Mit dem eigenen Freibergerpferd als Trainsoldatin in der Schweizer Armee: Anja Tschannen erzählt im Trainblog von ihren Erlebnissen während der Sommer-Rekrutenschule 2020. Wenn sie nicht gerade mit dem Trainpferd über Stock und Stein stampft, ist sie als Redaktorin beim «Schweizer Bauer» und als Landwirtin tätig. In diesem Teil geht es um die erste Verschiebung im Gebirge.
Nach einem guten Start in die Verschiebung mit einer unfallfreien Anreise und Ankunft auf der Alp Schirna oberhalb von Walenstadt SG und einer ersten Nacht, beginnen wir am Tag zwei mit der eigentlichen Arbeit.
Der Trainzug transportiert von verschiedenen natürlichen Steindepots aus, Kies und eben Steine, um die Alpgenossenschaft dabei zu unterstützen eine Trockensteinmauer und einen Wanderweg zu sanieren.
Vorgängig den Weg abgelaufen
Um den Arbeitsort zu erreichen laufen wir von unserer Unterkunft etwas mehr als eine Stunde teilweise ziemlich steil bergauf. Unser Zug ist in vier Gruppen unterteilt und gestaffelt machen wir uns auf den Weg. Haydo und ich laufen in der ersten Gruppe in der Mitte mit.
Tags zuvor sind wir Pferdeführer mit unserem Kader und den Auftragsgebern bereits einmal zum Arbeitsplatz hochgelaufen, um den Weg kennen zu lernen. Die Hälfte ist geschafft. Der Schweiss läuft uns runter. Da passiert es.
«Haydo gleitet abwärts»
Ich marschiere mit Haydo zu nahe an den Kammeraden vor mir mit seinem Maultier auf und muss an einer wirklich dummen Stelle kurz anhalten. Beim Anlaufen tritt Haydo mit dem Hinterfuss aus dem Weg hinaus.
Seine Hinterhand rutscht weg. Ich drehe mich um, klammere mich an sein Zaumzeug. Er versucht sich mit der Vorderhand festzuhalten und aufzurichten, doch die Schwerkraft ist stärker. Ein kräftiger Ruck, ich werde nach vorne gerissen. Haydo gleitet auf dem Rücken abwärts, das Lastengeschirr verkeilt sich in einem Steinhaufen. Zeit und Raum verschwimmen.
Der Felsen bohrt sich in mein rechtes Schienbein. Haydos Kopf auf meinen Knien. Seine Augen halb geschlossen. Er atmet schwer. Die Beine ragen zum Himmel empor. Ich streiche über seine grosse, schwarze Wange.
«Ruhig Haydo, ruhig», wiederhole ich immer und immer wieder. Wohl eher, um mich selbst zu beruhigen, denn mein schwarzes Pferd liegt regungslos da, während Kader und Kammeraden, ihn von Lasten, Bastgurt, Vorder- und Hintergeschirr befreien.
«Bitte steh auf, steh auf», flehe ich. Ob ich es nur denke oder laut sage, weiss ich nicht mehr. Nach unendlich langer Zeit und doch wohl nur Minuten, steht der dunkelbraune Wallach im Berghang. Gemeinsam satteln und beladen wir ihn wieder.
«Mir ist schlecht vor Angst»
Weiter geht es. Keuchend quäle ich mich den Hang hinauf. Endlich erreichen wir dreckig und nassgeschwitzt den Arbeitsort. Den Rest des Morgens verbringt Haydo im Pferdebiwak und frisst Heu, während ich die Tiere beobachte und das Erlebte etwas verdaue.
Am Nachmittag sind wir dann an der Reihe. Transportieren Steine vom Depot an den Rand der Trockenmauer. Dann ist es soweit, der Abstieg vom Arbeitsort zur Unterkunft steht an. Über den gleichen Weg wie am Morgen.
