Folgende Situation wurde mir geschildert. Der Betriebsleiter ist zu fast 100% arbeitsunfähig. Und das seit nun fast schon fünf Jahren. Aber «er klammert sich vehement an seiner Arbeit fest», auch wenn der grosse Teil seither an seiner Frau und seinen Kindern hängen bleibt. Sie tun es gerne für ihn, da er so «noch eine kleine Lebenshoffnung» behalten kann, wie es im beschriebenen Fall heisst.
Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist diese Situation nicht nur unbefriedigend, sondern auch erschöpfend. Ich wurde gebeten darauf einzugehen.
Gerne tue ich das, indem ich drei Themen aufgreife, um den Fall zu analysieren. So viel vorneweg: Eine Grundsatzentscheidung steht an. Diese Entscheidung wird in jedem Fall weh tun. Es sind nämlich mehrere Probleme verstrickt.
«Ich bin nicht unersetzliche»
Beginnen wir zuerst einmal mit dem ersten und Naheliegensten. Jemand fällt aus. Das ist zu Beginn nach einem Unfall oder bei Krankheit immer eine herausfordernde Situation für alle, da die Arbeiten weiter gemacht werden müssen.
Besonders auf einem Hof, wo es um Lebendiges geht, Tiere und Pflanzen. Im ersten Moment geht es in der Regel um Überbrückungslösungen, mit der Hoffnung, dass die erkrankte oder verunfallte Person bald wieder gesund ist.
In so einer Situation passiert als Nebenprodukt nicht selten eine Erkenntnis für den Betriebsleiter oder die Betriebsleitern: «Ich bin nicht unersetzlich.» Und das ist eine gewisse Erleichterung. Doch im geschilderten Fall ist diese Phase schon lange vorbei.
Wenn die Seele krank wird
Und so schauen wir uns das zweite Problem gleich mal an. Wir gehen etwas tiefer an die Wurzel. Was bedeutet Krankheit denn überhaupt? Und was bedeutet Krankheit denn, wenn sie chronisch ist? Es ist ein offenes Geheimnis, dass es in unserer heutigen Zeit sehr viele chronische Krankheiten gibt, auch psychischer Natur.
Zur Person
Barbara Eiselen ist Agronomin und war viele Jahre in der landwirtschaftlichen Lehre und Forschung in den Bereichen Betriebswirtschaft, Agrarpolitik und -märkte tätig. In ihrer beruflichen Laufbahn erkannte sie, dass es sich bei Hofstrategien und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen meistens um tieferliegende Themen handelt.
Barbara Eiselen bildete sich fort in den Bereichen Coaching, Psychologie und Familiensysteme und ist heute selbstständige Beraterin. Sie hat die Vision, die Hemmschwelle für Tabu-Themen in der Landwirtschaft zu brechen, so dass man sich frühzeitig Hilfe für die wahren Probleme holen darf.
Sie nennt es «den Service für die Seele, die Psyche und die Ehe, genauso wie der Traktor auch seinen jährlichen Service bekommt». Eiselen ist Bauerntochter und Schwiegertochter einer Bauernfamilie.
Aus meiner Sicht und Erfahrung sind chronische Krankheiten oft nicht über die herkömmlichen medizinischen Methoden zu heilen, denn sonst gäbe es nicht so viele davon. Die Ursachen liegen meist tiefer und können mitunter emotionaler, psychischer und seelischer Natur sein.
Ruf nach Veränderung
Mein Coaching arbeitet auf diesen Ebenen, ohne den Anspruch haben zu wollen, Krankheiten zu heilen. Im geschilderten Fall geht es offensichtlich um eine chronische Krankheit.
Wenn etwas chronifiziert ist, wie beispielsweise auch die Arbeitsaufteilung und -belastung der Verwandten, dann ruft die Situation nach einer Veränderung an der Wurzel und einer Grundsatzentscheidung.
Es ist immer eine Gratwanderung
Was im geschilderten Fall besonders weh tut und lähmend ist, das sind die emotionalen Verstrickungen. Und hier sind wir beim dritten und aus meiner Sicht grössten Problem. Für andere da zu sein, ist immer eine Gratwanderung.
Kein Mensch kann über eine längere Zeitdauer für andere da sein, ohne sich um sein eigenes Wohl zu kümmern.
Aus einem Kranken, werden viele Erschöpfte
Die Frau und die Kinder investieren Arbeit, Energie und Zeit, um ihrem Mann und Vater eine Lebenshoffnung zu erhalten. Sie kümmern sich also um sein Wohl. Vermutlich mehr als um ihr Eigenes. Nach fünf Jahren kann man aber davon ausgehen, dass es keine wirkliche Hoffnung auf Genesung gibt.
