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Plantagenarbeiter – Menschen zweiter Klasse

1948 hat Sri Lanka sein Los als englische Kolonie abgeschüttelt. Nicht alle profitierten von diesem Freiheitskampf: Die Ausbeutung der Malaiyaha-Plantagenarbeiter/Hill Country Tamils ist auch nach bald 80 Jahren noch immer traurige Realität.

Susanne Sigrist |

Mit einem Korb auf dem Rücken stehen sie am Hang, laufen um die Teebüsche herum und rupfen die jungen Blätter ab, Tag für Tag, jahrelang. Mit ihren bunten Kleidern inmitten der grünen Hügel sind sie bei Touristen beliebt, doch was den einen als hübsches Foto bleibt, ist für die anderen harte Realität.

18 Kilo Blätter pro Tag

Von 8 bis 17 Uhr sind die Frauen unterwegs. Ihr Ziel sind 18 Kilogramm Blätter pro Tag, dafür bekommen sie in Nuwara Eliya zum Beispiel 1000 Rupies, umgerechnet 3 Franken. Auf einer anderen Plantage rechnen sie mit einem Tagesertrag von 20 Kilogramm, dafür verdienen sie 1700 Rupies, also etwa 5 Franken. «Und für Extrakilos gibt es mehr», wird den Besuchern bei einer Führung durch die «Tea Factory» stolz erklärt.

Ob nun 1000 oder 1700 Rupies pro Tag – damit kann man sich knapp ernähren, aber diese Tatsache ist altbekannt und wird allgemein in Kauf genommen. «Money», sagt der alte Mann, der neben den Pflückerinnen die Teebüsche schneidet und streckt mir die Hand hin. «Alle Touristen unterstützen uns.» Herausfordernd blickt er mich an. «Ich habe nur meine Kreditkarte dabei», entschuldige ich mich und zwinkere dabei den Teepflückerinnen zu. Erst eben, als er noch hinter der Hügelkuppe war, habe ich den Arbeiterinnen etwas Geld zugesteckt.

Regierung hätte es in der Hand

Auch die Regierung weiss, dass die Plantagenarbeiter, fast alles Frauen, unter erbärmlichen Bedingungen leben, vor allem kurz vor den Wahlen kommt ihr das gelegentlich in den Sinn. So schrieb Professor Sunanda Madduma Bandara, Berater von Präsident Ranil Wickremesinghe, diesen Juli in der Zeitung «Sunday Observer»: «Befreit die Plantagenarbeiter aus der Sklaverei!». In seinem Artikel ärgert er sich über die «Planters’ Association of Ceylon», die Vereinigung der Plantagenbetreiber, die sich gegen die vorgeschlagene Lohnerhöhung von 1000 auf 1700 Rupies wehrt.

Seine Entrüstung ist scheinheilig. Eigentümerin der Plantagen und damit Besitzerin des Bodens ist die Regierung: 3 Plantagen werden von ihr selber geführt, die restlichen 21 wurden mit langjährigen Leasing-Verträgen privaten Unternehmen übergeben. Die Regierung hätte es also in der Hand, die Lebensbedingungen der Arbeiter zu verbessern. Aber das Thema steht nicht zuoberst auf der Prioritätenliste.

Immer weniger Beschäftigte

Bei den Touristen sind die Teeplantagen ein beliebtes Ausflugsziel, auch das kühle Klima im Landesinneren bietet eine willkommene Abwechslung zur Hitze im Küstengebiet. Von der Hauptstadt Colombo aus kann man gemächlich mit der Eisenbahn in die Hügel fahren, den Anblick der sattgrünen Kuppen geniessen und nach der Führung durch eine factory verschiedene Tees probieren. Als Souvenirs sind hübsch verpackt und zu stolzen Preisen Schwarz-, Grün- und Weisstees erhältlich, das Geschäft mit dem Verkauf ab Fabrik läuft gut.

Worüber die Plantagenbetreiber nicht besonders gerne sprechen, ist die sinkende Zahl der Beschäftigten und die damit einhergehende Abnahme der Produktionsfläche. «Früher waren gegen eine halbe Million Personen auf den Plantagen beschäftigt, jetzt sind es rund 140’000», erklärt Anthony Jesudasan, Executive Director von «Voice of Plantations Peoples Organisation» VOPP, der Vereinigung der Plantagenarbeiter. «Wer kann, geht weg und sucht sich eine besser bezahlte Arbeit».

Engländer brachten Tee auf Insel

VOPP, eine 2023 gegründete Organisation von Freiwilligen, setzt sich für bessere Lebensbedingungen, mehr politische Rechte und höhere Löhne ein. Keine einfache Aufgabe, denn die Wurzel des Problems ist in der Geschichte Sri Lankas verankert und reicht fast 200 Jahre zurück: Als die Engländer im damaligen Ceylon begannen, grossflächig Tee, Zimt, Kautschuk, Palmöl- und Kokospalmen anzubauen, hielten sie nach billigen Arbeitskräften Ausschau. Diese fanden sie in ihrer Nachbarskolonie Indien, genauer gesagt in deren südlichem Staat Tamil Nadu.

Die Vorfahren der heutigen Malaiyaha oder auch Hill Tamils genannten Plantagenarbeiter kamen also als tamilisch sprechende Ausländer nach Sri Lanka und wurden bis vor kurzem auch deutlich so behandelt. Wohl besitzen die meisten nun einen srilankischen Pass und sprechen mehr oder weniger gut Singhalesisch, aber wer sich um eine Stelle im öffentlichen Dienst bewirbt, hat es schwer. Ein Stück Land oder eine Wohnung zu kaufen ist oft unmöglich. Und als Angehörige der tamilischen Ethnie sind sie bei der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit nach dem langen und blutigen Bürgerkrieg nicht besonders beliebt.

