Haben Sie sich auch schon gefragt, wieviel zu viel und wieviel zu wenig ist?
Betriebe im Vergleich
Ich möchte mit einem Vergleich starten zum Thema Biodiversitätsförderflächen auf offenen Ackerflächen: Stellen Sie sich zwei Betriebe von 100 ha Ackerfläche vor. Der eine Betrieb betreibt auf seiner ganzen Ackerfläche Nahrungsmittelproduktion, der andere Betrieb integriert 3.5% Buntbrachen, Rotationsbrachen, Ackerschonstreifen, Nützlingsstreifen, Getreide in weiten Reihen und Säume auf offener Ackerfläche.
Die produzierten Lebensmittel reduzieren sich auf dem zweiten Betrieb nach 5 Jahren bezogen auf eine vollständige Fruchtfolge in etwa um 28’000 kg Weizen, 32’000 kg Gerste, 280’000 kg Zuckerrüben, 150’000 kg Kartoffeln und 14’000 kg Raps. Nun könnte man den Energiewert der «fehlenden» Ernte in kcal aufrechnen und man käme augenscheinlich zum Schluss, dass der Selbstversorgungsgrad leidet.
So kam es zu BFF im Acker
Die BFF gehen auf die parlamentarischen Initiative 19.475, die von der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates eingereicht worden war. In der Folge verabschiedete das Parlament im März 2021 das Bundesgesetz über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden. Der Bundesrat beschloss das Verordnungspaket im April 2022 und setzte die Gesetzesbestimmungen um.
Sofern ein Betrieb mehr als 3 ha offene Ackerfläche in der Tal- und Hügelzone nutzt, müssen mindestens 3.5% der Ackerfläche als Biodiversitätsförderflächen bewirtschaftet werden. Der Bundesrat hat diese Bestimmung aber wegen des Krieges in der Ukraine nicht wie in der Vernehmlassung vorgeschlagen per 2023 eingeführt, sondern hat diese um ein Jahr auf 2024 verschoben. Auch dieser Termin fiel weg. Das Parlament verlangte im vergangenen Jahr, basierend auf eine Motion von Ständerätin Esther Friedli (SVP/SG), eine Verschiebung auf 2025. Nun sollen die BFF im Acker ganz wegfallen. Der Nationalrat hat in der Frühlingssession 2024 mit 94 zu 89 Stimmen beschlossen , die 3,5 Prozent BFF komplett zu streichen. Nun muss noch der Ständerat über den Vorstoss befinden. blu
«Gegeneinander ausspielen ist absurd»
Andererseits, wie würden sich die zusätzlichen 3.5% ökologischen Ausgleichsflächen beispielsweise auf die Insektenpopulation auswirken? Im Faktenblatt der Akademien Schweiz 2019 heisst es: « Die Hauptursachen für den Rückgang der Insektenvielfalt sind gut bekannt: Die intensive Landnutzung mit ihrem grossen Einsatz von Pestiziden und Düngern, die fehlenden Strukturen in der Landschaft, die Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung und die Lichtverschmutzung. »
Doch «Nahrungsmittel gegen Oekologie» auszuspielen ist absurd. Ein symbiotisches Verhältnis mit der Natur ist die Grundlage für die Produktion von gesunden Nahrungsmitteln. Es geht nicht um ein entweder oder, sondern um ein sowohl als auch. Beispiele auf unserem Hof zeigen das Ergebnis aus 30 Jahren Förderung und Pflege von Biodiversitätsflächen, welche heute die Qualitätsstufe II erreicht haben und sich zu schönen, standortgerechten, wertvollen Magerwiesen oder artenreichen Heuwiesen oder Weiden entwickelt haben.
