Die Familie Joly mit Jérôme, Alexia, Aurélia und Jacques (v.l.).
zvg
Mein letzter Halt auf meiner Tour war einer der schönsten. Entlang wunderbarer Rebstöcke führte mich schliesslich ein schmales Nebensträsschen zur Weinkellerei und zum Wohnhaus der Familie Joly, gebaut im typisch westschweizerischen Baustil.
Leidenschaftliche Gastgeber
Aurélia (52) und ihr Mann Jacques (52) betreiben im malerischen Lavaux-Gebiet oberhalb des Genfersees gemeinsam einen Winzerbetrieb mit vier Hektaren Reben. Seit zwölf Jahren führen sie den Betrieb in Grandvaux VD. Nebst einem festen Mitarbeiter helfen ihre Tochter Alexia und ihr Sohn Jérôme, wann immer es möglich ist, im Betrieb mit. «Bonjour, guten Tag, Michelle und herzlich willkommen bei uns», begrüsste mich das Betriebsleiterehepaar herzlich.
Ganz im Sinn der Gastfreundschaft und Kultur der Romandie bot es mir sofort ein Getränk an. Wegen meiner weiteren Fahrt entschied ich mich vorsichtshalber für ein Wasser. Im sonnigen Garten der Jolys, mit herrlichem Blick auf den Genfersee und auf die umliegenden Rebberge durfte ich von der ehemaligen Landfrauenküche-Gastgeberin Aurélia mehr über ihr Weingut erfahren.
«Schweizer Bauer»: Aurélia, dein Mann Jacques kann heute verständlicherweise nicht dabei sein, da er in den Reben alle Hände voll zu tun hat. Dieses Jahr war allgemein besonders nass. Was waren bisher die grössten Herausforderungen für euch?
Aurélia Joly: Die grösste Herausforderung ist es, die Reben zu pflegen und zu schützen, um einen Ernteausfall zu vermeiden. Es ist ein ständiger Wettlauf gegen die Zeit, und wir bräuchten mehr Hände, um alles bewältigen zu können. Es ist sehr arbeitsintensiv, wir hatten den doppelten Einsatz an Pflanzenschutzmitteln aufgrund der Nässe. Unsere Philosophie sieht vor, so wenig wie möglich zu spritzen, wir setzen daher auch natürliche Produkte und ätherische Öle ein. Dennoch behalten wir den Joker in Jahren wie diesen, dass wir auf wirkungsvolle Mittel zurückgreifen, wenn nötig. Der Kostenaufschlag für den Mehraufwand ist enorm, und nach dem bereits sehr nassem 2021, bei dem sehr viel Ernte verloren ging, ist die Situation heuer schon beängstigend. Durch den Mehraufwand geraten wir ebenfalls mit dem Ausbrechen der Reben in Rückstand, und so rennen wir ständig der Zeit hinterher.
Vorweg eine grundsätzliche Frage: Wie würdest du eure Betriebsphilosophie beschreiben? Worauf legt ihr besonders viel Wert?
Wir legen grossen Wert auf Gastfreundschaft. Die Leute sollen sich bei uns wohlfühlen und unsere Leidenschaft spüren. Mein Mann steckt sein Herzblut in den Wein und ich in die Gastfreundschaft, in den Empfang und in das Kochen. Das ist das, was uns aufblühen lässt und was die Gäste spüren sollen.
Kannst du mir von den Anfängen des Betriebs erzählen und wie sich der Betrieb über die Jahre entwickelt hat?
Wir sind im Jahr 2008 nach Grandvaux gekommen und konnten das Haus mit der Kellerei kaufen. Mein Mann Jacques kommt aus einer Winzerfamilie ganz in der Nähe. 2012 hatten wir das Glück, dass ein Winzer aus unserem Dorf pensioniert wurde und jemanden suchte, der seine Reben übernimmt. Wir bewirtschaften Reben auf vier Hektaren. Da wir ein junges Unternehmen sind, konnten wir Parzellen pachten, einige direkt in der Nähe, andere weiter weg. Mein Mann hat diese Leidenschaft für das Winzern und für das Weinmachen. Ich bin ausgebildete Hotelfachfrau, habe über die Jahre ein Angebot mit einer Ferienwohnung im Haus sowie mit der Möglichkeit zur Reservation von Gästetischen aufgebaut. Zudem koche ich unglaublich gerne und bin eine leidenschaftliche Gastgeberin. So konnten wir den Betrieb Schritt für Schritt entwickeln.