Korruption ist normal

Die Situation ist regional unterschiedlich. «In den südlicheren Plantagengebieten werden die Arbeiter von sozialen Organisationen unterstützt, dort ist der Alltag wirklich prekär», erklärt VOPP. «Diese Unterstützung ist okay, aber wir wollen den Leuten ja keine Almosen verteilen, sondern ihnen einen fairen Lohn erkämpfen». VOPP ist darum gleich an mehreren Fronten engagiert: Druck auf die Regierung als Besitzerin der Plantagen, Druck auf die Plantagenbetreiber als Arbeitgeber, Aufklärung der Arbeiternehmer.

«Natürlich haben wir in Sri Lanka Gewerkschaften», lächelt Anthony Jesudasan, «aber leider werden sie von Politikern geführt, Korruption ist normal.  Darum braucht es uns von der VOPP. 1'000 Rupies pro Tag haben wir uns über die letzten Jahre erkämpft und wir kämpfen weiter, aber leider hinken wir ständig der Inflation hinterher, so dass es effektiv keine Lohnerhöhungen gibt».

Billige Arbeiterhäuser

Eine der zahlreichen Idee wäre, den Arbeitern Land abzugeben, damit sie Gemüse für Eigenbedarf anbauen können. Dann müssten sie weniger Geld für Essen ausgeben und freies Land hat es in den Plantagen genug. Nebst der schlechten Versorgungslage und dem niedrigen Einkommen ist auch die Wohnsituation für die Angestellten äusserst belastend: Traditionell wohnen sie in sogenannten «line houses», billigen Arbeiterhäusern mit minimalen hygienischen Standards und beengenden Raumverhältnissen. Mindestens ein Mitglied der Familie muss in der Plantage arbeiten, damit das Wohnrecht für ein «line house» gilt, das heisst, sich von der Plantage zu lösen ist nicht einfach.

Wenn die Regierung von Sri Lanka wollte, könnte sie auch hier mehr Verantwortung übernehmen und aufhören, für jedes Malaiyaha-Anliegen die indische Regierung zu bemühen, sind seit der Migration doch bald 200 Jahre vergangen. Der nördliche Nachbar hatte zwar erst kürzlich versprochen, Wohnhäuser für die Plantagenarbeiter zu bauen, damit die line houses abgerissen werden können - aber passiert ist natürlich nichts.

Das Schicksal der Menschen wird in der Bürokratie der beiden Länder zerrieben. Die jüngeren Malaiyaha jedoch sind weniger schicksalsergeben als ihre Eltern und Grosseltern und begehren auf. Sie protestieren und treten Organisationen bei wie der VOPP. So ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis auch sie in Sri Lanka nicht länger als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Wie tröstlich dieser Gedanke im Alltag der Plantagenarbeiter ist, bleibt fraglich.

Berichte Sri Lanka

Unsere freie Mitarbeiterin Susanne Sigrist hat in den vergangenen Monaten auf Sri Lanka gelebt. Sie haben in mehreren Artikel über die Insel und die Landwirtschaft berichtet. Nun ist Susanne Sigrist in die Schweiz zurückgekehrt. Die Bericht über Sri Lanka

->  Ein Zaun schützt Bauern vor Elefanten

->  Für ihn produzieren 10’000 Bauern

->  Ein Land auf der Suche nach einer Zukunft

Sri Lanka hat gewählt

Vier Monate habe ich dieses Jahr in Sri Lanka gelebt. Ich habe mit reichen Unternehmern Tee getrunken, am Ufer der Lagune Yoga gemacht, Reisbauern zu ihren mächtigen Wasserbüffeln gratuliert und bin mit Fischern in Hütten gesessen, die gefühlt in den nächsten Minuten vom indischen Ozean verschluckt werden. Und dann kam die Präsidentenwahl vom 21. September: Gewonnen hat die National People’s Power NPP. Sie stellt den neuen srilankischen Präsidenten Anura Kumara Disanayaka. Die Deutlichkeit des Resultats ist eine Überraschung. Meine neuen Freunde, insbesondere die ärmeren unter ihnen, freuen sich. Sri Lanka hat sich für einen Wechsel entschieden: Anura Kumara Disanayaka verspricht mehr soziale Gerechtigkeit und will gegen Korruption vorgehen. Die Hoffnungen, die mit dieser Wahl einhergehen, sind gross.

Während meiner Zeit auf der Insel war mir immer wieder die Ergebenheit, ja Passivität vieler Menschen aufgefallen. Ich ärgerte mich insgeheim oft und bemühte mich, diese Haltung als lästiges Überbleibsel der ehemaligen Kolonialzeit zu interpretieren. Vielleicht lag ich falsch. Dass sich die Einwohner von Sri Lanka nun für einen mutigen Kurswechsel entschieden haben und das Schicksal ihres Landes mitgestalten wollen, freut mich auf jeden Fall ausserordentlich und ich wünsche ihnen und ihrem Land für die Zukunft alles Gute.

Doch auch der neue Präsident ist ein Politiker und ob seinen Versprechen Taten folgen werden, wissen wir nicht. Das Land hat hohe Auslandschulden und viele hausgemachte Probleme. Korruption durchdringt die Gesellschaft seit Jahrzehnten – schlimmer als ein böses Geschwür. Sie zu bekämpfen ist eine Herkulesaufgabe, denn erfahrungsgemäss werden Machtpositionen nicht freiwillig abgegeben. Ob es dem neuen Präsidenten gelingen wird?

Wie sagte meine srilankische Freundin Renuka nach der Wahl? Wir werden sehen…

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