Im Kanton Glarus wurden in diesem Jahr bis jetzt 90 Schafe und Ziegen gerissen. Der Unmut der Bäuerinnen und Bauern ist gross. Eine Petition mit über 3000 Unterschriften fordert die Regierung auf, den Wolf stärker zu regulieren.
In der vergangenen Woche hat der Kanton Glarus Bilanz über die Alpsaison 2022 gezogen. Diese fällt trist aus. Die Abteilung Landwirtschaft und die Glarner Schafälpler und Alpeigentümer haben 90 gerissene Schafe und Ziege registriert. Die Herdenschutzberater zählten mit den Schafälplern nach der Alpabfahrt auf denjenigen Alpen, die von Rissen betroffen waren, 120 vermisste Schafe und Ziegen.
Verlust 14-mal höher
«Die Zahl von 210 gerissenen oder im Zusammenhang mit Übergriffen vermissten Tieren ist 14-mal höher als im Jahr 2021», schreibt der Kanton Glarus. Der Verlust für die Besitzer wird auf rund 110'000 Franken geschätzt. Bisher wurde bei einem Alpsommer bei den Schafen mit Verlusten infolge von Krankheiten, Abstürzen oder Unwettern von 1 bis 2 Prozent gerechnet. In diesem Jahr wurde auf denjenigen Alpen, die Risse zu verzeichnen hatten, ein Verlust von durchschnittlich 8 Prozent gezählt. Zum Vergleich: 2021 wurden im Kantonsgebiet 10 gerissene und 5 verschwundene Schafe und Ziegen im Zusammenhang mit dem Wolf gezählt.
Die Einsatzgruppe Herdenschutz des Kantons Glarus wurde durch Hilfspersonal der Alpbetriebe und Zivildienstleistende unterstützt. Die Kosten für den Arbeitseinsatz im Zusammenhang mit den Wolfsangriffen betragen 37'000 Franken. 80 Prozent dieser Kosten übernimmt der Bund.
Schafalpen in Gefahr
Der Herdenschutzbeauftragte des Kantons Glarus geht bereits davon aus, dass die Anzahl Risse im kommenden Sommer steigen wird. Um die Alpen und Tiere zu schützen und das Sömmern zu ermöglichen, braucht es aus seiner Sicht strukturelle Anpassungen wie mobile Unterkünfte für das Alppersonal. Doch werde es zunehmend schwierig, qualifiziertes Personal zu finden.
«Die Abteilung Landwirtschaft ist besorgt und fragt sich, ob an der Koexistenz von Grossraubtieren und Kleinwiederkäuern auf den kleinstrukturierten Alpen im Glarnerland festgehalten werden kann. Die Glarner Schafalpen sind im schweizweiten Vergleich sehr gut geeignet, dank der langen Sömmerungsdauer und dem guten Futterangebot», so der Herdenschutzbeauftragte.
«Geldzahlungen lösen Problem nicht»
An einer Pressekonferenz trug der Glarner Bauernverband die Sorgen der Landwirtinnen und Landwirte vor. Die Zahl von 210 vermissten oder gerissen Schafen und Ziegen sei horrend, sagte Fritz Waldvogel, Präsident des Glarner Bauernverbandes. «Geldzahlungen lösen das Problem nicht», führte er aus. Er verwies auch auf die administrativen Hürden: «Der Bauer muss beweisen, dass es der Wolf gewesen ist – dass es nicht der Wolf gewesen ist, kann und wird niemand beweisen».
Die Bauern fühlen sich alleine gelassen. So sagte Landwirt Thomas Elmer: «Wenn sich an der heutigen Situation keine deutlichen Veränderungen einstellen, wird es ganz schwierig, die Alp- und Weidewirtschaft aufrecht zu erhalten. Das ist unsere Quintessenz aus diesem Sommer.» Er richtete seine Worte an den Glarner Landammann Benjamin Mühlemann, der an der Pressekonferenz vor Ort war. Die Regierung soll die Landwirtschaft besser schützen und für diese einstehen. Die Landwirte fordern eine stärkere Regulierung des Wolfes.
