«Die meisten denken, sie seien allein mit ihren Problemen – das stimmt nicht», sagt Agronomin Barbara Eiselen.
Anja Tschannen
«Schweizer Bauer»: Laut einer Umfrage haben viele Landwirte noch kein Coaching gemacht und zeigen auch wenig Interesse. Woran könnte das liegen?
Barbara Eiselen: Ich denke, das hat viel mit Scham zu tun. Ich sage meinen Kundinnen und Kunden oft zu Beginn: «Du bist nicht allein.» Aus meiner persönlichen Einschätzung läuft es auf rund 95 Prozent der Betriebe «nicht ganz rund». Die meisten meinen aber, das Gegenteil sei wahr.
Warum fällt es trotzdem schwer, Hilfe anzunehmen?
Es herrscht ein grosser Druck, das Gesicht zu wahren und nach aussen zu zeigen, dass man alles im Griff hat – sei es in den Beziehungen, in den Finanzen oder in der Betriebsstrategie. Viele haben Angst vor Verurteilung oder davor, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Es geht im Coaching aber gerade ums Gegenteil, nämlich darum, die Stärken und Chancen hervorzuholen, um positive Veränderung überhaupt angehen zu können. Hilfe in Anspruch zu nehmen, wird schnell als Versagen verstanden, obwohl es eigentlich etwas ganz Normales ist. Während jeder Politiker oder CEO Berater an seiner Seite hat, erwartet man vom Bauern, dass er alles allein kann. Das darf sich ändern.
Und trotzdem wird Ihre Kolumne viel gelesen?
Ja, und das erstaunt mich nicht nur, sondern zeigt mir auch: Die Menschen fühlen sich von den Coaching-Themen angesprochen und vermutlich auch betroffen.
Wenn jemand nur eine technische Lösung braucht, dann bin ich nicht die richtige Person.
Welche Vorurteile oder Missverständnisse begegnen Ihnen in Bezug auf Coaching am häufigsten
Interessanterweise begegne ich diesen Vorurteilen selten direkt – denn die Menschen, die auf mich zukommen, sind grundsätzlich offen.
Arbeiten Sie mit allen, die sich melden?
Grundsätzlich ja! Ein ganz wichtiger Faktor für den nachhaltigen Erfolg ist aber die echte Bereitschaft, in den Entscheidungs- oder Veränderungsprozess wirklich einzusteigen, anstatt eine schnelle Lösung von mir zu erwarten. Wenn jemand nur eine technische Lösung braucht, dann bin ich nicht die richtige Person. Wichtig ist auch: Coaching funktioniert nur, wenn sich der Kunde bei mir wirklich auch wohl und ernst genommen fühlt.
Warum halten Sie Coaching für einen wichtigen Baustein für eine zukunftsfähige Landwirtschaft?
Für eine zukunftsfähige Landwirtschaft braucht es nicht unbedingt Coachings. Aber viele Menschen stehen irgendwann an einem Punkt, an dem sie feststecken.
Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch von einem Blick von aussen profitiert
Was kann Coaching in solchen Momenten bewirken?
Coaching bietet eine Aussenperspektive, die professionell und unabhängig ist. Viele Probleme liegen im Verborgenen, und Coaching hilft, diese aufzudecken und aufzulösen. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch von so einem Blick von aussen profitiert – egal, ob man es dann Coaching nennt oder nicht. Auch ich!
Was unterscheidet Coaching in der Landwirtschaft von klassischer landwirtschaftlicher Beratung?
Die klassische Beratung, oft kantonal organisiert und subventioniert, leistet wichtige Arbeit – insbesondere bei technischen und rechtlichen Fragen wie beispielsweise zu Verträgen, Bodenrecht oder technischen Lösungen. Dort wird erwartet, dass der Berater eine konkrete Lösung liefert.
Und im Coaching?
