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«Es ist ein wenig wie Sterben»

Barbara Eiselen gibt Einblicke in ihre Erfahrungen als Coach in der Landwirtschaft und erklärt, warum Loslassen so schwer ist und wie es trotzdem klappen kann.

Barbara Eiselen |

Hast du auch schon solche Aussagen von der abgebenden Generation gehört? «Loslassen ist für mich gar kein Problem.» «Ihr könnt den Hof so umstellen, wie ihr es wollt, ich habe keine Probleme damit.»

Was ist jetzt los?

Das habe ich schon öfters gehört. Allerdings vor der Hofübergabe. Bei oder nach der Übergabe tönt es dann manchmal plötzlich ganz anders. Da habe ich schon einiges erlebt. Beispielsweise Wutausbrüche, wenn die junge Generation dann doch etwas umstellt. Oder sogar unbemerkte Veränderungen in Verträgen, die unwissend unterschrieben wurden. Diese geheimnisvollen Anpassungen verhinderten dann doch die Erneuerungen auf dem Hof. All das gab es schon! Zum grossen Entsetzen der jungen Generation, die auf die grossen Worte des Loslassens vertraut hatte. Da beginnen in der Regel die Konflikte und die grösseren Probleme.

Du junge Generation grübelt und fragt sich dann: Was zum Geier ist denn bei der älteren Generation zwischenzeitlich passiert? Warum lässt sie jetzt doch nicht los? Warum ist jede kleinste Veränderung plötzlich ein riesengrosses Problem? Und warum sind sie ständig auf dem Hof und kritisieren auch noch alles? Was ist da passiert?

Zur Person

Barbara Eiselen ist Agronomin und war viele Jahre in der landwirtschaftlichen Lehre und Forschung in den Bereichen Betriebswirtschaft, Agrarpolitik und -märkte tätig. In ihrer beruflichen Laufbahn erkannte sie, dass es sich bei Hofstrategien und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen meistens um tieferliegende Themen handelt.

Barbara Eiselen bildete sich fort in den Bereichen Coaching, Psychologie und Familiensysteme und ist heute selbstständige Beraterin. Sie hat die Vision, die Hemmschwelle für Tabu-Themen in der Landwirtschaft zu brechen, so dass man sich frühzeitig Hilfe für die wahren Probleme holen darf.

Sie nennt es «den Service für die Seele, die Psyche und die Ehe, genauso wie der Traktor auch seinen jährlichen Service bekommt». Eiselen ist Bauerntochter und Schwiegertochter einer Bauernfamilie.

Loslassen scheint aus dieser Perspektive wirklich ein grosses Wort zu sein. Studiert man das Wort nicht ganz genau, und das tun die meisten nicht, dann ist es sogar ein recht leeres Wort.

Wie aber sind denn die eingangs erwähnten Worte zu deuten, wenn nicht so, wie man es sich als Junge wünschen würde? Hier ist eine mögliche Übersetzung dieser Worte und was damit wirklich gemeint sein könnte: «Ich freue mich so sehr, die gesamte Verantwortung für den Betrieb und das damit verbundene finanzielle Risiko nicht mehr tragen zu müssen. Ich freue mich so sehr auf meine lang ersehnte Freiheit – finanziell und zeitlich.» Das hat aber noch nicht viel mit loslassen zu tun.

Aber was denn genau bedeutet dieses grosse Wort loslassen eigentlich?

Teil der Identität

Ohne grosses Umschreiben: Loslassen ist ein wenig wie ein kleines Sterben. Ich mag mich an ein 60. Geburtstag eines Landwirts erinnern, der eine Präsentation über sein Leben hielt. In dieser Präsentation kam viel mehr der Hof als er selber oder seine Familie vor.

Da wurde mir klar: der Hof muss ein bedeutender Teil seiner Identität sein. Den Hof gehen zu lassen, würde also bedeuten, einen wichtigen Teil seiner Identität aufzugeben. Und das kann sehr bedrohlich wirken. Denn wer ist er noch, wenn nicht mehr der Bauer dieses Hofes?