Was kurzfristig eine vorübergehende und gute Lösung war, entwickelt sich mit der Zeit zu einer chronifizierten, schlechten und belastenden Lösung. Aus einer erkrankten Person entstehen so mit der Zeit mehrere erkrankte oder zumindest erschöpfte Personen.
Dieser Teufelskreis basiert auf emotionalen Verstrickungen, wo Personen sich mehr um das Wohl von Anderen als um das eigene Wohl kümmern.
Welche Hoffnung soll zuletzt sterben?
Die Verstrickung ist da, weil dies als normal und selbstverständlich angesehen wird. Die Situation ruft nach einer Grundsatzentscheidung! Nur welche? Wer soll enttäuscht werden? Welche Hoffnung soll zuletzt sterben?
Was man dabei beachten darf: Wer keine Entscheidung trifft, trifft auch eine Entscheidung. Nämlich diejenige alles beim Alten zu belassen und weiterhin zu hoffen. Es ist der Schutz, um den schmerzhaften Tatsachen nicht in die Augen schauen zu müssen. Denn eine wirklich gute Grundsatzentscheidung wird auf jeden Fall weh tun. Langfristig jedoch weniger als alles beim Alten zu belassen. Die Frage ist wem wird es weh tun? Die Antwort ist: allen. Aber es gibt kein anderer Weg.
Es braucht viel Mut
Mit der bestehenden emotionalen Verstrickung ist es besonders schwierig eine Grundsatzentscheidung zu treffen. Der Grund? Jemand muss der oder die Böse sein. Jemand muss den Teufelskreis durchbrechen. Diese Person wird zwangsläufig enttäuschen. Sie wird die Lebenshoffnung in Form von Arbeit und Hof wegnehmen. Und das kann sehr heftige Reaktionen und Schuldzuweisungen hervorrufen, was ja gerade auch die Nahrung für den Teufelskreises war…
Die erkrankte Person wird auf die eigenen seelischen, psychischen und emotionalen Schwierigkeiten zurückgeworfen. Und das tut weh. Die anderen Menschen nehmen ihr diese nicht weiter ab und lassen auch nicht weiter hoffen. Zugegeben, es braucht eine Menge Mut eine solche chronifizierte Situation durchzubrechen und zu enttäuschen.
Externe Hilfe hilft
Jede veränderte Lebenssituation ruft Grundsatzentscheidungen hervor, besonders dann, wenn sie chronisch wird. Es braucht die Enttäuschung, um weitergehen zu können. Enttäuscht wird sowieso nur das Unbeständige. Beispielsweise eine Hoffnung, die keine mehr ist. Oder die Identifikation mit der Arbeit.
Es führt auf die Grundsatzfrage zurück: Ist Arbeit wirklich der Lebenssinn? Welchen anderen Lebenssinn gibt es denn sonst? Das sind wichtige Lebensfragen, die man sich früh oder spät stellen darf. Also nutzen wir die veränderten Lebenssituationen, um wirklich hinzuschauen.
Eine externe Hilfe kann hier unheimlich helfen. Besonders dann, wenn es derart verkrustet ist. Es lohnt sich. Am Schluss gewinnen alle und man fragt sich verdutzt: Warum haben wir nicht früher reagiert?
Erschienene Artikel:
Hofübergabe: Wie man den Hof in Frieden loslassen kann
Psychische Belastung in der Landwirtschaft: Der Schuh drückt und die Beziehung leidet
Mehr Freizeit: Ja zu welchem Zweck eigentlich?
Neuausrichtung des Hofes u. Investitionen: «Investiert nicht nur in Stall, sondern auch in eure Vision» Rollenaufteilung Mann/Frau: Die unsichtbare Knopf-Arbeit
Schwiegertochter und Schwiegereltern: Die Schwiegertochter ist das Problem
Falls Sie weitere Themen behandelt haben möchten, melden Sie sich.

Welche Themen möchten Sie von Barbara Eiselen beantwortet bekommen?
- Was ist innovativ?:9.09%
- Wo investieren?:21.59%
- Wert der weiblichen Arbeit auf dem Hof:7.95%
- (Lebens)-krise bewältigen:19.32%
- Harmonie in der Familie herstellen:14.77%
- Angst vor der Zukunft: was tun?:10.23%
- Was wäre unsere Gesellschaft ohne Nahrungsmittel?:3.41%
- Warum ist die Landwirtschaft der Boden unserer Gesellschaft?:9.09%
- Tipps für die Agrarpolitik:4.55%
Teilnehmer insgesamt: 176