Im Coaching hingegen geht es nicht darum, Lösungen vorzugeben. Ich helfe den Menschen, ihre eigenen Antworten zu finden und stehe mit meinem tiefgründigen Wissen aus der Landwirtschaft einfühlsam bei. Es darf als Prozess verstanden werden. Ich bin überzeugt: Man kann persönliche und betriebliche Themen nicht immer trennen. Als private Anbieterin habe ich die Freiheit, mein Angebot individuell und ganzheitlich zu gestalten. Coaching kann keine Erfolgsgarantie geben, aber es hilft, wichtige Entscheidungen richtig zu treffen und Veränderungen konstruktiv anzugehen.
Gerade in der Phase, wo der Widerstand aufbricht, ist es ganz wichtig, nicht allein dazustehen und jemanden an der Seite zu haben.
Wie würden Sie einem skeptischen Landwirt erklären, was er konkret vom Coaching erwarten kann?
Ich finde Skepsis grundsätzlich sehr positiv – sie zeigt, dass jemand ernsthaft prüft, ob es für ihn oder sie passt. Wer sich aber innerlich bereits entschieden hat, dass eine Veränderung nötig ist, ist meist nicht mehr skeptisch. Es geht dann nur noch darum, zu prüfen, ob mein Angebot das Passende ist. Um dies herauszufinden, biete ich unverbindliche und kostenlose Erstgespräche an.
Warum ist Veränderung oft so schwierig?
Es geht oft um tiefere Ebenen, die betroffen sind. Da spreche ich von tief verankerter Identität oder familiären Prägungen. Werden diese Ebenen durch eine Veränderung angetastet, so wird der Prozess oft als schmerzhaft erlebt. Gerade in dieser Phase, wo der Widerstand aufbricht, ist es ganz wichtig, nicht allein dazustehen und jemanden wie mich an der Seite zu haben. Ich erlebe Coaching manchmal wie eine Geburt – genau in dem Moment, wo es schwierig wird, braucht es jemanden, der Mut zuspricht, Perspektiven und Zuversicht gibt.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie ein Coaching eine spürbare Veränderung auf einem Betrieb bewirkt hat?
Ein junges Ehepaar kam zu mir. Sie ist in der Bäuerinnenschule, er ist auf einem Betrieb als Landwirt angestellt. Die Frage war: Wollen wir ihren elterlichen Betrieb übernehmen oder nicht? Im Prozess wurde klar: Nein, sie wollen es nicht. Stattdessen orientierte sich die Entscheidung zu einem Betrieb, den sie mit einem befreundeten Ehepaar gemeinsam führen wollen. Ein anderer Fall: Ein Betrieb stellte auf Mutterkuhhaltung um – nicht spektakulär von aussen, aber innerlich ein riesiger Schritt. Plötzlich wurden neue Perspektiven möglich. Das Ziel ist in jedem Fall, dass mich jemand am Ende nicht mehr braucht – das ist der beste Erfolg.
Kolumne mit Barbara Eiselen
Barbara Eiselen ist Agronomin und war viele Jahre in der landwirtschaftlichen Lehre und Forschung in den Bereichen Betriebswirtschaft, Agrarpolitik und -märkte tätig. Sie schreibt einmal im Monat für den «Schweizer Bauer» und greift in ihrer Kolumne Themen auf, die unsere Leser beschäftigen.
In ihrer beruflichen Laufbahn erkannte sie, dass es sich bei Hofstrategien und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen meistens um tieferliegende Themen handelt.
Barbara Eiselen bildete sich fort in den Bereichen Coaching, Psychologie und Familiensysteme und ist heute selbstständige Beraterin. Sie hat die Vision, die Hemmschwelle für Tabu-Themen in der Landwirtschaft zu brechen, so dass man sich frühzeitig Hilfe für die wahren Probleme holen darf.
Sie nennt es «den Service für die Seele, die Psyche und die Ehe, genauso wie der Traktor auch seinen jährlichen Service bekommt». Eiselen ist Bauerntochter und Schwiegertochter einer Bauernfamilie.
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