Samstagmorgen. Mein Handywecker bimmelt in aller Herrgottsfrühe eine lüpfige Melodie vor sich hin. Entnervt drücke ich auf die Schlummertaste. Fünf Minuten später das gleiche Spiel.
Das Telefon lässt aber nicht locker und beim dritten Läuten stehe ich widerwillig auf. Um meine Mitbewohner*innen nicht aufzuwecken, mache ich mich leise wie ein Luchs bereit und schleiche aus dem Haus. Wie fast jedes Mal, bin ich auch heute spät dran. Während ich einen Schluck bitteren Kaffee aus einem Becher in meinen Schlund giesse, rase ich über die Autobahn, auf der sich zu dieser Zeit nur wenige Autos tummeln. Mein Ziel ist Alchenflüh. Genauer die Terralog AG.
Der Chef nimmts gelassen
Dort angekommen, haste ich durch die Tür, die sich nur denjenigen öffnet, die einen Badge mit sich tragen, wasche mir die Hände, trete in die Halle und halte den Badge an die Stempeluhr. Fünf nach sechs. Mist, schon wieder zu spät. Der Chef nimmts gelassen. Nach einer knappen Begrüssung und einem «was muesi hüt» meinerseits, weist er mir meinen Arbeitsplatz zu. «Linie 4, Migros Aare. Machsch zwei Palett.» Ich programmiere die Maschine und mache mich an die Arbeit.
Die Terralog AG liegt im Herzen des Hauptanbaugebiets der Kartoffel, um die sich der heutige Beitrag – wie versprochen – wieder dreht. Fast jeden Tag im Jahr wird dort von einer Vielzahl emsiger Mitarbeitenden eine unglaubliche Menge an Kartoffeln gewaschen, sortiert, abgepackt und für den Transport an die Kundschaft (der grösste Abnehmer ist die Migros) bereitgestellt. Regelmässig denke ich: «Wär frisst äch diä ganzä Härdöpfu?» Die Antwort bleibt mir verborgen. Aber sie werden wohl gegessen, denn es trudeln laufend neue Bestellungen ein und es wird gepackt und gepackt und gepackt.
«Das schätze ich enorm»
Seit ungefähr sieben Jahren helfe ich mehr oder weniger regelmässig an Samstagen im Betrieb aus. Ich habe, als ich die Berufsmaturitätsschule absolvierte, dort angefangen, um mir etwas dazuzuverdienen. Manchmal fragen mich Leute ungläubig: «Geisch immer no ga härdöpfele?.» Ich sage dann immer: «Ja, i vergisse immer wider z chünde». Natürlich verweile ich dort nicht aus Vergesslichkeit, denn mir gefällt es dort. Es ist eine angenehme Arbeit, bei der ich mich geschätzt fühle, ich mich bewegen kann, die nicht allzu schwer ist und hinter der ich einen guten Sinn sehe.
«Schon lange nicht mehr gesehen, hast du Ferien gehabt?», werde ich in der Pause angesprochen. «Nein, ich hatte Prüfungen die letzten paar Wochen, jetzt komme ich aber wieder öfters», erwidere ich. Es ergeben sich immer wieder kurze Gespräche mit den anderen Mitarbeitern, von denen viele nicht Deutsch als Muttersprache haben, es aber gut beherrschen. Es sind alles gutmütige, hart arbeitende Menschen, mit denen ich sonst wenig zu tun hätte. Auch diesen Austausch bereichert meinen Alltag und das schätze ich enorm.
Jedes Mal ein kleines Wunder
Nach der Pause geht es weiter. Zwischendurch nehme ich versonnen eine Kartoffel in die Hand und bestaune sie. Fast das ganze Jahr werden Kartoffeln aus der Schweiz abgepackt und sie sind fast immer makellos. Es scheint selbstverständlich, aber es ist für mich jedes Mal ein kleines Wunder, denn es kann so viel schief gehen beim Kartoffelanbau.
Schorf, Alternaria, Knollenfäule, Schlagschäden, Würmer, Schnecken, Hitzestress, Trockenheit und so weiter und so weiter. Es gäbe noch viele Schwierigkeiten aufzuzählen, aber das würde den Rahmen wohl ähnlich sprengen, wie wenn ich alle Gerichte, die man aus Kartoffeln kochen kann, beschreiben wollte.
Hingabe und Aufopferung stecken dahinter
An Samstagen ist am frühen Nachmittag Feierabend. In den Sommermonaten sind Angebot und Nachfrage nach Kartoffeln nicht so gross im Gegensatz zum Herbst und Winter. In dieser Zeit wird im Betrieb eine unglaubliche Arbeit geleistet. Manchmal wird sogar an Sonn- und Feiertagen, teils bis spät in die Nacht in der lauten und staubigen Halle fleissig gearbeitet.
Oft vergesse ich beim Essen, was eigentlich dahintersteckt und ich habe das Gefühl, dass es in der Gesellschaft viel zu wenig geschätzt wird. Deshalb möchte ich euch zum Schluss dieses Textes ans Herz legen, bei der nächsten Rösti oder Fritten kurz innezuhalten und zu bedenken, welche Hürden für sie überwunden werden mussten, wie viel Hingabe und Aufopferung dahintersteckt und wie gut sie eigentlich schmeckt.
Die bisherigen Blog-Einträge
Teil 20: «Vom Wää» zur Wunderknolle
Teil 19: Der Schweizer Bauer: «Böden sind Grundlage unseres Seins»
Teil 18: Ahoi! Hier bin ich wieder
Teil 17: Wie soll sich Landwirtschaft weiter entwickeln? - Schweizer Bauer
Teil 16: Ich kann es nicht mehr ertragen – Schweizer Bauer
Teil 15: Sturmgewehr gegen Blackeneisen getauscht
Teil 14: «Wie heisst schon wieder dieses Kraut?» – Schweizer Bauer
Teil 13: Ahoi, ich bins wieder mal – Schweizer Bauer
Teil 12: «Vielleicht habe ich einfach ADHS» – Schweizer Bauer
Teil 11: Augen nach vorn – Schweizer Bauer
Teil 10: «Du bekommst ganz sicher den ‹Verleider›» – Schweizer Bauer
Teil 9: «Nur das Leben auf eigenen Hof ist besser» – Schweizer Bauer
Teil 8: «Nur Müll fressen und alles verdrecken» – Schweizer Bauer
Teil 7: Neue Frisur und ein ungeheurer Schatten – Schweizer Bauer
Teil 6: «Ich gehe fürs Klima in die Schule, statt sie zu schwänzen» – Schweizer Bauer
Teil 5: Vom Prüfungspult auf die Piste
Teil 4: Prüfungsstress und Zeitmanagement
Teil 3: «Jahr beginnt für mich mit Corona»
Teil 2: Vom Traktor in den Hörsaal
Teil 1: Neuanfang an der Hochschule