Samuel Krähenbühl war fast 12 Jahre Redaktionsleiter des Online-Portals schweizerbauer.ch. Nun geht er als Teamleiter Produktentwicklung Genetik zu Swissgenetics. Er blickt auf Highlights der vergangenen 12 Jahre zurück.
Alles hat nicht geändert in den vergangenen 12 Jahren. Aber viel. Als ich im Januar 2006 an der ersten Swiss Expo für den "Schweizer Bauer" war, konnte man zwar im Content Management System (CMS), das die Website steuert, bereits über das Notebook arbeiten. Für die Produktion der Zeitung gab es aber noch keine "Cloud-Lösung". Wir schleppten alte Macs mit Röhrenmonitoren ins Beaulieu. Dort wurde auf dem lokal installierten Layoutprogramm "Quark-Express" die Seiten gelayoutet, welche bereits identisch in Bern in der dortigen Umgebung aufgebaut waren. Dann wurde der Text in ein Word kopiert und zusammen mit den Bildern nach Bern gemailt. Dort wurden die Seiten noch einmal aufgebaut.
Es war demnach ziemlich stressig, den Sieg von Wi-Star Kite Nova an der Red-Holsteinausstellung noch rechtzeitig in die Zeitung vom Samstag zu bringen. Heute geht das viel entspannter. Seit 2013 laufen alle Systeme in der Cloud. Wir können auf der anderen Seite der Welt genau gleich gut arbeiten, wie in der Redaktion am Dammweg.
Smartphone und Livestream
Digital gab es ebenfalls mehrere Revolutionen. 2006 sprach noch niemand von Smartphones. Anfang 2007 erhielten wir Redaktoren ziemlich klobige, noch mit einer Tastatur versehene Qteq-Geräte von HTC. Auf dem sehr kleinen Touchscrean konnte man tatsächlich surfen. Wow! Urs Wichser, Mitarbeiter meines zukünftigen Mitbewerbers Selectstar, importierte eines der ersten Iphones. An einer Mox Sale im deutschen Markdorf habe ich bei ihm zum ersten Mal dieses Gerät gesehen. Eine Zeitlang meinte man dann, neben den Iphones hätte niemand eine Chance. Wir richteten unsere erste Epaper-App vor allem auf diese Geräte aus. Dann kam die Android-Welle, mit der keiner gerechnet hatte. Generell hatten die Smartphones grosse Auswirkungen. Heute kommt ein erheblicher Teil des Traffics auf schweizerbauer.ch über diese Geräte. Etwa im Jahr 2012 war es also notwendig, eine mobile-taugliche Version von schweizerbauer.ch einzurichten.
Die Smartphone-Revolution führte zusammen mit der Video und Livestream-Revolution dazu, dass der Traffic erheblich zunahm. Heute wird nicht mehr nur zu Hause gesurft. Jeder hat überall auf der Welt immer sein Mobilgerät dabei. Nicht wenige Zuschauer an den Viehausstellungen schauen gleichzeitig den Livestream, während vor ihnen die gleichen Kühe, welche sie im Bild haben, vorbei paradieren.
Raupentraktor mit 600 PS im Video
Erste Gehversuche mit Videos machte ich in den Jahren 2008 und 2009. Damals hatte noch nicht einmal blick.ch regelmässig Videos. Schweizerbauer.ch war ein wirklicher Pionier in der Schweiz. Heute haben uns die grossen Online-Portale mit ihren riesigen technischen und finanziellen Ressourcen überholt. Doch ich habe noch immer Freude wenn ich sehe, wie häufig unsere alten Videos auf Youtube abgespielt wurden.
An ein frühes Video erinnere ich mich besonders gerne. Es entstand im Mai 2010 an den Challenger-Feldtagen bei Leipzig. Die damals rund 20-jährige Bauerntochter, welche den Challenger MT 865 C - Raupentraktor vorgeführt hatte, wurde von Kollegen Stephan Schmidlin und mir zur Ad-hoc Schauspielerin befördert. Sie machte es ganz passabel. Das Video sieht zwar schon gebastelt aus, wurde aber immerhin 39'000 Mal angeschaut.
Ein anderes Video, das über die Schweizer Grenzen gut angeschaut wurde, entstand 2015 in der französischen Stadt Bayeux. Protestierende Bauern füllten den Hauseingang einer Abgeordneten in der Nationalversammlung mit Mist. In der Schweiz und auch in Deutschland konnte man kaum glauben, dass so was möglich ist.
