In der Mitte unserer ersten Reisewoche machten wir einen bemerkenswerten Halt in Yonezawa, nur eine Stunde von Yamagata entfernt. Auf einer holprigen Schotterstrasse führte uns der Bus entlang schmaler Kanäle, die zum Fluten der Reisfelder genutzt werden. Dort trafen wir auf einen dynamischen jungen Mann namens Toshiyuki Takahashi, der früher Feuerwehrmann war und sich seit fünf Jahren der Landwirtschaft verschrieben hat.
Zu wenig junge Bauern
Takahashi erzählte uns von seinem Weg: «In der Landwirtschaft arbeiten viele ältere Menschen, und es mangelt an jungen Leuten.» Trotz der Bedenken seiner Schwiegereltern wagte er den Schritt und begann mit dem Anbau von Grünspargeln. Der Start war herausfordernd, denn es ist nicht einfach, Land zu erwerben. Und der Spargel benötigt Zeit, um zu gedeihen, bevor er geerntet werden kann. Mittlerweile kann er rund 7 Tonnen Spargeln ernten und vertreibt diese frischen Spargeln an ein Luxuskaufhaus in Tokio.
Rund 7 Tonnen Spargeln werden hier jährlich geerntet.
Zoë Egger
Takahashi hat noch grosse Pläne – der Einstieg in den Reisanbau steht nebst dem Anbau von Gemüse auf seiner Agenda, denn die Zukunft sieht er dort. Beeindruckt von seiner Entschlossenheit und seinem Mut, in einem so traditionell geprägten Berufsfeld seinen eigenen Weg zu gehen, fühlten wir Respekt und Bewunderung für diesen jungen Bauern, der nicht nur für sich, sondern auch für die Zukunft der Landwirtschaft in Japan kämpft.
Kulinarische Köstlichkeiten
Zum Mittagessen wurden wir im Satoyama Vision House, gegründet von der engagierten und offenen Mika Kuroda empfangen. Hier wird die Philosophie des «Satoyama», einer Lebensweise im Einklang mit der Natur, lebendig. Dieses Konzept umfasst nicht nur den respektvollen Umgang mit der Umwelt, sondern auch die Verzahnung von traditioneller Landwirtschaft und der lokalen Gemeinschaft. Auf den Tischen, die im Satoyama Vision House gedeckt waren, fanden wir eine Vielzahl von Gerichten, zubereitet von engagierten Hausfrauen der Region.
Die Hausfrauen aus der Region empfingen uns im Satoyama Vision House.
Zoë Egger
Jedes Gericht war ein ehrliches Zeugnis der Zutatenvielfalt aus der Umgebung: gekochter Adlerfarn, rustikale Eintöpfe aus gefrorenem Rettich und Klette sowie zarte Walnuss-Agar-Desserts. Der Genuss, diese lokalen Spezialitäten zu probieren, war uns eine Freude. Dazu wurde uns der Kartoffeleintopf mit Yonezawa-Rindfleisch, das in diesem Jahr sein 150-jähriges Jubiläum feiert, serviert.
Gastfreundschaft
Beim Essen sassen neben uns zwei lokale Journalisten und einige Nachbarn, die sich bereitwillig in Gespräche mit uns vertieften. Die Sprachbarriere stellte zwar eine Herausforderung dar, doch sie erwies sich auch als eine Brücke zur Entstehung spannender Dialoge und neuer Bekanntschaften. Jede Unterhaltung war ein kleines Abenteuer für sich, während wir uns durch Gesten, Lächeln und einige Worte verständigten.
Mika Kuroda gründete das Satoyama Vision House und empfing uns zum Mittagessen.
Zoë Egger
Es war beeindruckend zu sehen, wie sich aus der Neugierde und dem Wunsch nach Austausch Gespräche entwickelten. Die herzliche Gastfreundschaft von Mika Kuroda und der lokalen Gemeinschaft hinterliessen einen bleibenden Eindruck und öffneten uns die Augen für die reiche und vielfältige Esskultur Japans.
