtum und die örtlichen Gepflogenheiten ein gewichtiges öffentliches Interesse.» Das neue Reglement über das Glockengeläut in Aarwangen würde Vieles festhalten, wofür das Initiativkomitee seit über einem Jahr gekämpft habe, sagen die Initianten. 

«Aarwangen bekennt sich zu seiner Tradition: Kuhglocken bei Tag und Nacht», sagte Andreas Baumann. «Und ich hoffe, dass potenzielle Beschwerdeführer sich das nun vor Augen führen», führte er weiter aus. 

Ein weiteres Anliegen der Initianten, das mit dem Reglement berücksichtigt wird, betrifft die Informationspflicht der Gemeinde. Diese wird durch das Reglement verpflichtet, vor allem auch Neuzuzüger über die Bedeutung des Glockengeläuts auf dem Gemeindegebiet zu informieren. Denn es waren solche Neuzuzüger, welche die Lärmbeschwerde eingereicht und also diesen «Glockenkonflikt» erst ausgelöst haben.

Anlaufstelle für Konfliktparteien

Um künftige Konflikte frühzeitig zu vermeiden, schafft die Gemeinde eine Mediationsstelle. Bürgerinnen und Bürger, die sich am Glockengeläut stören, sollen sich an diese Stelle wenden. Diese Stelle wird dann zwischen den Parteien vermitteln, um den Konflikt einvernehmlich zu lösen.

Die Gemeinde Aarwangen bekennt sich zu seiner historischen Tradition als ländliches Dorf mit Glockengeläut am Tag und in der Nacht.

Auszug aus dem Reglement

Das neue «Glocken-Reglement» ist jedoch dem kantonalen Recht und dem Bundesrecht untergeordnet. Die Gemeinde kann also mit dieser Mediationsstelle eine Konfliktlösung nicht erzwingen und dadurch auch rechtlich keine verbindliche Entscheidung treffen. Gemeindepräsident Niklaus Lundsgaard-Hansen betonte an der Gemeindeversammlung, dass das Lärmschutzrecht grösstenteils im Bundesrecht und teils im kantonalen Recht geregelt sei. Lärmklagen könnten deshalb nicht ausgeschlossen werden. Es bleibe weiterhin möglich, dass die Gemeinde im Einzelfall Massnahmen gegen Geläut verfügt, heisst es in der Mitteilung weiter. Die Initianten begrüssen aber eine solche Vermittlerstelle.

Lärmbeschwerde

Zwei der ursprünglich insgesamt drei Lärmbeschwerden gegen den Bauern wurden mittlerweile zurückgezogen. Eine Partei, die jetzt in einem Nachbardorf wohnt, halte aber die Beschwerde aufrecht, heisst es in der Mitteilung weiter. Was nach der Annahme des neuen Reglements mit dieser Beschwerde geschehen werde, sei noch offen.

Die Bevölkerung von Aarwangen habe aber mit der Annahme der Glockeninitiative und der Zustimmung zum Reglement ein öffentliches Interesse am Glockengeläut angemeldet. «Damit erhält das öffentliche Interesse gegenüber dem privaten Interesse mehr Gewicht», hielt der Gemeindepräsident fest. Den Entscheid fälle aber letztlich die örtliche Bau- und Gewerbepolizei. Mit der Zustimmung zum neuen Gemeindereglement wird das Initiativkomitee jetzt durch eine Interessengemeinschaft abgelöst, die eine beobachtende Funktion übernehmen werde.

Problem nicht gelöst

Für Bauer Ernst Gerber ist das «Problem» damit aber noch nicht gelöst. Denn eine Person hält die Lärmbeschwerde gegen ihn aufrecht, wie das Initiativkomitee in einer Medienmitteilung informiert. «Ich hoffe, dass eine zweite Messung durchgeführt wird», erklärt er. Dann wäre keiner der Beschwerdeführer mehr da und die Beschwerde hinfällig.

Initiant Andreas Baumann ist diese erste Lärmmessung, die von der zuständigen Kantonspolizei am 1. März 2023 aufgrund der Beschwerden durchgeführt wurde, ein Dorn im Auge. Im Fachbericht der Kantonspolizei sei die Rede davon, dass Mitarbeiter der Fachstelle zwei Schellen händisch, möglichst realitätsnah «gebimmelt» haben. Aufgrund dieser Messungen sei dann der Fachbericht entstanden.

«Wenn im konkreten Fall wie auf dem Land von Ernst Gerber zwei Mitarbeiter der Lärmschutzstelle der Polizei des Kantons Bern auf dem Feld herumspringen, einer davon misst und der andere bimmelt und damit zumindest einer so tut, wie wenn er ein Rindvieh wäre, dann habe ich meine erheblichen Zweifel, dass das genau gleich klingt wie das Bimmeln einer Kuh», erklärt Andreas Baumann an der Gemeindeversammlung. Wenn dies als Messgrösse herangezogen werde, laufe etwas falsch in diesem Land. «Wenn das Bimmeln der Kühe auf dem Land eines Landwirtes so realitätsfern beurteilt wird, dann gibt es Konflikte mit der Landbevölkerung», ist für Baumann klar.

Initiativkomitee wird zur Interessengemeinschaft

«Das Initiativkomitee Glockeninitiative hat mit dem heutigen Tag sein Ziel erreicht und wird aufgelöst. Unsere Arbeit ist getan», liess Andreas Baumann an der Gemeindeversammlung durchblicken. Ein Schlussstrich wird aber noch nicht gezogen. Das Bestreben für den Erhalt des Glockengeläuts wird nicht abgebrochen. «Wir haben eine Interessengemeinschaft gebildet. Sie wird dem Gemeinderat wie auch dem Präsidenten auf die Finger schauen und sich vorbehalten, der Behörde auch auf die Finger klopfen, wenn es nötig ist», so Baumann. Auf der Website von glockeninitiative.ch sei eine exakte Anleitung aufgeschaltet, wie man in einer Gemeinde vorgehen müsse, um eine Glockeninitiative wie in Aarwangen zu lancieren. Und wie sieht es mit der einmal angedachten nationalen Initiative aus? «Ich bin der persönlichen Meinung, dass wir das Thema des Glockenklangs im Artikel 74 der Bundesverfassung angehen müssten und dort Glockenklang als Klang und nicht als Lärm definieren müssen», führt er aus. Eine nationale Initiative müssten andere Organisationen übernehmen. Er sei in erster Linie Arzt. 

Der «Schweizer Bauer» hat über den «Glockenstreit» berichtet: 

-> 1100 Unterschriften für Glockeninitiative eingereicht

-> Kuhglocken-Streit geht in nächste Runde

Kommentare (2)

Sortieren nach:Likes|Datum
  • Hv | 19.06.2024
    Gut gemacht, Aarwangenen.
  • Daniel Zürcher | 18.06.2024
    Kuhglockenlärm stört die Milchkuhträgerin am Meisten…bis 800kg Milch weniger pro Laktation wegen Stress. Besser ohne Glocken arbeiten dafür mehr Gesundheit und Milch. Mehr Milchgeld
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