Barbara Eiselen: Du bist Aufräum-Coach, was machst du genau?
Colette Stähli: Ich unterstütze Menschen darin, die zu ihnen passende Ordnung zu schaffen, damit sie die Hände wieder frei haben, um andere Dinge anzupacken, beispielsweise eine Hofstrategie. Es ist wichtig aus folgender Gedankenschlaufe auszubrechen: «Ich sollte noch dies oder jenes, aber ich kann nicht weil so ein Gnusch ist». Im Coaching geht es einerseits darum die Dinge zu sortieren, zu organisieren und aufzuräumen. Es geht aber auch darum Gerümpel zu entsorgen, zu verkaufen, zu verschenken und loszulassen. Denn das ist in der heutigen Zeit meistens das Hauptproblem, dass die Leute viel zu viel Material haben. Ich habe oft erlebt, dass ein Drittel der Sachen einfach weg muss. Was keinen zugewiesen Platz hat, steht im Weg und muss weg.
Warum ist Unordnung überhaupt ein Problem?
Ich nenne gerne das Beispiel von Bauernfamilien, die zuerst den ganzen Schopf rangieren müssen, um die passende Maschine herauszunehmen. Zuerst kommt noch die kaputte und schlecht revidierte Maschine zum Vorschein, bevor ganz hinten dann diejenige steht, die man wirklich braucht. Und das kostet unglaublich viel Zeit! Ich beschreibe die Verbindung zur Materie gerne mit einem unsichtbaren Faden. Ein Beispiel: Obschon ich den Estrich nicht sehe, weiss ich trotzdem, dass er komplett zugestopft ist. Das ist in meinem Kopf gespeichert auch wenn es mir nicht bewusst ist. Unordnung bindet so unheimlich viel Energie und zudem findet man die Dinge nicht oder kauft sie doppelt oder dreifach.
Zur Person
Colette Stähli blickt auf 25 Jahre Führungserfahrung zurück und hat sich durch viele Jahre Eigenstudium und Erfahrungen sowie durch eine «Life Coaching» Ausbildung zur Aufräum-Coach entwickelt.
Sie kennt das Aufräumen sowohl beruflich, beim Einstieg in einen neuen Betrieb, bei Reorganisationen als auch privat. Sie ist gelernte Heimleiterin und führt derzeit 20 MitarbeiterInnen im pädagogischen Bereich.
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Colette Stähli ist gelernte Heimleiterin und führt derzeit 20 MitarbeiterInnen im pädagogischen Bereich.
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Was bringt Ordnung auf dem Hof überhaupt?
Ordnung hat ganz viele Benefits. Sie bringt zuerst einmal optische Ruhe, weil nicht überall Zeug rumliegt. Sie bringt aber auch Ruhe in einem selber, weil man am Schluss des Aufräum-Prozesses von allen Sachen weiss, wo sie hingehören. Diese Grundordnung bringt auch unglaublich viel «freie» Zeit, weil man die Dinge nicht mehr suchen muss. Es spart auch Geld, weil man genau weiss wo man was hat und in welchem Zustand es sich befindet. Und weil ich nur noch das kaufe, was ich wirklich benütze oder was mir Freude macht. Eine grosse Unordnung ist auch mit viel Scham behaftet. Die fällt von mir ab, wenn aufgeräumt ist. Aufräumen kann auch zeigen, was die wirklichen Ziele im Leben sind. Ich stelle mir das Gnusch wie eine Barriere zwischen mir und meinen Wünschen und Zielen oder zwischen mir und meinen Beziehungen vor. Das Gnusch lenkt ab.
Wie entsteht ein Gnusch?
Es gibt zwei Kategorien von Entstehung von Gnusch. Zum einen gibt es besondere Ereignisse, bei denen die Menge an Material plötzlich zunimmt. Beispielsweise bei einer Hofübernahme, bei einer Zusammenlegung von Haushalten oder beim Erben. Wenn man da nicht bewusst entscheidet, was man behält und was nicht, dann entsteht ein Chaos und man hat zu wenig Platz auf dem eigenen Hof oder in der Wohnung. Ein besonderes Ereignis kann auch eine Krankheit sein, bei der die Kraft, um das Material zu bewirtschaften, nicht mehr vorhanden ist. Und zum zweiten gibt es das «chronische» Gnusch. Dies besteht manchmal bereits über mehrere Generationen. Schwierig ist da die emotionale Verbindung zum Beispiel zu einer alten Maschine des Urgrossvaters, die man doch nicht einfach so wegschmeissen kann. Da geht es darum diese erst einmal zu würdigen und dann zu überprüfen, ob man sie noch braucht oder man Freude daran hat.
