Heute ist die landwirtschaftliche Ausbildung im grössten Agrarkanton dezentral an sieben Standorten verteilt. Doch damit soll Schluss sein, teilte die Berner Regierung Mitte Mai mit. Viele der Gebäude seien sanierungsbedürftig. Um den Anforderungen an einen modernen Bildungs- und Beratungsbetrieb zu genügen, stünden an mehreren Standorten Investitionen an, so der Regierungsrat.
«Landwirtschaft wird geschwächt»
Er liess deshalb eine Nutzerstrategie erarbeiten. Das Resultat führte zu einem mittleren Beben. Denn durchgesetzt hat sich die Variante mit drei Kompetenzzentren in den Regionen Seeland, Mittelland und Berner Oberland. Sie sieht vor, dass das Inforama seine Tätigkeiten auf die Standorte Rütti (Mittelland), Hondrich (Berner Oberland) Ins (Seeland) konzentriert. Das 1. und 2. Jahr der Grundbildung zum Landwirt respektive zur Landwirtin und die landwirtschaftliche Beratung sollen weiterhin auch dezentral angeboten werden.
Die Standorte Oeschberg (Koppigen), Waldhof (Langenthal), Schwand (Münsingen) und Emmental (Bärau) werden mittelfristig aufgehoben. Das Emmental und das Oberaargau gehen damit leer aus. Aus den Regionen gab es viel Kritik. «Landwirtschaft Emmental» befürchtet eine Schwächung der Landwirtschaft und der Region als Ganzes. Fachkräfte und Auszubildende würden wegziehen. Das könne unmöglich das Ziel dieser Strategie sein. Der Vorstand von «Landwirtschaft Emmental» erwartet von den Behörden einen engen Einbezug der betroffenen Regionen und weitere Abklärungen.
Der Präsident des Berner Bauernverbandes, Jürg Iseli, zeigte sich wenig erfreut über die Pläne der Regierung. «Gerade in der landwirtschaftlichen Aus- und Weiterbildung sind kurze Wege sehr wichtig», sagte er zum Regionaljournal von Radio SRF. Mit dieser Standortstrategie entferne sich der Kanton von den Bauern.
Ersatzgebäude realisieren
Wie das Inforama mitteilt, dauere es recht lange, bis die Schliessungen Realität würden, da zuerst die Ersatzbauten realisiert werden müssten . So wird etwa für Oeschberg das Jahr ca. 2030 genannt, für Waldhof Hauswirtschaft ca. 2032, für Waldhof weitere Tätigkeiten ca. 2034 (Beratung und 1./2. Lehrjahr bleiben aber dezentral), für Hondrich Hauswirtschaft ca. 2032, für Schwand ca. 2034 und für Bärau ca. 2034 (Beratung und 1./2. Lehrjahr bleiben aber dezentral).
Von den insgesamt knapp 250 Mitarbeitenden am Inforama müssten laut Angabe des Inforama rund 30 Personen den Standort wechseln (10 Personen von Waldhof und Bärau; 14 Personen von der bäuerlichen Hauswirtschaft und 4 Personen vom Schwand).
«Strategie umfassend überarbeiten»
Nun hat sich auch die Finanzkommission (Fiko) des Kantons Bern mit der Informa-Strategie befasst. Und das Resultat ist für die Regierung wenig schmeichelhaft. Zwar begrüsst die Fiko eine Erarbeitung einer neuen Nutzerstrategie. Und diese enthalte auch positive Elemente. Die Fiko fordert eine umfassende Überarbeitung der Nutzerstrategie. Sie kritisiert sowohl das Vorgehen als auch inhaltliche Punkte des Berichts. Deshalb beantragt sie dem Grossen Rat, die Nutzerstrategie zurückzuweisen, verbunden mit neun Auflagen.
Der Standort Rütti bei Zollikofen würde durch die Strategie des Kantons deutlich gestärkt.