190‘000 ha Biodiversitätsförderflächen
Wieviel ist zu viel und wie viel ist zu wenig, ein Politikum «par excellence»: Von wo kämen die zusätzlich benötigten Nahrungsmittel und zu welchen Bedingungen? Ab wann ist die Landwirtschaft genug «ökologisch»? Ist es ethisch vertretbar, dass mehr Nahrungsmittel importiert werden, denn sie fehlen schliesslich an einem anderen Ort? Wurden ökologisch, sozial und wirtschaftlich verträgliche Standards für die Produktion dieser Nahrungsmittel berücksichtigt, Stichwort Nahrungsmittelsicherheit? Wie sieht es mit Abhängigkeiten aus? Wo ist die Grenze zum «Machbaren» für die Produzenten? Gibt es überhaupt eine Grenze? Fragen um Fragen.
Unzählige Ursachen
Jede Konsequenz, in unserem Fall das Artensterben, hat unzählige Ursachen und ist demnach nicht einfach mit einer scheinbar offensichtlichen Massnahme – 3.5% BFF auf offener Ackerfläche - in der Landwirtschaft a n wendbar. Es werden zudem Entscheidungen getroffen, di e alles andere als förderlich sind, um beispielsweise einen gezielten Pflanzenschutz zu betreiben. Das vom Bund lancierte Monitoring zur Wirksamkeit von Pflanzenschutzmitteln wurde ausser Kraft gesetzt, Resistenzen können sich so ungehinderter ausbreiten, was sich wiederum negativ auf die Ö kologie auswirkt. Eine womöglich folgenschwere Entscheidung.
Das Bevölkerungswachstum, die Klimaerwärmung, die Siedlungspolitik, das Konsumverhalten, die volatilen Entwicklungen in den weltweiten Agrarmärkten, die gesamte Agrarpolitik (Import – Export), der (Bio)Treibstoffverbrauch und und und, das alles und noch viel mehr trägt zum Insektensterben in der Schweiz bei.
Darum geht es
Voraussichtlich ab 2025 müssen Betriebe mit > 3 ha offener Ackerfläche in der Tal- und Hügelzone mindestens 3,5 % ihrer Ackerfläche (inkl. Kunstwiese) in diesen Zonen mit Biodiversitätsförderflächen anlegen.
Anrechenbar sind: Buntbrachen, Rotationsbrachen, Ackerschonstreifen, Saum auf Ackerfläche, regionsspezifische Biodiversitätsförderfläche auf der offenen Ackerfläche, Nützlingsstreifen auf der offenen Ackerfläche sowie Getreide in weiter Reihe.
Höchstens die Hälfte des erforderlichen Anteils an Biodiversitätsförderflächen darf durch die Anrechnung von Getreide in weiter Reihe erfüllt werden. Betriebe, die Flächen mit Getreide in weiter Reihe für die Anrechnung an die 3,5 % anlegen, dürfen genau diese Fläche ab 2024 auch an die 7 % Biodiversitätsförderfläche (resp. 3,5 % bei Spezialkulturen) auf dem Landwirtschaftsbetrieb anrechnen lassen.
Alle anderen Betriebe können Getreide in weiter Reihe weiterhin nicht an den geforderten Anteil an Biodiversitätsförderflächen anrechnen lassen.
Dynamischer Prozess
Die Gesellschaft als Ganzes ist gefragt: Die Städte, die Agglomerationen, die Detailhändler, die Konsumenten, alle tragen ihren Teil dazu bei. Dies schliesst auch eine stete Weiterentwicklung der Landwirtschaft und ihrer technologischen Möglichkeiten mit ein, keine Frage. Es ist ein dynamischer Prozess, die Ökologisierung und die Lebensmittelproduktion.
Was soll Beatrice Blaser recherchieren?
Beatrice Blaser schreibt monatlich eine Kolumne für schweizerbauer.ch. Welches Thema brennt Euch unter den Nägeln, was bewegt Euch? Sendet uns Eure Vorschläge. Wir werden Beatrice Blaser Eure Vorschläge weiterleiten. Wir freuen uns auf Eure Einsendungen. Bitte sendet die Vorschläge an [email protected] .
