Am vergangenen Freitag war in Graubünden die am 1. Dezember gestartete Jagd auf Wölfe teilweise gestoppt worden. Grund dafür war eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
Graubünden: 8 Wölfe erlegt
Bisher wurden von den 44 bewilligten Abschüssen im Bergkanton acht Tiere erlegt, sagte die zuständige Regierungsrätin Anfang der Woche im Grossen Rat, dem kantonalen Parlament. Gemäss dem «Tages-Anzeiger» hat das Amt für Jagd und Fischerei die Jägerinnen und Jäger am Freitagnachmittag darüber informiert, dass Abschüsse ab sofort nicht mehr zulässig sind.
Nathalie Rutz von Pro Natura sagte der Zeitung: «Wir sind der Meinung, dass die Ausrottung ganzer Wolfsrudel die letzte Möglichkeit bleiben soll.» Zudem dürfen die lokalen Wolfsbestände durch die Abschüsse nicht gefährdet werden. «Wo diese Bedingungen nicht eingehalten sind, sehen wir geltendes Recht verletzt. Als Anwälte der Natur lassen wir entsprechende Abschussverfügungen deshalb gerichtlich prüfen», hielt Rutz gegenüber den «TX-Medien» fest.
«Abschüsse flächig bewilligt»
Am Montag lieferten nun Pro Natura, WWF Schweiz und Birdlife Schweiz die Begründungen für ihre Einsprachen gegen die Abschussverfügungen nach. Bund und Kantone missachteten jede Verhältnismässigkeit und ignorierten die wichtige Rolle des Wolfs im Lebensraum Wald, heisst es im gemeinsamen Communiqué.
«Die neue Verordnung über die Jagd und den Schutz wildlebender Tiere (JSV) ist einseitig auf Wolfsabschüsse gemünzt. Besonders irritierend am Vorgehen von Bund und Kantonen ist, dass Abschüsse ganzer Wolfsrudel flächig bewilligt wurde», kritisieren die Organisationen. Entgegen den Zusicherungen des Bundesrates seien auch Abschüsse von ganzen Rudeln bewilligt worden, die nur sehr wenige Nutztiere gerissen hätten.
Wallis: 10 Wölfe geschossen
Im Wallis ist in der ersten Jagdwoche auf den Wolf bereits knapp ein Drittel der geplanten Abschüsse erfolgt. Wildhüter und Jäger erlegten seit dem 1. Dezember zehn Wölfe. Sieben Rudel, etwas über 30 Raubtiere, will der Bergkanton insgesamt beseitigen.
«Ausser Kontrolle»
Die Organisationen verweisen auf die Beratung des Jagd- und Schutzgesetzes im Parlament. Dort sei festgestellt worden, dass der Abschuss ganzer Rudel die Ausnahme bleiben müsse und lediglich auf Rudel angewendet werden dürfe, die «ausser Kontrolle» geraten seien. Die Organisationen sehen geltendes Recht verletzt.
Sie fechten deshalb vier der acht Abschussverfügungen im Kanton Graubünden vor Gericht an. Vorläufig gestoppt wird damit die Eliminierung der Rudel Stagias und Vorab sowie die Regulierung der Rudel Jatzhorn und Rügiul. Im Kanton Wallis betreffen die Beschwerden drei der sieben Abschussverfügungen – die Rudel Hauts-Forts, Nanztal und Isérables-Fou.
Die Regulation von Rudeln soll aber weiterhin möglich sein, halten die Organisationen fest. «Wo es um die plausible Verhinderung grosser Schäden geht, bleibt der Spielraum der Kantone für proaktive Eingriffe in den Wolfsbestand vollumfänglich erhalten», heisst es weiter.
Bafu bewilligte Abschuss von 12 Rudeln
Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) hatte Ende November Gesuche aus drei Kantonen bewilligt für den Abschuss von insgesamt zwölf Wolfsrudeln. Die Abschüsse müssen seit dem 1. Dezember in einem zweimonatigen Zeitfenster bis Ende Januar 2024 erfolgen. Im Kanton Wallis wurde der Abschuss von sieben der 13 Rudel mit etwa 34 Tieren bewilligt. Der Kanton Graubünden verfügte den Abschuss aller Tiere der vier Wolfsrudel Stagias, Vorab, Beverin und Lenzerhorn. In Graubünden gibt es 12 Rudel. St. Gallen liess den Abschuss des ganzen Calfeisental-Rudels genehmigen.