Martin Zbinden
Anspruchsgruppen einbeziehen
Kritisiert wird insbesondere der Erarbeitungsprozess. «Die Nutzerstrategie wurde praktisch ausschliesslich verwaltungsintern und durch das Inforama erarbeitet», heisst es in der Mitteilung der Fiko. Anspruchsgruppen wie der Schulrat, Bauernverbände oder die Standortgemeinden seien nicht oder nur ungenügend einbezogen worden.
Das Argument der Regierung, in einem ersten Schritt eine betrieblich und räumlich optimale Strategie erarbeiten zu wollen, überzeugt die Fiko nicht. Sie fordert, die Anspruchsgruppen «prominent» in die Überarbeitung einzubeziehen.
Aussagen zur Entwicklung
In Kritik ist auch die langfristige Strategie bis in die 2040er-Jahre. Viele Punkte würden vage bleiben. Die FiKo fordert Nachbesserungen. Die Kommission befürchtet durch die Konzentration teure Leerstände. «Zu möglichen Nachnutzungen fehlen in der Strategie jegliche Aussagen», lautet die Kritik. Weiter soll ein Mobilitätskonzept erarbeiten werden und die Vorteile der Konzentration der Standorte für die verschiedenen Berufsgruppen aufgezeigt werden.
Und auch die Entwicklung der Landwirtschaft soll antizipiert werden. «Es braucht auch zusätzliche Aussagen dazu, wie sich die Landwirtschaft bis in 20 Jahren verändern wird, beispielsweise wegen des Klimawandels, und zu den Auswirkungen auf die Aus- und Weiterbildung inklusive Infrastruktur», so die Fiko.
Voraussichtlich in der Herbstsession 2023 wird die Nutzerstrategie dem Grossen Rat vorgelegt.
Antrag auf
- In die Überarbeitung sind sämtliche Anspruchsgruppen, namentlich die Branche (u.a. Bauernverband), der Schulrat und die Standortgemeinden, als aktiv Projektbeteiligte einzubinden und in der Projektorganisation abzubilden. Ebenfalls angemessen zu berücksichtigen sind je nach Standort die Berufsfachschulen, die Fachhochschule (BFH-HAFL) und Agroscope. Einzubeziehen sind ferner mögliche überkantonale Bildungskooperationen.
- Die zu überarbeitende Nutzerstrategie zeigt auf, wie sie sich zu den Zielen der kantonalen Immobilienstrategie 2019 verhält – insbesondere misst sie die Investitionskosten und den Land- und Ressourcenverbrauch.
- Es ist aus gesamtstaatlicher Sicht aufzuzeigen, welche Nachnutzungen (inkl. Devestitionen) für die freiwerdenden Liegenschaften angestrebt werden und welches die zu erwartenden Kosten sind.
- Es ist ein Mobilitätskonzept für alle geprüften Varianten auszuarbeiten und im Bericht abzubilden.
- In der Nutzerstrategie ist darzulegen, wie die Umsetzung der Strategie eine praxisnahe, zukunftsgerichtete und qualitativ hochstehende Ausbildung in den einzelnen Berufsgruppen ermöglicht.
- Die Nutzerstrategie ist mit einem längerfristigen Ausblick zu ergänzen. Darin sind insbesondere mögliche Entwicklungen in der Ausbildung, der Einfluss des Klimawandels und weitere Megatrends zu berücksichtigen.
- Standort Schwand: Bei der Evaluierung der Räumlichkeiten ist die Möglichkeit eines allfälligen Mieterausbaus für weitere Inforama-Nutzungen oder für anderweitige Bildungsangebote wie namentlich die Überbetrieblichen Kurse zu prüfen.
- Die ohnehin vorgesehenen und nicht direkt von der Nutzerstrategie abhängigen Investitionen werden wie geplant umgesetzt.
- Bei Konzentrationen, bzw. der Schaffung von Kompetenzzentren sind auch andere Standorte als die Rütti zu prüfen (z.B. für Hauswirtschaft oder Überbetriebliche Kurse).