Musstet ihr euch als neue Winzer in der Region beweisen? Gab es Anfangsschwierigkeiten?
Ja, definitiv. Jacques war bekannt, da er mit seinem Vater und mit seinem Grossvater zusammengearbeitet hat, die ebenfalls bekannt waren in der Region. Die anderen Winzer haben uns ganz genau auf die Finger geschaut, was wir machen und wie wir vorgehen. Einige dachten, wir würden es nicht schaffen. Wir mussten uns beweisen, wir haben von Anfang an sehr viel Herzblut investiert und waren immer fleissig. Ich denke, die Leute haben unsere Leidenschaft geschätzt und haben uns dadurch weiterempfohlen. Und siehe da: Nach zwölf Jahren sind wir immer noch hier und haben ein gutes, kollegiales Verhältnis zum anderen Winzer. Man hilft einander aus oder unternimmt auch mal was gemeinsam, es besteht ein Miteinander.
Wir haben 16 verschiedene Rebsorten auf vier Hektaren.
Was bietet ihr für eure Gäste konkret an?
Wir bieten Weindegustationen an, oft begleitet von einer Käse- und einer Fleischplatte, wobei ich Spezialitäten aus der Region anbiete. Wir passen uns sehr an die Wünsche der Kunden an. Unsere Gästetische haben entweder feste Termine mit Themenangeboten oder sind für private Anlässe von Montag bis Sonntag, mittags oder abends, geöffnet. Die Kunden können aus Menüvorschlägen wählen, wobei das Essen meist verbunden ist mit einer vorgängigen Degustation.
Was zeichnet euch als Unternehmen aus, was sind eure Weinspezialitäten?
Wir versuchen, sehr individuell auf unsere Kunden einzugehen. Egal, was der Kunde für einen Wunsch hat, wir versuchen alles, um ihm diesen bestmöglich zu erfüllen. Dabei nehmen wir uns besonders viel Zeit. Bei uns sind alle Kunden willkommen. Unser Hauptprodukt ist der Chasselas, eine typische Weintraube dieser Gegend, die wir zu 60% anbauen. Da wir ein junges Weingut in einer bereits etablierten Region sind, haben wir auch andere Rebsorten wie Pinot gris und rote Rebsorten integriert. Wir haben 16 verschiedene Rebsorten auf vier Hektaren und produzieren 21 verschiedene Weine. Wir möchten eine Vielfalt für unsere Kundschaft bieten und lieben es, neue Ideen umzusetzen. Neu haben wir Piwi-Sorten (pilzwiderstandsfähige Sorten) wie Divico (rot) und Johanniter (weiss) gepflanzt, um zu sehen, wie die Kunden auf diese Rebsorten reagieren werden.
Mein Mann liebt es, Neues auszuprobieren
Weshalb baut ihr so viele verschiedene Rebsorten an?
Es gibt zwei Gründe. Zum einen bieten wir eine breite Vielfalt für alle unsere Kunden, von jung bis alt. Zum anderen liebt mein Mann Jacques es, Neues auszuprobieren. Er hat immer wieder neue Ideen und möchte ständig Neues anpflanzen. Es ist eine Herausforderung, da wir nicht wissen, wie die Kundschaft darauf reagieren wird. Deshalb beginnen wir mit kleinen Parzellen und beobachten, wie die Weine ankommen. Wenn es gut läuft, können wir darauf aufbauen.
Nun noch eine letzte Frage: Aurélia, 2019 hast du bei der Sendung «Landfrauenküche» mitgemacht. Wie hat sich das auf das Weingut ausgewirkt? Gab es spürbare Veränderungen?