Der Reiswein wird hier gebraut
Der Nachmittag unseres Reisetages begann mit einem Besuch in einer Sake-Brauerei. Sake, oft fälschlicherweise als «Reiswein» bezeichnet, ist ein alkoholisches Getränk, das aus poliertem Reis gebraut wird. Doch technisch gesehen ist die Herstellung eher mit der von Bier vergleichbar. Der Brauprozess ist ein komplexes Zusammenspiel von Fermentierung, Präzision und jahrhundertealtem Wissen.
In der Brauerei durften wir verschiedene Sorten probieren – von leichten Varianten bis hin zu süssem, dezentem Aroma. Der Geschmack von Sake ist vielschichtig: Er kann fruchtig, fast weinähnlich sein oder auch erdig und umamireich, mit einem Hauch von Getreide und Hefe. Speziell war die klar-trübe Variante «Nigori», die durch ihren milchig-weissen Charakter und ihre süsse Note überzeuge.
Die Distelblüten wurden im April gesät.
Zoë Egger
Gewoben wie anno dazumal
Von der Sake-Brauerei führte uns in die Distelblüten-Produktion der Familie Nitta, die seit stolzen 140 Jahren im Geschäft ist. Hier erlebten wir hautnah, wie traditionelles Handwerk heute noch praktiziert wird. Die Distelpflanzen wachsen über drei Monate auf kleinen Parzellen, bis ihre Blüten Anfang Juli geerntet werden. Die Ernte ist nur während 4 Tagen möglich: Die Blüten, auf Japanisch Benibana genannt, müssen in den Morgenstunden gepflückt werden, wenn sie noch feucht und in ihrem goldgelben Höhepunkt sind, gerade noch bevor sie ins Orangene übergehen.
Nach der Ernte werden die Blüten gewaschen und mit den Füssen gestampft. Die gestampften Blüten fermentieren dann, bevor sie erneut bearbeitet und in flachen, talerähnlichen Formen getrocknet werden. Durch diesen Vorgang sind sie lange haltbar und bereit für die Weiterverarbeitung.
Hier entstehen Stoffe für die traditionellen japanischen Kimono.
Zoë Egger
Ein besonders faszinierender Schritt ist das Trennen der roten und gelben Farbpigmente mit kaltem Wasser. Doch erst durch Reisessig, der die nötige Säure liefert, können Stoffe gefärbt werden. Eine zweite Säure fixiert dann die Farbe und macht sie auf dem Stoff haltbar. Während des gesamten Prozesses muss der Stoff immer in Bewegung gehalten werden, damit sich die Farbe gleichmässig verteilt.
«Das ist wie im Ballenberg»
Als wir den Webraum betraten, in dem zwei traditionelle Webstühle standen, sagte eine Reiseteilnehmerin: «Das ist wie im Ballenberg». Und wirklich das Bild erinnerte an ein lebendiges Museum. Doch hier wurde kein Museumsszenario inszeniert – die Webstühle sind täglich im Einsatz, um Stoffe für die berühmten japanischen Kimonos herzustellen. Sogar mechanische Webstühle, die wir eher aus historischen Darstellungen kennen, werden in der kleinen Fabrik verwendet.
Am Abend erreichten wir unser traditionell japanisches Hotel in Fukushima, das uns mit seiner ruhigen Schönheit, wie angrenzenden Wald und Fluss sowie den heissen Quellen, den Onsen, verzauberte. Die Zimmer waren in Minimalismus und Holzwärme gehalten, mit Tatami-Matten und Shoji-Schiebetüren. Zum Abendessen wurde uns ein köstlichen Kaiseki serviert, einem mehrgängigen Menü, das die Saison perfekt präsentierte.
Wie diese Futtermischung perfektes Fleisch liefert
-> Den ersten Reisebericht aus Japan findet Ihr hier
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