Mir ist schlecht vor Angst. Mit zittrigen Händen fasse ich Haydos Zügel enger. Versuche meine Atmung zu kontrollieren. Stehe da, so winzig klein, in dieser wunderschönen, prächtigen und völlig stillen Berglandschaft und wünsche mir, jemand würde mich retten. Mir helfen. Mich aufbauen. Mich aus dieser Situation befreien. Aber niemand kommt.
Zum Glück, denn niemand kann den Weg für uns gehen, denn wir selbst laufen müssen. «Reiss dich zusammen», dröhnt es in meinem Kopf. Konzentriert, Schritt für Schritt nehmen wir den Abstieg in Angriff. «Aus der Angst, durch die Angst», lautet die Devise. Wohlbehalten treffen wir in der Unterkunft ein. Was für ein erster richtiger Arbeitstag.
Schnell in einer prekären Lage
Noch lange denke ich über den Vorfall nach, wie wichtig es ist, dass die drei Faktoren Mensch, Tier und Umwelt zusammenspielen. Wie schnell man sich im Berg in eine prekäre Lage bringen kann. Wie wichtig es ist, ein Team zu haben, dass gerade in solchen Situationen funktioniert und sich gegenseitig hilft.
Wir hatten wirklich Glück im Unglück und sind mit ein paar Kratzer und Prellungen davongekommen. Haydo selbst hat beim Sturz erstaunlicherweise nur ein paar unblutige Schürfungen davongetragen, sprich Haare verloren.
Nach Absprache mit dem Tierarzt -bei jeder Verschiebung gibt es eine Zwischenrevision, bei der jedes Tier vom Tierarzt angeschaut wird- haben wir beschlossen, ihm frei zu geben und ihn bei der Unterkunft und auf der Weide zu lassen.
Mission schweisst zusammen
Der Rest der Woche bin ich somit als Kies-Ablader und Weg-Sanierer eingeteilt. Unser Arbeitsplatz ist zwar unglaublich schön gelegen, doch als Trainsoldat ohne Pferd im Einsatz zu sein, pisst mich ziemlich schnell an. Davon abgesehen verbringen wir als Zug jedoch eine richtig gute Zeit draussen, weit weg von der Kaserne.
Das gemeinsame Arbeiten oben in den Bergen und die gemeinsame Mission schweissen uns zusammen. Die Stimmung ist gelöst, es wird viel Gelacht. Wir sind in den allerbesten Händen und werden von dem Pächterehepaar richtig verwöhnt auf der Alp, der Innbegriff von Gastfreundschaft.
Unsere Arbeit wird geschätzt und die Anerkennung ist aufrichtig und echt. Zufrieden, mit vielen guten, lehrreichen Erinnerungen und genau zum richtigen Zeitpunkt -denn in der letzten Nacht hat es zum ersten Mal geschneit- treten wir Ende Woche die Rückreise an.
Bisherige Einträge:
Teil 16: Militärpferde: Endlich Patrouillenreiter – Schweizer Bauer
Teil 15: «Meine grösste Angst: Nicht auf das Pferd zu kommen»
Teil 14: Endlich, die Militärpferde kommen
Teil 13: Vier Wochen ohne Militärpferde
Teil 12: Das eigene Pferd auf den Militärdienst vorbereiten
Teil 11: Ich kaufe Haydo zurück
Teil 10: Armeepferde: Start ins Militärleben
Teil 9: Schlusstest für künftige Militärpferde
Teil 8: Militärpferde auf Inspektion vorbereiten
Teil 7: Trainpferde: Karren ohne Kutscher ziehen
Teil 6: Militärpferde auf das Podest stellen
Teil 5: Trainpferde müssen auch Holz ziehen
Teil 4: Die Königsdisziplin der Trainpferde
Teil 3: NPZ bildet die jungen Militärpferde aus
Teil 2: Sein eigenes Pferd der Armee verkaufen
Teil 1: Mit dem eigenen Pferd in die Armee
