Ja, das gab es sehr wohl. Die Sendung wurde am 6. Dezember ausgestrahlt, und ab dem 7. Dezember bis Weihnachten hatten wir die Hände voll zu tun, weil so viele Bestellungen hereingeflattert sind. Es war eine sehr intensive Zeit. Im Jahr darauf kam die Covid-Pandemie, und viele Reservierungen mussten verschoben werden. Doch die meisten Kunden haben auf ein späteres Datum umgebucht, was uns sehr geholfen hat.
Nach einem letzten Blick über die malerischen Reben verabschiedete ich mich von der Familie Joly und von ihrem Weingut. Der Zwischenhalt bei der Familie Joly war ein echtes Highlight meiner Reise, geprägt von Herzlichkeit und faszinierenden Einblicken in das Leben und die Herausforderungen eines Winzerbetriebs. Schliesslich schwang ich mich wieder auf mein E-Bike und setzte meine Reise auf der Herzroute mit Ziel Lausanne fort.
-> Hier gibt es mehr Infos zum Weingut Joly
-> Hier erfährst du mehr über Schweizer Weine
Einen Einblick in das Weingut der Familie Joly und eine Weichkäserei gibt es hier. Klick auf das Video
Michelle unterwegs: Alle Etappen zum Nachlesen
1. Etappe: Matschige Stiefel und Kinderlachen
2. Etappe: Von der Chrüterei, zum Bier bis zum Käse
3. Etappe: Übernahme Betrieb umstrukturiert
4. Etappe: Erlebnisweg bringt Landwirtschaft näher
5. Etappe: 800 ha Land und eine Pferdezucht
6.&7. Etappe: Von der Milch zu den Beeren
8. Etappe: Bauern auf dem «Glungge-Hof»
9. Etappe: Hofladen wird zum Dorfladen
10. Etappe: «Wir wollen zeigen, dass es sich lohnt, selbst etwas anzubauen»
11. Etappe: Im Team Betrieb weiterentwickelt
12. Etappe: Dieser Milchbauer zeigte Pioniergeist
13. Etappe: «Die Leute schätzen unsere Leidenschaft»
13. Etappe: Die Genfersee-Panorama-Etappe
Via die kleinste Stadt zum grössten See der Schweiz wandeln und im Welterbe Lavaux auf das Ende der Tour anstossen. Stilvoll endet die Herzroute am Genfersee mit der Etappe von Romont nach Lausanne. Zuerst aber darf man noch einmal ausgiebig den weiten Landschaften der Kantone Freiburg und Waadt frönen, die sich hier entspannt unter unseren Rädern ausbreiten. Die Gegend ist weit und der Blick auf die nahen Alpen entzückend. Man gondelt über Höhenlagen dem Westen entgegen und trifft in Rue auf die kleinste Stadt Europas, ein Kleinod aus der Zeit der Savoyer, die hier nicht viel weiter als zu fünf Häusern mit Schloss gekommen sind. Danach folgt mit Oron der Eintritt ins ehemals bernische Waadtland und in die Region Broye.
Weite Wälder entspannen unsere Sinne und machen sie aufnahmebereit für den Paukenschlag des Genfersees, der urplötzlich und weit unter uns aus dem Gebüsch auftaucht. Was für ein Spektakel. Man überblickt die Kaskaden des Rebbaugebietes Lavaux und darf sogleich auch genussvoll durch selbiges Richtung See gleiten. Natürlich verzögert sich diese Abfahrt durch einen stilvollen Halt auf einer der Terrassen von Epesses, Riex oder Grandvaux mit ihren berühmten Weinlagen. Ganz am Schluss gibt man sich der Opulenz von Lausanne-Ouchy hin und atmet Monte-Carlo-Luft made in Switzerland.
Streckenbeschrieb: 50 km, 750 Hm/hügelig, Naturstrassen: 3,5 km
Die Herzroute endet am Genfersee mit der Etappe von Romont nach Lausanne.
Herzroute