Der Berg ist zur Ruhe gekommen. Nach dem glimpflich abgelaufenen Grossereignis am 16. Juni sind aber immer wieder kleinere Felspartien am oberen Rand der Bergsturzfläche abgebrochen. Meist zerfielen die grossen Blöcke, und das Material kam in der durch den Abgang der Insel entstandenen Mulde zum Stillstand. Die Lage hat sich im Felssturzgebiet sichtlich beruhigt.
Grosses Bauprojekt
Vermutlich durch die Starkniederschläge im Oktober und im November hat an verschiedenen Messstellen die Rutschgeschwindigkeit auf der Gleitschicht aber wieder zugenommen. Der Vortrieb des Sondierstollens mit einer Länge von 560 Metern ist abgeschlossen. Dieser Ausbruch und die Sondierbohrungen haben bereits 14 Millionen Franken verschlungen.
Für den nun auszubrechenden Entwässerungsstollen müssen für die grossen Mengen an Ausbruchmaterial zuerst die notwendigen Deponieflächen vorbereitet werden. Dieser Entwässerungsstollen wird in seiner endgültigen Ausführung unter der Gleitschichtzone über total 2400 Metern Länge wie eine Banane von Westen über Norden bis nach Osten um das Dorf herumführen.
Heuernte drei Wochen später
Mit Bohrungen in die Gleitschicht soll diese Zone danach entwässert werden. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2027 vorgesehen. Die Totalkosten sind auf 40 Millionen Franken veranschlagt. Daran werden vom Bund und vom Kanton Graubünden je 45% an Beiträgen geleistet. An den Restkosten von 10% beteiligen sich die RhB und das EWZ mit insgesamt 5%. Der Gemeinde Albula verbleiben somit 5% oder rund 2 Millionen Franken. Diese versucht sie zumindest teilweise mit Spendengeldern aufzubringen.
Die Solidarität für die Bedürfnisse der Fraktion Brienz ist in der Gemeinde Albula mit insgesamt sieben Fraktionen sehr gross. Gilt es doch für die übrigen Fraktionen, mit ihren Bedürfnissen zurückzustehen. Die Heuernte konnte in der ersten Julihälfte, rund drei Wochen später als normal, erfolgen. Es wurde eine grosse Menge erster Schnitt mit mässiger Qualität eingebracht.
Bereits vor rund 100 Jahren ereignete sich in diesem Gebiet ein vergleichbarer Bergsturz.
Andrea Accola
Perfekter Herbst
Von dieser Tatsache profitierte dann allerdings der zweite Schnitt. Die Trockenheit im Juni hat sich nicht auf das Graswachstum ausgewirkt. Gute Qualität und überdurchschnittliche Mengen konnten im August konserviert werden. Daneben galt es aber auch, alle während sieben Wochen der Evakuation liegen gebliebenen Arbeiten nachzuholen.
Perfekt war dann das Wetter im Herbst, sodass Georgin Bonifazi aktuell alle notwendigen Arbeiten, auch Mist und Gülle fahren, zeitgerecht abschliessen konnte. Er ist ist in Brienz aufgewachsen und hat den Landwirtschaftsbetrieb 1990 von seinen Eltern übernommen. Heute bewirtschaftet er mit seiner Familie knapp 40 ha Land. Im Gelände sind die Auswirkungen der seit 2017 stärker gewordenen Rutschung beeindruckend. Bei einem Gang über einen Teil seiner Wiesen zeigte der Landwirt neue Terrainsenkungen, aufgehende Risse und Löcher.
Das Eingangstor zum Laufhof gerät immer mehr aus dem Lot.
Andrea Accola
Kein Neubau
Die Grasnarbe trage zwar ihr Gewicht, aber man bemerke den darunter liegenden Hohlraum. Das stellt eine grosse Gefahr für den Weidegang und für die Bewirtschaftung im Frühjahr dar. Im Stall hat er die aktuelle Statik überprüfen lassen, weil man die zu erwartenden Schneelasten ja nicht kennt. Sorgen bereiten Georgin Bonifazi auch die sich immer wieder öffnenden oder auch neuen Risse im Gebäude – diese zeigten sich trotz der bereits beim Bau verstärkt ausgeführten Armierungen und Verankerungen.
Ein Neubau kommt für den Landwirt aus Brienz aber im Moment nicht in Frage. Er setzt sehr grosse Hoffnung in den Entwässerungsstollen und in die Entwässerung der Gleitschicht. Man erwartet davon keinen kompletten Stillstand der Rutschung, aber eine deutliche Beruhigung der Situation im Gelände.
Eine Reportage vom Mai 2021 über den Betrieb von Georgin Bonifazi könnt Ihr hier nachlesen
Unsichere Zukunft
Auf die Stimmung im Dorf angesprochen, schildert Bonifazi die Situation. Kurz vor und während der ersten Wochen der Evakuation habe man ein deutliches Zusammenrücken und vermehrte Anteilnahme untereinander wahrnehmen können. Mittlerweile sei es jedoch wieder wie vorher. Der Gemeindeführungsstab hat nach Ansicht von Bonifazi die Extremsituation hervorragend bewältigt, und dafür ist er ihm dankbar.
Der Betrieb von Georgin Bonifazi und seiner Frau Annette steht vor dem Generationenwechsel. Eine Situation, die die ältere Generation extrem belastet. Die nachfolgende Generation ist zwar bereit, den Betrieb zu übernehmen, doch verständlicherweise würden Bonifazis die Betriebsübergabe gerne mit gesicherten Zukunftsperspektiven für den Betrieb und für die nächste Generation einleiten.
Das Betonfundament am Stall von Georgin Bonifazi hatte bereits 2021 einen Riss von über 15cm.
Monika Gerlach