Zwei Rudel
Im Kanton Glarus leben derzeit zwei Rudel. Das erste Glarner Wolfsrudel konnten Jäger im Herbst 2020 im Mürtschental dokumentieren. Aufnahmen von Fotofallen zeigten, dass das Rudel aus mindestens acht Tieren, nämlich zwei Elterntieren und sechs Jungwölfen, besteht. Im September 2021 wurde im Jagdbanngebiet Kärpf das zweite Rudel nachgewiesen. Bilder einer Fotofalle zeigten Wolfswelpen. Die Experten gingen von vier Jungwölfen aus.
Ständerat will Jagdgesetz anpassen
Die Worte von Mühlemann gegenüber dem Schweizer Fernsehen dürften den Bäuerinnen und Bauern zumindest Hoffnung machen. «Ja, wir müssen mehr machen. Wo können wir das heutige Regelwerk noch besser ausnutzen, das müssen wir selbstkritisch anschauen», sagte er gegenüber «SRF». Die Forderung einer stärkeren Regulierung teilt der Landamman. «Wir arbeiten hier mit Nachdruck daran, uns in Bundesbern mehr Gehör zu verschaffen», so Mühlemann.
Derzeit wird im eidgenössischen Parlament über eine Revision des Jagdgesetzes debattiert. Der Ständerat hat eine Vorlage, die eine einfachere Regulation des Wolfes fordert, angenommen. Wölfe sollen nicht nur geschossen werden dürfen, wenn sie Schäden angerichtet haben, sondern auch, um künftige Schäden zu verhüten. So soll eine Art Regulierungssaison für Wölfe im Jagdgesetz aufgenommen werden. «Wir hoffen, dass künftig ein griffiges Instrumentarium vorhanden sein wird», sagte Mühlemann weiter.
Petition will Bauern helfen
Unterstützung erhalten die Bauern von der Bevölkerung. Die Interessengemeinschaft für einen wolfssicheren Lebensraum unterstützt diese im Kampf für eine verstärkte Regulation. Die IG ist aus besorgten Bürgerinnen und Bürger aus Glarus Süd entstanden. Mit einer Petition fordern sie eine stärkere Regulierung des Raubtieres. «Wir wollen eine Berg- und Alplandwirtschaft mit Weidehaltung, wo die Nutztiere das Futter fressen können, das in unseren Tälern wächst und die zugleich die Lebensgrundlage von Bäuerinnen und Bauern bildet», heisst es in der Petition.
Die Landwirtschaft erfülle eine wichtige Aufgabe, indem sie die Landschaft mit den verschiedenen Nutztieren vor einer Vergandung freihalte. «Und schliesslich ist es auch unsere Lebensgrundlage, denn wir werden täglich mit Lebensmitteln versorgt», heisst es weiter.
«Klares Bekenntnis zur Landwirtschaft»
Innert kürzester Zeit wurden 3000 Unterschriften gesammelt. Die Petition «Wolfssicherer Lebensraum» wurde dem Landamman am Montag an der Pressekonferenz überreicht. «Wir fordern ganz klar die Regulierung des Wolfs. Wir wollen eine Überpopulation verhindern. Vor allem die Entwicklung im Sernftal hat markante Auswüchse angenommen», sagte Barbara Vögeli von der IG zu «SRF».
Landamman Benjamin Mühlemann wollte sich nicht direkt zur Petition äussern. Die Regierung werde dazu eine Stellungnahme abgeben. «Ich denke, ich lehne mich nicht zu stark aus dem Fenster, wenn ich sage, dass ein klares Bekenntnis zur Landwirtschaft und zur Alpwirtschaft darin enthalten sein wird», hielt er gegenüber «SRF» fest.
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