«Erfahrungsgemäss ist eine Aufräumaktion lebensverändernd», sagt Colette Stähli.
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Warum überhaupt ein Coaching, aufräumen kann man doch jeder selber?
Ich finde es wichtig sich Hilfe zu holen. Wir lassen das Auto ja auch flicken. Aber beim Aufräumen ist so viel Scham mit dabei oder es reut einem das Geld. Aber wenn die Dynamik einmal greift, dann gibt das so viel Freiraum, dass man es nicht mehr missen möchte. Aufräumen setzt auch ganz viel Energie und Freude frei.
Wie lange hält denn so eine Aufräum-Aktion an?
Erfahrungsgemäss ist sie lebensverändernd. Denn ich komme nicht und räume deine Sachen weg. Es geht darum ein Ziel zu definieren und die ersten Schritte zu gehen, hin zu deiner persönlichen Ordnung. Dann nimmt das Aufräumen eine Eigendynamik an. Man bekommt plötzlich das Bedürfnis weiter zu gehen bis alles aufgeräumt ist, weil es einfach ein wohliges Gefühl gibt, sowie Zeit und Raum. Man fühlt sich in seinen Sachen plötzlich wieder wohl und die Gegenstände dienen einem. Man ist wieder Herr oder Herrin über die Materie und nicht mehr umgekehrt. Ich lehre den Leuten nur die richtigen Fragen zu stellen und das gesetzte Ziel zu verfolgen. Aufräumen tun sie grösstenteils selber. Und das ist sehr nachhaltig.
Magst du mir zuletzt noch verraten wie du zum Aufräum-Coach geworden bist?
Ganz ursprünglich aus dem eigenen Chaos. Dann wurde ich Mutter. Es kamen mehr Leute zu Besuch und mein Chaos war mir schrecklich peinlich. Ich hatte überhaupt kein System. Ich habe die Sachen nicht mehr gefunden. Ein Wunder habe ich meine Tochter in all den Dingen nicht verloren. Und darum habe ich auch ein grosses Verständnis, wenn jemand ein Gnusch hat. Ich habe mir Hilfe geholt und mir über die Jahre viel Wissen angeeignet, welches ich jetzt komprimiert als Aufräum-Coach zur Verfügung stelle. Für mich war das ein langer Prozess. Die Essenz meines Coachings besteht jetzt aus drei Fragen: Was macht dir Freude? Was brauchst du wirklich? Und wo «wohnt» dieser Gegenstand? Alles andere kann weg. Heute kann meine Wohnung unordentlich sein, aber es stört mich nicht mehr, weil ich genau weiss wo was hingehört und ich blitzschnell wieder aufräumen kann.
Kolumne mit Barbara Eiselen
Barbara Eiselen ist Agronomin und war viele Jahre in der landwirtschaftlichen Lehre und Forschung in den Bereichen Betriebswirtschaft, Agrarpolitik und -märkte tätig. Sie schreibt einmal m Monat für den «Schweizer Bauer» und greift in ihrer Kolumne Themen auf, die unsere Leser beschäftigen.
In ihrer beruflichen Laufbahn erkannte sie, dass es sich bei Hofstrategien und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen meistens um tieferliegende Themen handelt.
Barbara Eiselen bildete sich fort in den Bereichen Coaching, Psychologie und Familiensysteme und ist heute selbstständige Beraterin. Sie hat die Vision, die Hemmschwelle für Tabu-Themen in der Landwirtschaft zu brechen, so dass man sich frühzeitig Hilfe für die wahren Probleme holen darf.
Sie nennt es «den Service für die Seele, die Psyche und die Ehe, genauso wie der Traktor auch seinen jährlichen Service bekommt». Eiselen ist Bauerntochter und Schwiegertochter einer Bauernfamilie.
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Betrieb als einzige Lebenshoffnung: Ist Arbeit wirklich der Lebenssinn?
Barbara Eiselen berät Landwirtinnen und Landwirte, die (1) ihre Hofstrategie neu ausrichten wollen, (2) die Hofübergabe an die nächste Generation bevorsteht oder (3) eine Hofübernahme von den Eltern im Raum steht.
zvg