Im Lendenbereich des toten Rinds waren deutliche Biss- oder Kratzspuren erkennbar.
Michael Welz
Die Landschaft oberhalb von Davos GR, zwischen Leidbach und Nüllisch Grat, ist weitläufig und wild. Geröllhalden durchziehen das über 250 Hektaren grosse Gebiet, das zur Leidbachalp gehört. Michael Welz sömmert hier selbst seine 43 Kühe. Nun sind es elf weniger. Zehn Tiere sind inzwischen zurück auf seinen Milchviehbetrieb nach Oberembrach ZH gebracht worden. Das elfte Tier, ein rund 450 Kilogramm schweres Rind, verendete in der Nacht vom 6. auf den 7. August.
Ein Video des toten Rindes erreichte kürzlich die Redaktion des «Schweizer Bauer». Es zeigt das Tier auf der Seite liegend, den Kopf nach oben gereckt, die Vorderbeine angewinkelt. Der Hinterleib ist aufgerissen, der Schwanz fehlt, im Lendenbereich sind deutliche Biss- oder Kratzspuren erkennbar.
Grossteil des Hinterleibs fehlte
Hörbar bewegt schildert Welz, was aus seiner Sicht passiert sein muss: Die Jungtiere seien mehrere Hundert Meter oberhalb der Fundstelle eingezäunt gewesen. «Das Rind muss gejagt worden sein, über den ersten Zaun gesprungen, dann durch den zweiten Zaun in die Tiefe gerannt und «gedrohlet» sein.» So wie das Tier gelegen habe, könne jedoch nicht allein der Sturz die Todesursache gewesen sein.
Die Biss- oder Kratzspuren im Lendenbereich sowie das Fehlen des Schwanzes und eines Grossteils des Hinterleibs deuten laut Welz auf ein kräftigeres Tier als etwa einen Fuchs hin. Ob der Wolf das Rind tödlich verletzt oder erst nach dem Sturz angefressen hat, bleibt offen.
DNA-Proben eingesendet
Arno Puorger, Abteilungsleiter «Grossraubtiere» beim Bündner Amt für Jagd und Fischerei (AJF), schreibt auf Anfrage: «Nach Beurteilung der Hinweise vor Ort gehen wir davon aus, dass das Rind mit grösster Wahrscheinlichkeit infolge eines Wolfsangriffs zu Tode kam.» Zur Identifizierung der Verursacher seien DNA-Proben eingesendet worden, so Puorger.
Dass Wölfe in der Gegend unterwegs sind, zeigen nicht nur die Sichtungskarten auf der Website des AJF. «In der Nacht nach dem Vorfall beobachtete die Wildhut zwei Wölfe in unmittelbarer Nähe der Kühe dem toten Rind. Einer sahen wir sogar bei der Besichtigung des Rindes», erzählt Welz. Auch ein Älpler drei Alpen weiter habe kurz nach dem Vorfall einen Wolf gesehen. Dieser war am helllichten Tag vor dem Transporter auf dem Alpweg unterwegs.
Alleine auf der Alp
Bisher kam es zu keinen weiteren Rissen, die Anwesenheit der Wölfe beunruhigt den Landwirten dennoch: «Ich bin allein auf der Alp, mache Kontrollrundgänge und versuche, meine Kühe zu schützen. Aber man fühlt sich ohnmächtig angesichts der Bedrohung.» Die Tränen kann der Bauer beim Erzählen nur schwer zurückhalten.
Die Wildhut ist mit drei Personen im gesamten Gebiet um rund Davos GR präsent. Welz fühlt sich ernst genommen und unterstützt, dennoch sei es in dem wilden und zergliederten Gelände schlicht nicht möglich, umfassende Herdenschutzmassnahmen umzusetzen. «Ich bräuchte hunderte von Netzen und viele zusätzliche Helfer, um hier wirksam zu zäunen. Das ist weder machbar noch finanzierbar.»
Zusatzaufwand Tourismus
Der Bauer ist bereits stark ausgelastet: Das versorgen der Milchkühe, die Milch ins Tal bringen, Zäunen, tägliche Kontrollen, Rodungsarbeiten gegen die Verbuschung und dazu noch der Tourismus. «Ein paar Biker haben neulich wieder Tore offen gelassen. Wenn die Tiere raus sind, sind sie weg.» Zwar unterstützt auch Davos Tourismus die Älpler, doch der zusätzliche Aufwand sei enorm.
Begriffe wie Abalpung, Abschuss oder gar Aufgabe der Alp tauchen im Gespräch zwar auf – so weit will Welz derzeit aber nicht denken. Er hofft und betet, dass es beim Einzelfall bleibt.
Wölfe in Graubünden
Im ersten Halbjahr 2025 rissen Wölfe in Graubünden 23 Nutztiere. Im Vorjahr waren es deren 40. Wie aus dem zweiten Quartalsbericht des Amtes für Jagd und Fischerei (AJF) hervorgeht, stieg die Zahl der Risse im Juli auf 45. Derzeit leben laut dem AJF acht Wolfsrudel im Kanton, zwei weitere ziehen grenzüberschreitend umher. Insgesamt wurden 27 Welpen bei den Rudeln nachgewiesen. Im Zeitraum zwischen September 2024 und Januar 2025 wurden 48 Wölfe erschossen, vier weitere starben durch Verkehrsunfälle oder andere Ursachen.