An der Jagd auf die Wölfe beteiligen dürfen sich nur Wildhüterinnen und Wildhüter sowie speziell ausgebildete Jägerinnen und Jäger. In den kommenden Jahren werden die Kantone jeweils von September bis Ende Januar präventiv in den Wolfsbestand eingreifen. Dazu müssen sie den Angaben zufolge jeweils neue Gesuche einreichen.
Stopp vom Kanton verfügt
Die erste Beschwerde, die Graubünden betrifft, war bereits am Freitag eingereicht worden. Dass der Kanton Graubünden die Jagd am Freitag umgehend stoppte, selbst die Naturschutzorganisationen überrascht, sagte Nicolas Wüthrich, Informationsbeauftragter von Pro Natura, einer der beschwerdeführenden Organisationen, gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Denn ihr Antrag habe nur vier der acht vom Bund erteilten Abschussverfügungen betroffen. «Den Stopp aller Abschüsse im Kanton Graubünden haben die kantonalen Behörden verfügt und war nicht Teil unserer Beschwerde», liess der WWF verlauten.
Die zweite Beschwerde betrifft drei der Abschussverfügungen des Kantons Wallis. Sie wurde am Montag eingereicht. Der Kanton Wallis erklärte auf Anfrage, er habe bislang kein offizielles Dokument zu den Beschwerden erhalten und wolle daher derzeit keinen Kommentar abgeben.
«Kantone sollen sich nicht einschüchtern lassen»
Eine prompte Reaktion gab es dagegen von der Westschweizer Vereinigung für die Regulierung von Grossraubtieren. Sie rief «die Kantone auf, sich nicht einschüchtern zu lassen und die Regulierung der Wolfsrudel fortzusetzen». Ihrer Einschätzung nach «ist die Zustimmung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) ein verwaltungsinterner Akt, der nicht angefochten werden kann».
Gegenstand einer solchen Beschwerde könne die Entscheidung der Kantone sein, und die Kantone könnten auf der Grundlage des kantonalen Rechts entscheiden, einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen, zeigte sich die Organisation überzeugt. Dies ist insbesondere im Wallis vorgesehen. Ein abrupter Abbruch der Wolfsjagd würde der Berglandwirtschaft sowie der Tierwelt schaden, argumentiert sie weiter.
Rösti verteidigt sich
Als Umweltminister Albert Rösti am Montag in der Fragestunde des Parlaments zu diesem Thema befragt wurde, verteidigte er sich. Es gehe nicht um eine Jagd auf den Wolf, betonte er. Und er erinnerte daran, dass es klare Kriterien brauche, um ein Rudel regulieren zu können.
Der Bundesrat hat den ersten Teil der Änderung des Jagdgesetzes am 1. November befristet in Kraft gesetzt und die Verordnung entsprechend angepasst. Damit haben die Kantone die Möglichkeit, bereits im Dezember und Januar «präventive Regulierungsabschüsse» durchzuführen, wenn sie die Zustimmung des Bafu erhalten.
Schweizweit 300 Wölfe
Mit der Lockerung des Wolfsschutzes in der Schweiz können Wölfe neu geschossen werden, bevor sie Schaden angerichtet haben. Dies betrifft nicht nur einzelne Tiere, sondern ganze Rudel. Der Bundesrat hatte die Anpassung der Jagdverordnung Anfang November gutgeheissen. «Der Wolf bleibt auch mit dem revidierten Jagdgesetz eine geschützte Tierart», sagte Bundesrat Albert Rösti. Nur in begründeten Fällen dürften die Kantone ganze Rudel entfernen. Dies bedeutet, dass die minimale Anzahl Wolfsrudel in einer Region überschritten sein muss. In der Schweiz sind gemäss Jagdverordnung fünf Regionen mit bestimmten Mindestmengen an Rudeln festgelegt.
Derzeit sind in der Schweiz gemäss Angaben des Bundes 32 Wolfsrudel mit insgesamt rund 300 Wölfen unterwegs. Im Jahr 2020 waren es noch elf Rudel mit gut 100 Wölfen gewesen. In der Folge ist auch die Zahl der gerissenen Nutztiere gestiegen: von 446 im Jahr 2019 auf 1480 im vergangenen Jahr. Vor allem für die Alpwirtschaft mit Schafen und Ziegen ist das ein Problem. Aber die Wölfe reissen auch Kälber, Alpakas und Pferde.