Aber natürlich wurden und werden auch Viehzuchtvideos immer gerne angeschaut. So auch der Stallrundgang bei Andreas und Simon Anderegg in Unterbach bei Meiringen, entstanden bei klirrend kaltem Wetter am 7. Januar 2017. Doch im Gegensatz zu früher werden die Videos heute mehrfach verwandt. Und teilweise gleich direkt vor Ort auf Facebook als Faceboolive gestellt. Auch dazu braucht es Smartphones.
Soziale Medien
Damit sind wir bei der nächsten Revolution, der Revolution in den Sozialen Medien. Der Schweizer Bauer hat heute über 16'000 Fans auf Facebook. Auch der Twitterkanal erreicht immer mehr User. Diese Kanäle sind wichtige Zubringer für die Inhalte auf schweizerbauer.ch. Aber die sozialen Medien sind auch Informationskanäle für die Redaktion. So erfuhren wir vom kürzlichen Tod der Europameisterin Morandale Kite Bretagne über einen Post von François Morand auf der Seite von Morandale. Und auch eine der verrücktesten Geschichten überhaupt, nämlich über die Verhaftung eines Lohnunternehmers im Zürcher Oberland direkt vom Feld weg, erfuhr ich durch einen Post eines Freundes auf Facebook. «Ich wurde in Handschellen abgeführt» Dieser Artikel wurde bis heute 24'047 Mal angeschaut.
Früh die Funktion eines sozialen Mediums übernahm schweizerbauer.ch selber, als im Mai/Juni 2008 die Streikliste im Milchstreik, der durch BIG-M ausgerufen worden war, laufend aktualisiert wurde. Diese Liste mit den Namen von Bauern, welche ihre Milch wegschütteten, wuchs immer schneller. Sie bescherte der Redaktion zwar auch schlaflose Nächte, weil die Einträge nicht automatisch möglich waren. Aber sie verhalf dem Streik auch zum Durchbruch, weil die Molkereibosse und Detailhandelschefs Angst vor der ständig wachsenden Flut von Streikenden hatten. Leider hat sich der Erfolg von damals verflüchtigt. Der kurze Moment der Einheit der Bauern ist verfolgen. Der Milchpreis so tief wie nie.
Die Sozialen Medien haben auch zur Folge, dass die Monopolstellung der traditionellen Medien aufgelockert wird. Während vor 10 Jahren jeder, der nicht an einer grossen Viehschau war, einzig auf schweizerbauer.ch die Ergebnisse nachvollziehen konnte, kann heute jeder selber ein Video oder Fotos auf Facebook stellen. An den grossen Ausstellungen sind zudem zunehmend grosse Meidenhäuser aus dem Ausland zugegen und berichten ebenfalls live. An den Jubiläumsschauen oder den regionalen Viehschauen hingegen ist dann der Journalist vom Schweizer Bauer wieder meist ziemlich einsam im Ring. Regionalität wird deshalb wohl in Zukunft einer der Schlüssel sein, um als Medium zu überleben.
Menschen
Letztendlich stecken aber beim ganzen Wandel noch immer Menschen hinter den Ereignissen. Und ich durfte in den vergangenen 12 Jahren unzähligen Menschen begegnen. Das Spektrum war unglaublich breit. 2008 durfte ich etwa eine Podiumsdiskussion am Inforama ins mit Nationalrat Ueli Maurer und Ständerätin Simonetta Sommaruga moderieren. Zufall oder nicht - knapp zwei Jahre später sassen beide im Bundesrat. Neben unzähligen vierbeinigen Missen in allen Rassen konnte ich auch mehrere zweibeinige Missen fotografieren, bzw. interviewen. Dazu gehörten Whitney Toyloy, Linda Fäh und Christa Rigozzi - alle drei waren Miss Schweiz. Dann natürlich die Braunviehköniginnen Barbara Rohrer, Barbara Reidt und Andrea Furrer. Besonders sympathisch an letzteren drei ist, dass sie auch das Rindvieh - konkret das Braunvieh - sehr lieben.
Leider sind auch schon viele Menschen verstorben, denen ich begegnen durfe. So gerade kürzlich Mundartrocker Polo Hofer, mit dem ich 2007 einen Aprilscherz organisierte. Auch Schauspielerin Stephanie Glaser, welche ich wegen ihrer Beteiligung an der Image-Kampagne des Bauernverbandes interviewen durfte, oder Red-Holstein-Pionier Edgar Bläsi haben bei mir bleibende Erinnerungen hinterlassen. Dazu viele andere wie Reinzuchtpabst Fritz Vogt aus Oberdiessbach, der das Buch "Simmentaler - eine Weltrasse" verfasst hatte, der ehemalige SVS-Präsident René Summermatter, Holsteinpionier Edi Quarella aus dem Thurgau, um nur einige wenige zu nennen. Mit Quarella und Jean-Louis Schrago von ABC Genetics tranken wir an einer Swiss Expo im alten Hotel Jann in Lausanne mal bis in die Morgenstunden Champagner, so dass wir am nächsten Tag fast die Holstein-Schau verpasst hätten.