Da auf einem Hof zudem Familie, Wohnort und Beruf meist eng miteinander verbunden sind, betrifft das Loslassen nicht nur die berufliche Identität, wie es bei der Pensionierung aus einem Angestellten-Verhältnis ist, sondern es ist viel weitgreifender. Es betrifft auch das Wohnen und die Familie. Oft ist der Hof der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Familie, er ist auch für die Geschwister, Onkel und Tanten, sowie Nichten und Neffen ein zu Hause. Ein Teil dieser Menschen ist sogar selbst auf dem Hof aufgewachsen und hat eine starke Verbindung dazu.

Mit Lebensfragen auseinander setzten

Loslassen bedeutet eigentlich eine Auseinandersetzung mit ganz grundlegenden Lebensfragen wie beispielsweise: Wer bin ich wirklich – ohne diesen Hof? Wer bin ich im Alter ohne berufliche Identität? Was war oder ist überhaupt der Sinn meines Lebens – wenn nicht mehr der Hof? Und dann sogar: Was passiert eigentlich nach meinem Leben, resp. bei meinem Tod?

Wirkliches Loslassen ist ein schmerzhafter Prozess, gerade dann wenn die Identität so stark an den Betrieb gebunden ist. Aber früh oder spät muss jeder Mensch loslassen, spätestens in einer Lebenskrise oder dann allerspätestens im Tod. Da muss jeder Mensch alles inklusive Körper loslassen.

Um wirklich loslassen zu können, braucht es ausserdem ein anderer neuer Halt. Dieser zu finden ist eine spirituelle Entwicklung. Die oben erwähnten Fragen stehen dabei im Zentrum. Es sind Lebensfragen, die nicht in zwei Stunden eine einfache Antwort erhalten. Diese Entwicklung beginnt bei den meisten Menschen irgendwo in der Lebensmitte. Auf diesen Weg darf sich jeder Mensch begeben, der wirklich loslassen lernen möchte. Auch junge Menschen können bereits damit beginnen.

Loslassen kommt in Veränderungsprozessen immer. Diese Prozesse sind erst dann richtig abgeschlossen wenn wirklich losgelassen wurde. Loslassen macht frei.

Kolumne mit Barbara Eiselen 

Barbara Eiselen ist Agronomin und war viele Jahre in der landwirtschaftlichen Lehre und Forschung in den Bereichen Betriebswirtschaft, Agrarpolitik und -märkte tätig. Sie schreibt einmal im Monat für den «Schweizer Bauer» und greift in ihrer Kolumne Themen auf, die unsere Leser beschäftigen.

In ihrer beruflichen Laufbahn erkannte sie, dass es sich bei Hofstrategien und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen meistens um tieferliegende Themen handelt.

Barbara Eiselen bildete sich fort in den Bereichen Coaching, Psychologie und Familiensysteme und ist heute selbstständige Beraterin. Sie hat die Vision, die Hemmschwelle für Tabu-Themen in der Landwirtschaft zu brechen, so dass man sich frühzeitig Hilfe für die wahren Probleme holen darf.

Sie nennt es «den Service für die Seele, die Psyche und die Ehe, genauso wie der Traktor auch seinen jährlichen Service bekommt». Eiselen ist Bauerntochter und Schwiegertochter einer Bauernfamilie.

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Kommentare (1)

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  • Bündner | 02.01.2025
    Ich gratuliere Ihnen zu diesem super Bericht. Genau so ist es und darum sollte man unbedingt Kursangebot für Landwirte vor der Hofübergabe schaffen. Vorbereitung auf die Pensionierung. Bei der Landwirtschaft gibt es heute vielfach keine Pension, es ist immer noch weit verbreitet arbeiten bis zum sterben und der Abschnitt der Pensionierung wird ausgelassen.
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