Ganz abgesehen davon, wie schnell sich das Weltgeschehen verändern kann. Wir sehen uns mit Kriegen und den damit verbundenen Lebensmittelengpässen konfrontiert. Krankheiten und Naturkatastrophen fordern die Gesellschaften heraus. Die letzte grosse Hungersnot liegt nicht weit zurück. 1815 brach ein Vulkan aus, welcher die Temperaturen in der der Schweiz um 2.5 Grad senkte. Die Ernten blieben aus. «Dort, wo die Not am grössten war, wurde gar Gras gegessen..» , so die Schweizerische Akademie der Wissenschaften. Aber wer weiss schon, was uns in Zukunft erwartet.
Beatrice Blaser berichtet einmal pro Monat in ihrer Kolumne, was sie beschäftigt.
zvg
Versorgung ist ökologisch am sinnvollsten
Noch vor 5 Jahren hätte man mir wohl «Schwarzmalerei» unterstellt aber heute, heute sieht alles ganz anders aus. Die Versorgung mit eigenen Lebensmitteln ist überlebensnotwendig und ökologisch am sinnvollsten.
Und wenn ich von der Gesellschaft als ganzes spreche, dann meine ich auch die Politik. Die Ignoranz einiger politischer Kräfte, welche die Wahrheit für sich postulieren und gleichzeitig aufs Zuhören anderer verzichten, gefährden einen fruchtbaren Austausch zu Gunsten der Natur und der heimischen Lebensmittelproduktion. Wie sagte der Philosoph Epiktet: «Die Natur hat dem Menschen eine Zunge, aber zwei Ohren gegeben, damit er doppelt so viel zuhört, wie er spricht.» Oder wie der amerikanische Schriftsteller Upton Sinclair treffend ausdrückt : «Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen, eine Sache zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er sie nicht versteht.»
Der Nationalrat hat Ende Februar entschieden, dass « die Massnahme von 3.5% BFF auf offener Ackerfläche aufgehoben werden sollte», wie der Schweizer Bauer bereits berichtete. Ein positives Signal für die produzierende Landwirtschaft. «Endlich» sagen die einen, während sich andere bereits wieder für neue, ökologische(re) Konzepte in Stellung bringen (werden).
Die nächste Initiative wird kommen, was so sicher ist, wie das Amen in der Kirche.
Blog Beatrice Blaser
Die bereits erschienenen Blog-Einträge von Beatrice Blaser findet Ihr hier
Teil 1: Was ein Investmentbanker auf dem Hof lernen könnte
Teil 2: Wie viel Ferien Bauernfamilien machen
Teil 3: Hitzestress auf allen Ebenen
Teil 4: Was Pilze, Produzenten und Politiker gemeinsam haben
Damit ist Bern nicht allein. Künftig sollen für 16 Mio. Menschen hier Wohnungen, Strassen, öffentliche Gebäude und Freizeitinfrastruktur entstehen.
Den biodiversen Ausgleich soll dann die Landwirtschaft bereitstellen.
Dann bleiben noch 1,75 ha Bunt und Rotationsbrache etwa 1 ha, für den Rest macht er Säume und Blühstreifen, wo der Ertragsverlust auch nicht 100 % ist.
In 5 Jahren sind das 5 ha ohne Nahrungsmittelproduktion und etwa 4 ha -Blühstreifen und Saum- mit ca 40 % Produktion und ca 9 ha mit weiter Reihe mit vielleicht 20% weniger Ertrag
Jetzt müssen sie mir erklären wie die 60 t Getreide, 14 T Raps ,150 t Kartoffeln und 280 t Zuckerrüben Minderertrag herkommen ?
Ausserdem haben alle Studien gezeigt dass alle Ackerbauern, Ausnahme Bio, mit den BFF Massnahmen mehr verdienen als mit der Produktion von billigen Nahrungsmitteln. Man muss sich schon fragen ob sie für die Landwirtschaft oder für die vor und nachgelagerte Industrie schreiben.