Ganz besonders grossen Eindruck hinterliess bei mir Hermann Bieri, der 2011 im Alter von 100 Jahren verstarb. Der Ingenieur-Agronom ETH wurde 1938 von Friedrich Traugott Wahlen, dem Leiter des Kriegsernährungsamtes und späteren BGB-Bundesrat, angestellt. Er war massgeblich an der Ausarbeitung des «Plans Wahlen» im Zweiten Weltkrieg (1939–1945) beteiligt. Bieri leitete und überwachte die Erstellung des Produktionskatasters, welches die Grundlage zur Zuteilung der Mehranbaufläche bildete. Nach dem Krieg war er bis 1976 Lehrer in der Landwirtschaftlichen Schule Rütti, Zollikofen BE. In dieser Zeit baute er als Mitarbeiter der Oekonomisch und Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Bern (OGG) das Lehrlingswesen auf, das Vorbild für die ganze Schweiz wurde.
Schöne Kühe
Kühe waren mir natürlich immer etwas vom Liebsten. Und ich durfte unzählige schöne Kühe sehen - im In- und auch im Ausland. Obschon sie züchterisch nicht ganz hielt, was sie versprach, blieb mir etwa die Red-Holsteinkuh Lavender Ruby Redrose besonders gut in Erinnerung, welche ich 2007 in Madison sehen durfte. Eindrücklich waren auch die Nachkommen von Snow-N Denises Dellia auf Regancrest Farm. Ich habe alle Red-Holstein-, Holstein- und Braunvieheuropameisterinnen der letzten Jahre gesehen und war mit einer Ausnahme auch an allen Europameisterschaften selber vor Ort. Ich war aber auch an unzähligen Ausstellungen mit Swiss-Fleckvieh-, Simmental und Original-Braunviehkühen von Swiss Expo, über Swiss Classic, Expo Bulle, Betriebsmeisterschaft, Braunviehausstellung, Reinzuchtausstellung, IGBS bis hin zu Jubiläumsschauen.
Eine ganz besondere Kuh hat mich über die ganze Zeit beim "Schweizer Bauer" begleitet: Rubens Ingrid von Ruedi Allenbach, Wiedlisbach. In meinen Anfangszeiten beim "Schweizer Bauer" war die RH-Kuh Miss Bea, Miss Schöneuter an der Expo Bulle und Europameisterin mit dem Schweizer Team in Oldenburg 2006. 10 Jahre später - also 2016 - war sie wieder an der Swiss Expo. Das Euter noch immer hoch über dem Sprunggelenk. Vor kurzem hat sie erneut gekalbt - und einem Kuhkalb von Ladd das Leben geschenkt. Aktuell hat die bald 16-jährige eine Lebensleistung von 156'394 kg. Die Kühe mit 150'000 kg Lebensleistung
Was mich in all den Jahren immer mehr beschäftigt hat ist die Tatsache, dass es für die meisten Milchbauern immer schwieriger wird, mit ihren Kühen auch ein anständiges Einkommen zu verdienen. Vor 12 Jahren gab es noch gut 30'000 Milchproduzenten. Jetzt sind es noch gut 20'000. Aber auch in anderen Produktionszweigen - etwa dem Zuckerrübenanbau - geht es eher bergab. Der Netto-Selbstversorgungsgrad ist soeben auf unter 50 Prozent gefallen. Mir ist kein Flächenstaat bekannt, der einen so tiefen Selbstversorgungsgrad hat. Eigentlich sollten da bei allen Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft sämtliche Alarmglocken läuten.
Oft habe ich in den letzten Jahren versucht, in Kommentaren diese Alarmglocken zu läuten. Das ist mir offensichtlich nicht gelungen. Ich hoffe, dass es anderen besser gelingen wird. Denn wohl kaum ein Land der Welt wird so sehr mit der Milchwirtschaft in Verbindung gebracht wie die Schweiz. Die Alpauf- und Abzüge sind in fast jedem Bildkalender vertreten. Kuhglocken ertönen - trotz vereinzeltem Widerstand von sensiblen Städtern – noch heute praktisch in der ganzen Schweiz. Ich hoffe, dass das noch lange so bleibt.