Es gibt aber auch Bauern im Tal, die sich nicht festlegen wollen. Sie warten vorerst das Resultat der Untersuchung ab, bevor sie die Gänsegeier vorverurteilen. Sie erinnern sich aber, dass es in der Region noch nie einen solchen Vorfall gegeben habe. Haben tatsächlich Gänsegeier insgesamt 20 Tiere in den Tod getrieben, fragt sich die «Berner Zeitung».
«Die Geier sind schuld»
Das traditionelle Chlus-Dorfet oberhalb von Reidenbach wird von dunklen Schatten begleitet. Diese stammen aber nicht von den Wolken, sondern von den Gänsegeiern, die noch immer über dem Tal kreisen. Nur ein Kilometer von den Festlichkeiten entfernt hat sich das tödliche Ereignis zugetragen.
Für Werner Gempeler, Präsident des Jodlerklubs Bärgfründe, besteht kein Zweifel, dass die Geier für den Tod der Schafe verantwortlich sind. Es gäbe sie zwar seit einigen Jahren, doch in jüngster Zeit sei deren Population grösser geworden, sagt er zur «Berner Zeitung».
Die Gänsegeier würden sich wohl auch von Aas ernähren. Wenn aber keine Kadaver vorhanden wären, würden sie dafür sorgen, dass es solche gibt, wird im Dorf gemunkelt. Die Geier hätten also die Schafe auf der Alp ganz bewusst in Panik versetzt, um sie einen Hang herunterstürzen zu lassen. «Das ist noch lange nicht fertig», sagt Gempeler zur «Berner Zeitung».
Untersuchungsbericht soll Spekulationen beenden
Solange man nicht genau weiss, was zum Sturz der 20 Schafe geführt hat, bietet diese Ungewissheit auch eine Plattform für Spekulationen. So würde im Tal sogar die Verschwörungstheorie kursieren, dass die «Grünen» dafür verantwortlich seien. Sie hätten die Geier ausgesetzt und damit diese Misere verursacht.
Die Gemeindepräsidentin von Boltigen, Anna Bieri, betrachtet die Angelegenheit dann doch etwas pragmatischer. Es sei nicht im Sinne der Bauern, wenn sie sich jetzt dazu äussern würde. «Untersuchungen und Abklärungen sind im Gang. Wir wollen nun zunächst die Resultate abwarten», sagt Bieri zur «Berner Zeitung» .
Von Schreckschüssen und Zeugen
Michael Ueltschi vom Advokaturbüro Ueltschi & Studer in Bern vertritt die Interessen des betroffenen Älplers. Auch er will sich nicht abschliessend zum Fall äussern. Er stellt sich aber natürlich hinter seinen Mandaten und äussert eine «dringende Vermutung», dass die Gänsegeier die Schafe aufgeschreckt und in den Tod getrieben hätten.
Interessant in diesem Zusammenhang scheint vielleicht, dass auch ein «Schreckschuss» abgegeben worden sei, um die Geier zu vertreiben. «Im Übrigen wurde mir mitgeteilt, dass es Zeugen gebe, welche die Schafe über das steile, felsige Gelände herunterfallen sahen», sagt der Anwalt zur Zeitung. Einen angeblichen Steinschlag schliesst er aus und fordert eine lückenlose Aufklärung.
Zweifel an Steinschlag und Geierangriff
Ein Steinschlag werde auch deshalb ausgeschlossen, weil dieser wohl einzelne Schafe treffen könnte, nie aber 20 Tiere auf einmal. Auch hätten sich am Fundort der toten Schafe keine Spuren eines Steinschlags finden lassen. Also waren es doch die Geier? Oder doch nicht?
Experten schliessen die Geier als Täter aus. «In Boltigen werden im Sommer regelmässig Dutzende Gänsegeier gesichtet, teilweise über Hundert, ohne dass die Vogelwarte je von solchen Vorfällen erfahren hat.»», sagte Experte Livio Rey, Biologe von der Vogelwarte Sempach, dazu. Dass Gänsegeier schwer verletze Schafe angehen könnten sei noch kein Beweis dafür, dass sie auch gesunde Schafe jagen würden.
Was also hat die 20 Schafe auf der Alp Nüschlete am 27. Juni dermassen aufgeschreckt und in Panik versetzt, dass sie sich in den Tod gestürzt haben? Die Resultate des Untersuchungsberichts sollen bald Klarheit schaffen.
Der «Schweizer Bauer» hat bereits über diesen Vorfall berichtet: